Klaus Schwertner, geschäftsführender Wiener Caritasdirektor, appellierte eindringlich an die Bundesregierung, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es brauche keine "realitätsfernen populistischen Diskussionen" über Abschiebungen, sondern Hilfe.
Klaus Schwertner, geschäftsführender Wiener Caritasdirektor, appellierte eindringlich an die Bundesregierung, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es brauche keine "realitätsfernen populistischen Diskussionen" über Abschiebungen, sondern Hilfe.
Wiener Caritasdirektor Schwertner fordert wirksame Hilfe vor Ort und die Evakuierung von Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind. Diakoniedirektorin Moser: Afghanische Freuen, die sich für europäische Werte eingesetzt haben, brauchen besonderen Schutz.
Mit einem dringlichen Appell an die österreichische Bundesregierung, auch im Fall von Afghanistan die Menschenrechte zu beachten, hat sich ein breites Bündnis von NGOs, darunter Caritas und Diakonie, an die Öffentlichkeit gewandt. Die Hilfsorganisationen riefen bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Wien zur Rettung von Menschenleben in Afghanistan auf und forderten ein humanitäres Aufnahmeprogramm in Österreich sowie die heimische Beteiligung an der Evakuierung besonders gefährdeter Menschen aus Afghanistan.
Klaus Schwertner, geschäftsführender Wiener Caritasdirektor, appellierte eindringlich an die Bundesregierung, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Es brauche keine "realitätsfernen populistischen Diskussionen" über Abschiebungen, sondern Hilfe: "Das offizielle Österreich sagt heute: 'Wir können nicht alle retten.' Das ist schon richtig. Doch im Umkehrschluss gar niemanden zu retten kann keine Alternative sein", sagte Schwertner. Er sprach von nicht mehr als einigen hundert Personen, um die es ginge. Auf konkrete und detaillierte Zahlen wollte er sich nicht festlegen.
Es müsse jedenfalls um beides gehen: Um wirksame Hilfe vor Ort und die Evakuierung von Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind, so der Caritasdirektor: "Das ist kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch." Schon in der Vergangenheit sei es in Österreich unter der ehemaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner gelungen, mit humanitären Aufnahmeprogrammen zu helfen und Menschenleben zu retten. Zwischen 2013 und 2018 habe man im Rahmen dreier Programme rund 1.250 Menschen aus Syrien, dem Libanon und der Türkei aufgenommen und integriert, erinnerte Schwertner: "An diese Tradition sollten wir auch jetzt anknüpfen. Unzählige Gemeinden, Bürgermeister aller Couleurs und Pfarrgemeinden stehen bereit."
"Wer für europäische Werte einstehen will, für die Gleichstellung von Frauen, persönliche Freiheit in der Lebensführung, den Wert Familie, Demokratie und die Menschenrechte - der muss ja sagen zu einem humanitären Aufnahmeprogramm", unterstrich auch die Direktorin der evangelischen Diakonie, Maria Katharina Moser. Es gehe um den Schutz für Menschen, die in Afghanistan europäische Werte gelebt und vertreten hätten; insbesondere um Schutz und Sicherheit für "afghanische Frauen, die in der Öffentlichkeit gestanden sind, als Frauenrechtsaktivistinnen, Frauen, die gegen Männergewalt aufgestanden sind, Journalistinnen oder Richterinnen", so Moser. Und die Diakoniedirektorin fügte hinzu, dass diese Frauen auch in den Nachbarländern Afghanistans nicht wirklich sicher seien.
Lukas Gahleitner-Gertz von der "asylkoordination österreich" und Sima Mirzai von "Igasus" (Interessengemeinschaft der afghanischen Studierenden und Schüler) machten u.a. auf das drängende Problem von Familienzusammenführungen aufmerksam. Mirzai forderte die Entbürokratisierung der Familienzusammenführung: "Wir wissen von Familienangehörigen, die seit zwei Jahren auf eine Familienzusammenführung warten. Hier gibt es sehr, sehr hohe bürokratische Hürden." Diese Hürden müssten endlich aus dem Weg geräumt werden. "Menschen, die in Österreich Schutz bekommen haben, muss jetzt geholfen werden, dass sie ihre Familienangehörigen, ihre Frauen und Kinder aus Afghanistan herausholen können", so Mirzai. Sie widersprach auch jüngsten politischen Vorwürfen, wonach ein Großteil der und 40.000 in Österreich lebenden Menschen aus Afghanistan nicht oder nur sehr schwer zu integrieren seien.
Gahleitner-Gertz wies zudem auf eine weitere Forderung der NGO-Allianz hin: Alle Abschiebevorbereitungen nach Afghanistan seien angesichts der Realität sofort zu stoppen und Personen in Schubhaft seien zu entlassen. Schubhaft sei keine Strafhaft. Menschen, die nicht abgeschoben werden können, in Haft zu behalten, stelle eine rechtswidrige Freiheitsentziehung dar.
Kein gutes Haar an der heimischen Regierung ließ auch Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International: "Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass wir in Österreich einmal in der Position sein werden, die Europäische Menschenrechtskonvention verteidigen zu müssen." Diese sei in der Verfassung verankert. Statt ständig darüber nachzudenken, wie man die Regelungen der Konvention umgehen könne, um doch noch irgendwie nach Afghanistan abzuschieben, "sollte die Regierung dringlichst planen, wie man die Menschen, die in Afghanistan in akuter Folter- und Lebensgefahr sind, in Sicherheit bringen kann", sagte Patzelt. Er sprach u.a. von einem "schändlichen" Verhalten.
Dem zivilgesellschaftlichen Bündnis, das sich am Dienstag an die Regierung wandte, gehören mehr als 30 NGOs an; neben den bei der Pressekonferenz vertretenen etwa auch SOS-Mitmensch, die Allianz "Menschen.Würde.Österreich" der Samariterbund, die Volkshilfe oder das Don-Bosco-Sozialwerk-Austria.