Rund ein Drittel der Menschen sind für Verschwörungstheorien zumindest empfänglich - und waren dies immer schon, verwies Michael Butter laut einer Zusammenfassung der KU Linz auf ein kulturgeschichtlich altes Phänomen.
Rund ein Drittel der Menschen sind für Verschwörungstheorien zumindest empfänglich - und waren dies immer schon, verwies Michael Butter laut einer Zusammenfassung der KU Linz auf ein kulturgeschichtlich altes Phänomen.
"Dies Academicus" der KU Linz: Wichtig, mit Verschwörungstheoretikern solange wie möglich im Dialog zu bleiben. Abgeschottete Weltsicht kann in Gewalt umschlagen.
Verschwörungstheorien nehmen als krude "Welterklärungen" in Corona-Zeiten "geradezu explosionsartig zu" und bedrohen aufgrund der potenziellen Gewaltbereitschaft mancher Anhänger auch das demokratische System und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Darauf wies Prof. Michael Fuchs, Vizerektor an der Katholischen Privatuniversität (KU) Linz, in seiner Begrüßung zum diesjährigen "Dies Academicus" hin, der dem Thema "Chemtrail, Corona und Klimawandel ... das kann doch kein Zufall sein!" gewidmet war. Die Muster dieser Verschwörungstheorien beleuchteten zudem der Amerikanist Michael Butter von der Uni Tübingen, der Kulturwissenschafter Daniel Hornuff von der Kunsthochschule Kassel, der Berliner Autor und Philosoph Jan Skudlarek und die Wiener Medienkünstlerin Karin Ferrari.
Rund ein Drittel der Menschen sind für Verschwörungstheorien zumindest empfänglich - und waren dies immer schon, verwies Michael Butter laut einer Zusammenfassung der KU Linz vom Montag auf ein kulturgeschichtlich altes Phänomen. Derartige Theorien galten in der Vergangenheit oft als allgemeines, nicht weiter hinterfragtes Gemeinwissen, mit dem sogar Weltpolitik gemacht worden sei. In Corona-Zeiten würden diese Theorien - verstärkt durch das Internet - aber eine neue Dynamik entwickeln, so Butter. Denn anders als etwa bei der Theorie, dass die Mondlandung eine Fiktion aus dem Filmstudio ist, griffen die staatlichen Verordnungen ganz unmittelbar in die Lebenswelt aller Menschen ein.
"Rechte Verschwörungsnarrative und ihre Bilder" behandelte Daniel Hornuff. Am Beispiel antisemitischer Stereotype veranschaulichte er, mit welchen Strategien und Inszenierungen die "Neue Rechte" Rassismus ästhetisiert, popularisiert und damit ganz bestimmte Botschaften in die Gesellschaft trägt. So würden etwa Karikaturen oder bewusst laienhaft gestaltete Text/Bild-Kombinationen Rezipienten zur Aktivität anregen: Ausgedruckte Bilder und Schilder würden bei Demos und Kundgebungen getragen, aber auch bearbeitet, verfremdet und in die sozialen Medien gespielt, informierte Hornuff. Anerkennung im Netz bewirke einen Verstärkungseffekt, was sich auch bei den jüngsten Demonstrationen von "Corona-Gegnern" in Deutschland gut beobachten lasse. Diese seien keine homogene Gruppe, sondern Sammelbecken ganz unterschiedlicher, auch widerstreitender Fraktionen.
"Viel Meinung, wenig Ahnung" nannte Jan Skudlarek seine reiche Zusammenschau aktueller Verschwörungstheorien. Dabei strich er vor allem eine durchaus logisch aufgebaute Argumentationsfigur heraus: In vielen dieser Theorien werde eine immer nach demselben Muster ablaufende Umetikettierung der "Wahrheit" vorgenommen, durch die Argumentationen gegen jeden Widerspruch immunisiert und aus dem Bereich der Überprüfbarkeit herausgenommen werden. Jede Gegenrede ordne sich dabei immer "logisch" in das Komplott der Verschwörer ein: Wenn die ganze Presse gesteuert ist, die Bevölkerung heimlich ausgetauscht wird, das Coronavirus eine Biowaffe aus dem Labor oder eine reine Fiktion ist - dann ist jeder Einspruch nur wieder der Versuch, eine "erleuchtete Minderheit" zu unterdrücken. Gewalt wird in diesem Kontext als Notwehr und zugleich Befreiung verstanden und legitimiert, so der Autor.
Karin Ferrari untersucht in ihrer künstlerischen Praxis Wissensproduktionen digitaler Subkulturen, wobei sie sich besonders mit spekulativen Narrativen zwischen akademischer Theorie und esoterischen Utopien befasst. Man könne Verschwörungstheorien einem Bereich menschlicher Schöpfung zuordnen, der jenseits von Fakten und Fiktionen einen anderen Raum der Wahrheit aufschlage und eine magische Beeinflussung der Welt - also auch eine Ermächtigung - darstelle. In Ferraris Video "Decoding the iPhone Xs. A techno-magical Portal" (2019) wurde dies beim Dies Academicus exemplarisch vorgeführt, quasi als eine künstlerisch überhöhte Verschwörungstheorie.
Konsens der Fachleute: Es sei wichtig, mit Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, solange wie möglich im Dialog zu bleiben. Als Prävention müsse Aufklärung über Funktionsweisen und Strategien stattfinden. Die Anschläge von Christchurch oder von Oslo und Utoya lehrten, dass ein Umschlagen in Gewalt möglich ist: "Radikalisierte Einzeltäter können aus Versatzstücken von Verschwörungstheorien ein Weltbild zusammenfügen, das nicht selbstgenügsam im Phantasma der eigenen Allwissenheit verbleibt, sondern katastrophales Handeln gebiert", heißt es in der Zusammenfassung der KU Linz.
Zum Streaming-Video des Dies Academicus auf der Facebook-Seite der KU Linz.
Sie haben Fragen zum Thema Verschwörungstheorien, dann besuchen Sie doch die Seite weltanschauungsfragen.at
Dort finden Sie nicht nur Informationen und Beratung.