Kardinal Schönborn:"Die letzte Wunde des Krieges wird heute mit der Weihe der erneuerten Riesenorgel geschlossen"
Kardinal Schönborn:"Die letzte Wunde des Krieges wird heute mit der Weihe der erneuerten Riesenorgel geschlossen"
Ab heute erklingt im Stephansdom wieder eine der größten Kirchenorgeln Europas zu Gottesdiensten und Konzerten. Kardinal Schönborn: „Zeichen der Hoffnung und des Trostes in Zeiten der Pandemie.“
Kardinal Christoph Schönborn hat die erneuerte Riesenorgel im Wiener Stephansdom gesegnet. Im Beisein von Bundespräsident Alexander Van der Bellen segnete der Wiener Erzbischof am Sonntag die größte Orgel Österreichs auf der Westempore des Doms und übergab sie ihrer Bestimmung. Bei der anschließenden Festmesse erklang die Riesenorgel erstmals im Gottesdienst mit der Messe "Salve Regina" des französischen Komponisten Yves Castagnet. Das Instrument wurde in knapp dreijähriger Bauzeit von der Vorarlberger Orgelbaufirma Rieger von Grund auf renoviert und neu aufgebaut. Die offizielle Inbetriebnahme vollendet den Wiederaufbau des Doms nach dem verheerenden Brand am Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Der Neubau war das größte Orgelbauprojekt Europas der vergangenen Jahrzehnte.
"Die letzte Wunde des Krieges wird heute mit der Weihe der erneuerten Riesenorgel geschlossen", erinnerte Kardinal Schönborn in seiner Predigt beim vom Geläut der Pummerin begleiteten Festgottesdienst. Der Dombrand am 12. April 1945 sei eine der vielen Folgen des Zweiten Weltkriegs gewesen, der "bisher wohl größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte" und "Ausgeburt eines wahnwitzigen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus", wie der Wiener Erzbischof betonte. "Als der Dom am Kriegsende brannte, war das wie ein Schlusspunkt einer unvorstellbaren Tragödie, deren brennender Ausdruck der Brand aller Synagogen am 9. November 1938 war", hielt Schönborn fest.
"Heute aber haben wir die Freude, die neue Riesenorgel, das größte Instrument Österreichs, einweihen zu dürfen", sagte der Kardinal. Dass dies gerade in der Zeit der weltweiten Pandemie geschehe, sei "ein Zeichen des Trostes und der Hoffnung". Singen und Musizieren gehörten zu den Urbedürfnissen des Menschen, so Schönborn. "Was wäre ein Gottesdienst ohne Gesang? Was wäre ein Leben ohne Musik?", wandte er sich an die Gläubigen: "Wer singt, betet doppelt. Und Beten brauchen wir in dieser Zeit doppelt so notwendig", sagte der Kardinal: "Und wenn die Orgel unser Singen, Loben und Bitten trägt, dann wird unser Beten zu einem mächtigen Strom des Segens."
Aus Spenden finanziert
An dem live vom ORF übertragenen Gottesdienst nahmen neben Bundespräsident Van der Bellen auch Kultusministerin Susanne Raab und zahlreiche politische Spitzenvertreter aus den Bundesländern teil. Neben zahlreichen Spenderinnen und Spender aus ganz Österreich über den Verein "Unser Stephansdom" haben auch Bundesregierung und Bundesländer zur Errichtung der neuen Orgel beigetragen - wie einst beim Wiederaufbau des Doms nach dem Krieg.
Ursprünglich hätte die Riesenorgel ihre Premiere bereits am Ostersonntag haben sollen, auf den Tag genau 75 Jahre nach dem verheerenden Dombrand von 1945. Die Corona-Pandemie verhinderte jedoch diese Pläne. Auch die Messe am Sonntag fand unter Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen mit Abstandsregeln und Mund-Nasen-Schutz für die Gottesdienstbesucher statt. Vor Ort konnten coronabedingt nur rund 500 Gläubige mitfeiern.
Unter größten Domorgeln Europas
Die am 4. Oktober 1886 gesegnete Walcker-Riesenorgel auf der Westempore des Stephansdoms war das erste Opfer des verheerenden Dombrandes am 11. und 12. April 1945 gewesen. Im Zug des Wiederaufbaus wurde zwar 1960 eine Nachfolgerin errichtet. Klanglich war diese allerdings dem gotischen Kirchenraum nicht gewachsen und wurde schon in den 1990er Jahren stillgelegt.
Nun erklingt eine völlig neu konzipierte Orgel im Stephansdom. Für sie wurden große Teile der alten Domorgel in einer neuen Konzeption verwendet, die auf die Raumakustik genau abgestimmt ist. Das neue Instrument verfügt über 130 Register und kann zusammen mit der Chororgel im vorderen, südlichen Seitenschiff von einem beweglichen Zentralspieltisch aus mit fünf Manualen gespielt werden. Zusammen verfügen beide Orgeln über insgesamt 185 Register und exakt 12.616 Orgelpfeifen und sind somit eine der größten Orgeln in Europa. Die weltweit größte, 150 Tonnen schwere Orgel befindet sich in der Boardwalk Hall in Atlantic City (USA), die größte Domorgel der Welt bilden die fünf Einzelinstrumente im Passauer Stephansdom.
"Lautstärke und Klangkraft sind wichtige Aspekte. Als Musiker ist ein anderer Aspekt noch wichtiger: Die Riesenorgel gehört zu den vielseitigsten Instrumenten, die es gibt. Jedes einzelne dieser 130 Register bringt einen musikalischen Mehrwert", erklärt der Wiener Domorganist Konstantin Reymaier, der gemeinsam mit Domkapellmeister Markus Landerer das Projekt im Stephansdom von der Planung bis zum Abschluss der Bauarbeiten im Sommer dieses Jahres begleitet hat. Die Wiener Kathedrale habe nun "nicht nur das größte Musikinstrument Österreichs, sondern auch eines der interessantesten".
Einweihungskonzert und Orgelfestival
Reymaier saß am Sonntag bei der Orgelweihe zusammen mit seinem Domorganisten-Kollegen Ernst Wally am in der Domvierung aufgebauten Spieltisch des neuen Instruments. Bei der "Salve Regina"-Messe von Castagnet für Soli, Chor und zwei Orgeln musizierten unter der Leitung von Domkapellmeister Landerer auch die Sopranistin Theresa Dax und Bass Vladimir Jurlin als Solostimmen im Zusammenklang mit dem Wiener Domchor, dem Cantus novus Wien und den Wiener Dombläsern.
Das weitere bis in die Abendstunde reichende Programm am "Riesenorgelsonntag" im Stephansdom umfasste u.a. Orgelführungen und eine mittägliche Orgelmesse mit der Uraufführung von Werken von Gregoire Rolland, Valentin Fheodoroff und Maximilian Schnaus. Sie wurden beim internationalen Kompositionswettbewerbs der Wiener Domkirche für die Riesenorgel mit den ersten drei Plätzen ausgezeichnet.
Am Sonntagnachmittag waren beim offiziellen Einweihungskonzert mit den Domorganisten Reymaier und Wally Werke von Johann Sebastian Bach, Richard Wagner und Denis Bedard zu hören. Das Konzert bildete auch den Auftakt zu einem mehrwöchigen Orgelfestival. Bis 26. Oktober kommen dabei international bekannte Organisten - unter ihnen Olivier Latry (Paris), Thomas Trotter (London), Wolfgang Kreuzhuber( Linz), Daniel Beckmann (Mainz) und Jean-Baptiste Dupont (Bordeaux) - zu Konzerten in den Stephansdom.