Der assistierte Suizid ist mittlerweile auch für Demenzkranke und bei psychischen Erkrankungen erlaubt, in Belgien dürften ihn sogar Kinder und Jugendliche in Anspruch nehmen.
Der assistierte Suizid ist mittlerweile auch für Demenzkranke und bei psychischen Erkrankungen erlaubt, in Belgien dürften ihn sogar Kinder und Jugendliche in Anspruch nehmen.
Wiener Ärztin und frühere SP-Gesundheitsstadträtin Pittermann warnt vor Tabubruch und Missbrauch. Wiener Katholischer Familienverband strikt gegen Legalisierung aktiver Sterbehilfe. Benelux-Daten "ernüchtern".
Mit deutlichen Worten hat sich die Wiener Ärztin und frühere SPÖ-Politikerin Elisabeth Pittermann gegen strafrechtliche Lockerungen im Bereich der aktiven Sterbehilfe und des assistierten Suizids ausgesprochen. "Das Töten von Menschen ist ein Tabubruch", so Pittermann, eine menschliche Gesellschaft brauche aber Tabus. Unter all dem Druck, der im Gesundheitssystem auf den Mitarbeitern lastet, sei es unzumutbar, ihnen eine Beihilfe zur Tötung aufzubürden, hielt Pittermann in einem Gastkommentar im "Standard" (Donnerstag-Ausgabe) fest.
Erfahrungen aus jenen Ländern, die Tötung auf Verlangen zulassen, zeigen, dass diese Tötungen nicht nur auf Verlangen durchgeführt werden, sondern auch aus anderen Motiven. Die Gefahr des Missbrauchs sei ungeheuer groß, warnte Pittermann. Sie war von 2000 bis 2004 Wiener Stadträtin für Gesundheits- und Spitalswesen.
Da sie nicht religiös sei, sei die Religion nicht ihr Motiv, den assistierten Suizid abzulehnen, "sondern die Angst vor Missbrauch, die Angst vor einem Tabubruch, die Angst davor, sich allmächtig zu fühlen". Sie hoffe sehr, dass die entscheidenden Juristen im Verfassungsgerichtshof sich dieser Folgen bewusst seien, denn es gehe nicht um die Handlung eines Einzelnen an sich selbst, sondern um eine weitreichende gesellschaftspolitische Frage und Entscheidung.
Pittermann: "Die Tätigen in medizinischen Berufen dürfen nicht mit dieser schweren Bürde belastet werden. Alle Menschen müssen Achtung vor dem menschlichen Leben haben, daher darf die Tötung oder Beihilfe dazu auch unter sogenannten 'humanitären Vorzeichen' nie erlaubt werden."
Fast alle Menschen wollten leben, "wenn sie weitgehend schmerzfrei sind, sowie ihre Familie weder emotional-pflegerisch noch durch hohe Kosten belasten", so Pittermann weiter. Daher brauche es die Bemühungen, in ausreichendem Ausmaß und mit öffentlicher Finanzierung Hospizbetten sowie ambulante Hospizdienste und Tagesstationen bereitzustellen.
Rund 40 Jahre habe sie als Ärztin mit Schwerstkranken gearbeitet "und ihren Lebenswillen bewundert, wie sie sich an ihr Leben klammerten, welches Außenstehende schon als äußerst beschwerlich erachteten. Sie lebten dadurch häufig länger als von uns Medizinern eingeschätzt", so Pittermann und weiter: "Wenn sie abschließen und loslassen konnten, starben sie oft sehr bald. Ganz wenige Patienten entschieden sich zum Suizid, und wenn, vor allem gemeinsam mit dem Partner, der nicht allein zurückbleiben wollte."
Fast jeder, der sich für den Suizid entscheidet, mit Ausnahme von weitgehend Gelähmten, sei zudem in der Lage, Suizid zu begehen. "Man kann sich über die Möglichkeiten informieren und danach handeln. Selbst jene, die keine Kraft dazu haben, können durch Behandlungsverweigerung - ausgenommen schmerzstillende Medikamente - sowie Nahrungsverweigerung ihren Tod herbeiführen", so Pittermann.
Auch der Katholische Familienverband Wien hat sich in einer Aussendung am Donnerstag deutlich gegen die Legalisierung von Sterbehilfe in Österreich ausgesprochen. "Mit der Legalisierung der Sterbehilfe öffnen wir die Büchse der Pandora. Einmal begonnen, setzen wir Prozesse und Entscheidungen in Gang, die nicht mehr zu stoppen sind. Daher darf Sterbehilfe nicht legalisiert werden", so Ursula Kovar, Familienrichterin und Vorstandsmitglied des Familienverbandes. Sie verwies dabei auf europäische Negativbeispiele, wie etwa die Niederlande, wo Sterbehilfe auch ohne ausdrücklichen Wunsch der Patienten erfolgt oder Belgien mit Durchführung von Sterbehilfe bei Kindern.
Bei einer Legalisierung von Sterbehilfe befürchtete Kovar einen steigenden, moralischen Druck, im Alter oder bei Erkrankung seinem Leben ein Ende setzen zu wollen. "Schon jetzt klagen viele ältere Menschen, ihren Angehörigen nicht zur Last fallen zu wollen. Eine erlaubte Sterbehilfe wird diesen Trend verstärken", warnte Kovar. Aber auch Angehörige würden zunehmend unter Druck geraten, der Sterbehilfe eines Angehörigen zuzustimmen: "Pflege kostet Zeit, Geld und ist eine große Herausforderung. Sterbehilfe kann hier zu leicht als billiger Ausweg gesehen werden."
Die Antwort auf eine existenzielle Krise mit Sterbewunsch besteht für den Familienverband aus menschlicher Zuwendung, Fürsorge, medizinischer Versorgung und dem besonderen Schutz der Menschenwürde. Daher müssten Betroffene dabei unterstützt werden, ihren Weg im Leben möglichst schmerzfrei und zufrieden zu Ende zu gehen. Dazu gehörten der Ausbau des Hospizwesens, der Palliativmedizin sowie Unterstützung für Angehörige, wie der Katholische Familienverband seit langem fordere, so Kovar.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befasste sich am Donnerstag in einer öffentlichen Verhandlung mit dem strikten Verbot der Sterbehilfe. Vier Antragsteller, vertreten durch den Wiener Anwalt Wolfram Proksch und unterstützt vom Schweizer Sterbehilfeverein "Dignitas", wollen die Strafgesetzbuch-Paragrafen 77 ("Tötung auf Verlangen)" und 78 ("Mitwirkung am Selbstmord") kippen und damit den assistierten Suizid in Österreich ermöglichen.
Die Antragsteller fechten die betreffenden Paragrafen aus verschiedenen Gründen an, wie Proksch gegenüber der APA erläuterte; etwa unter Berufung auf das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, dem Recht auf Religionsfreiheit (auch im negativen Sinn), die Menschenwürde, das Recht auf Selbstbestimmung und auch jenes auf Privatsphäre. In einer freien und demokratischen Gesellschaft sei die Autonomie ein derart hohes Gut, dass der Staat nicht vorzuschreiben habe, auf welche Art man sterben wolle, und dass man auch nicht leiden müsse, wenn man das nicht wolle. Durch die bestehende Rechtslage würden leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse erdulden oder (unter Strafandrohung für Helfer) Sterbehilfe im Ausland in Anspruch nehmen zu müssen.
Proksch gehört dem Beirat der "Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL)" an. Weitere Mitglieder sind u.a. "Dignitas"-Gründer Ludwig A. Minelli und der Arzt Christian Fiala, der in Wien eine Abtreibungsklinik betreibt.
Vor Entwicklungen wie in den Benelux-Ländern hat Rosina Baumgartner, Generalsekretärin des Katholischen Familienverbandes Österreichs (KFÖ), in der laufenden Sterbehilfe-Diskussion gewarnt, Derzeit gehe es in der heimischen Debatte noch um schwer und unheilbar Kranke. "Wie schnell daraus ein Geschäft wird, zeigen die Entwicklungen in Ländern wie Belgien oder den Niederlanden", schrieb Baumgartner in einem Gastkommentar für die "Wiener Zeitung" (Donnerstag).
2001 trat in den Niederlanden das "Gesetz zur Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und Hilfe bei der Selbsttötung" in Kraft, erinnerte die KFÖ-Vertreterin. Knapp 20 Jahre später sei die Datenlage ernüchternd: Zwischen 2012 und 2016 sei die Zahl der Sterbehilfe-Fälle um 31 Prozent gestiegen, "und längst sind es nicht mehr nur Patienten mit unheilbaren Krankheiten, die diese 'Dienstleistung' in Anspruch nehmen". Der assistierte Suizid sei mittlerweile auch für Demenzkranke und bei psychischen Erkrankungen erlaubt, in Belgien dürften ihn sogar Kinder und Jugendliche in Anspruch nehmen.
Baumgartner äußerte die Überzeugung: Sollte der bisherige österreichische Weg, am Lebensende auf Palliativmedizin und Hospizangebote zu setzen, beendet werden, würde der Druck zur Selbsttötung insbesondere bei alten und kranken Menschen wachsen. Die Corona-bedingt unter großen Opfern ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen und aus Rücksicht auf ältere Menschen würde geradezu "konterkariert" durch die staatliche Weichenstellung in Richtung assistierter Suizid bzw. Töten auf Verlangen.
Für den Wiener Verfassungs- und Strafrechtler Peter Lewisch ist das geltende Sterbehilfeverbot "sicher nicht überholt". Es wäre im Gegenteil "befremdlich", würde der VfGH eine von einem in Österreich "weitgehenden Grundkonsens beim Lebensschutz" gestützte Regelung beanstanden, schrieb der Professor an der Uni Wien in einem Gastkommentar für "Die Presse" (Donnerstag). Fielen die Schranken für das Recht auf Sterben bzw. die Beihilfe dazu, dann gäbe es auch keinen vernünftigen Grund für weitere bestehende Verbote. Als Beispiel nannte Lewisch die geltenden Rechtsschranken gegenüber Fremdverletzungen - "wie die Gute-Sitten-Klausel bei der Einwilligung in die Körperverletzung oder auch die generelle Unwirksamkeit der Einwilligung bei der Genitalverstümmelung".
Auch der Österreichische Seniorenbund hat sich am Donnerstag vehement gegen jegliche Liberalisierungstendenzen hinsichtlich aktiver Sterbehilfe und assistiertem Suizid ausgesprochen. "Ein funktionierendes Palliativ- und Hospizsystem und die Gewissheit, im Notfall die benötigte Pflege zu bekommen, macht jede Diskussion um aktive Sterbehilfe obsolet", hielt Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec in einer Aussendung fest. Sie verwies darauf, dass laut Umfragen in Deutschland 95 Prozent der Schwerstkranken durch eine gute Palliativversorgung von ihrem vorzeitigen Sterbewunsch abkommen, während in Staaten mit liberaleren Gesetzen die Nachfrage an Sterbehilfe deutlich anstieg. "Wir müssen die Schwächsten unserer Gesellschaft auch weiterhin schützen", mahnte Korosec.
Korosec bekräftigte auch einmal mehr die Maxime von Kardinal Franz König (1905-2004), "an der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben". Dem fühle sich auch der Seniorenbund verpflichtet.
Das Präsidium des Seniorenbundes wies geschlossen auf die enormen Risiken hin, die eine Liberalisierung des Verbots zur "geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe", bringe. Eine Lockerung der Sterbehilfe würde sehr alte, schwerkranke oder pflegebedürftige Menschen unter starken Druck setzen, hieß es. Etwa, weil sie Angst haben könnten, der Gesellschaft zur Last zu fallen, zu teuer, oder unnütz zu sein oder eine Wohnung für ihre Kinder zu blockieren. Sie könnten dann in die Defensive geraten und müssten sich rechtfertigen, wieso sie das Angebot der erweiterten Sterbehilfe nicht in Anspruch nehmen.
Josef Pühringer, Landesobmann des Oberösterreichischen Seniorenbundes und früherer Landeshauptmann, fügte in der Aussendung hinzu: "Straffreiheit wird in vielen Fällen für Leidende und Sterbende womöglich zu einem gesellschaftlichen Druck führen und möglicherweise zu einer rein ökonomischen Sicht auf die Pflege, Hospiz- und Palliativmedizin - in einer hochzivilisierten Gesellschaft darf es darüber aber niemals eine Kostendebatte geben, denn das Leben ist nicht bezifferbar".
Pühringer wies zudem auf die prekäre Lage hin, in die Menschen mit Demenz durch eine Liberalisierung der Sterbehilfe geraten könnten. "Derzeit leiden 130.000 Menschen an einer Form von Demenz, laut Prognosen werden es bis 2050 doppelt so viele Menschen sein, also mehr als eine Viertelmillion Österreicherinnen und Österreicher. Die Entscheidung, wie jemand stirbt, liegt in diesen Fällen dann beim Erwachsenenvertreter. Das darf nicht sein", so Pühringer.