"Das Pflegegeld-Modell muss rasch dringend verbessert werden. Knapp 500.000 Betroffene und noch mehr Angehörige in ganz Österreich warten auf diese Reform", so Landau.
"Das Pflegegeld-Modell muss rasch dringend verbessert werden. Knapp 500.000 Betroffene und noch mehr Angehörige in ganz Österreich warten auf diese Reform", so Landau.
Caritas-Präsident Landau präsentiert bei Pressekonferenz Vier-Punkte-Plan. Viele Menschen aktuell falsch eingestuft. Erschwerniszulagen gerade bei Menschen mit demeziellen Erkrankungen müssen erhöht werden.
Die Caritas erhöht den Druck auf die Umsetzung der Pflegereform: Die Corona-Krise habe deutlich gemacht, dass Pflege ein systemrelevanter Bereich der Gesellschaft sei; es brauche jedoch dringend eine "Personaloffensive" und Verbesserungen beim Instrument des Pflegegeldes, betonte Caritas-Präsident Michael Landau bei einer Pressekonferenz am Dienstag im Wiener Caritas-Pflegehaus Schönbrunn. Bis 2030 werde ein zusätzlicher Bedarf von 75.000 Pflegekräften bestehen; wenn in diesem Bereich sowie in der Unterstützung pflegender Angehöriger nicht bald etwas geschehe - etwa in Form von kostenlosen Schulungs- und Ausbildungsangeboten und der Unterstützung pflegender Angehöriger -, werde es zu einem "Pflegenotstand" kommen.
Konkret schlug Landau - gestützt auf ein von der Caritas in Auftrag gegebenes Gutachten - einen Vier-Punkte-Plan zur Reform des Pflegegeldes vor: "Das Pflegegeld-Modell muss rasch dringend verbessert werden. Knapp 500.000 Betroffene und noch mehr Angehörige in ganz Österreich warten auf diese Reform." Ein Zuwarten oder ein Ausreden auf die Schwierigkeiten des Föderalismus ließ Landau nicht gelten; schließlich liege beim Pflegegeld die Entscheidungskompetenz beim Bund.
Die Reform des Pflegegeldes solle laut Caritas eine prinzipielle Blickveränderung beinhalten - "weg von einer pauschalen, defizitorientierten Bedarfseinschätzung, hin zu einer individuellen multiprofessionellen Bedarfseinschätzung", so Landau. Außerdem müsse die Erschwerniszulage gerade für die Pflege demenziell erkrankter Menschen dringend erhöht werden: von derzeit 25 auf etwa 45 Stunden pro Monat. Auch sollten gerade demenziell erkrankte Menschen höher eingestuft werden, da ihr Pflege- und Betreuungsaufwand sehr hoch sei.
Schließlich brauche es eine Verbesserung der Gutachtenqualität zur Einstufung: "Viele Menschen sind derzeit falsch eingestuft", so Landau. Es müsse daher sichergestellt werden, dass die tatsächlich Pflegenden und Angehörigen besser in die Begutachtung einbezogen werden. Außerdem sollten - so Landau abschließend - Tätigkeiten berücksichtigt werden, die nicht nur die unmittelbare Pflege betreffen, sondern die das Ziel verfolgen, "die Fähigkeiten von Menschen zu erhalten oder wiederherzustellen". Schließlich gehe es beim Pflegegeld darum, den Betroffenen ein Leben in Würde und mit Qualität zu ermöglichen. "Die Zeit drängt - unser Pflegesystem selbst ist pflegebedürftig und Österreich braucht dringend eine Pflegereform", so Landau abschließend.
Neben dem Caritas-Präsidenten äußerten sich bei der Pressekonferenz der mit dem Gutachten beauftragte Experte für Pflegerecht und Pflegegeld, Martin Greifeneder, die Pflegegeld-Gutachterin Elisabeth Ramesch sowie der Leiter der Angehörigenberatung der Caritas in der Erzdiözese Wien, Norbert Partl.
Gutachter Greifeneder betonte bei dem Pressegespräch, dass die größte Schwachstelle im bestehenden System in der "mangelhaften Begutachtungspraxis" bestehe: "Der Großteil der von Betroffenen und Beratenden wahrgenommenen Probleme, beispielsweise bei der Einstufung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen, wären durch eine konsequente Anwendung der bereits bestehenden rechtlichen Vorgaben vermeidbar. Wenn seit über zehn Jahren mehr als 50 Prozent der Pflegegeldklagen bei Gericht mit einer höheren Einstufung enden, so spricht dies eine deutliche Sprache."
Die meisten Betroffenen würden diesen als belastend empfundenen Weg aber nicht beschreiten. Daher brauche es eben jene Verbesserungen in der Ausbildung der Gutachter und der Praxis der Begutachtung, so Greifeneder. "Den pflegenden Personen ist wesentlich umfassender Gehör zu schenken." Nicht zuletzt verweist Greifeneder auf die zeitliche Dringlichkeit aus Sicht der Betroffenen: "Pflegebedürftige müssen jetzt und heute gepflegt werden, sie müssen jetzt ihre Pflege organisieren und finanzieren können. Die angesprochenen Maßnahmen fallen allesamt in den Zuständigkeitsbereich des Sozialministers und könnten kurzfristig, ohne lange Vorlaufzeit umgesetzt werden."
Auch Norbert Partl, Leiter der Angehörigenberatung der Caritas der Erzdiözese Wien, berichtete von schwierigen Situationen bei der Begutachtung zur Pflegegeldeinstufung: "Für Angehörige ist es sehr problematisch, dass Angehörige und Pflegebedürftige gleichzeitig befragt werden. Auf der einen Seite will sich der oder die Pflegebedürftige bei diesen Besuchen von seiner bzw. ihrer besten Seite zeigen, auf der anderen Seite wollen Angehörige die Pflegebedürftigen nicht bloßstellen. Außerdem sind sie meist nicht ausreichend vorinformiert."
Elisabeth Ramesch, selbst Gutachterin in Ausbildung berichtet von Schwachstellen in der Pflegegeldeinstufung: "Gerade bei Menschen mit Demenz ist oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich, wo die Schwierigkeiten liegen. Dass die Person zum Beispiel körperlich und kognitiv in der Lage ist, zu essen, kann man leicht erkennen. Doch dass eine Person mit Demenz häufig vergisst zu essen und zu trinken, und ihre Bedürfnisse nicht mehr äußern kann, ist nicht gleich ersichtlich. Dazu braucht es die Erfahrung mit den jeweiligen Krankheitsbildern, die praktisch jedoch leider oft nicht gegeben ist."