Beim Konklave von 1978 soll Wyszyński Karol Wojtyła ermutigt haben, die Wahl zum Papst anzunehmen. 1979 bereitete er die erste Papstreise nach Polen vor.
Beim Konklave von 1978 soll Wyszyński Karol Wojtyła ermutigt haben, die Wahl zum Papst anzunehmen. 1979 bereitete er die erste Papstreise nach Polen vor.
Ein Bollwerk gegen die Kommunisten, klarer moralischer Wegweiser in unsicheren Zeiten, religiöse Leitfigur: der polnische Kardinal Stefan Wyszyński wird am 12. September seliggesprochen. Ein Ereignis, das neben Johannes Paul II. die wichtigste Persönlichkeit der polnischen Kirche im 20. Jahrhundert zur „Ehre der Altäre“ erhebt, aber auch eine kirchenpolitische Dimension in sich trägt.
Vom Bauernbub zum Primas
Beeindruckend wirkt die Kontinuität der Schwerpunkte im Leben des Stefan Wyszyński (1901–1981). Geboren in einer Bauernfamilie, war er rückblickend von der einfachen Frömmigkeit der Menschen, die ihre Zeit zwischen Arbeit und Familie aufteilten, angetan. Das waren auch die Themen, die sein Leben und seine Lehre bestimmen sollten: Frömmigkeit, die soziale Frage und das Familienleben.
Seine Doktorarbeit widmete er dem Verhältnis von Schule, Kirche und Familie; seine weiteren Werke der „Katholischen Aktion“ und den unterschiedlichsten Fragen der kirchlichen Soziallehre. Diese unterrichtete er im Priesterseminar, aber auch in der „Christlichen Arbeiteruniversität“ – einer Einrichtung zwischen Gewerkschaft und Erwachsenenbildung –, in der er u. a. die sog. Arbeiterenzyklika „Rerum novarum“ auszulegen versuchte. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er als Seelsorger in einem Blindenheim in Laski in der Nähe von Warschau (gegründet von Róża Czacka, mit der er gemeinsam seliggesprochen wird). Seit 1944 wirkte er als Kaplan der Kämpfer des Warschauer Aufstands.
1946 wurde er zum Bischof von Lublin ernannt, 1948 zum Bischof von Gniezno und Warschau und übernahm somit als Primas die Spitze der Katholischen Kirche in Polen. In dieser Funktion regelte er 1950 das Verhältnis der Kirche zur kommunistischen Regierung in einem Vertrag, der das Fundament für eine funktionstüchtige katholische Kirche in Polen legte, dessen ‚Kosten‘ ihm aber heftige Kritik, nicht nur aus dem Vatikan, einbrachten. Sein „Non possumus“ (wir können nicht) aus dem Jahr 1953, das er den Repressionen der Regierung gegen die Kirche und den Verletzungen des erwähnten Vertrages entgegenhielt, war einer der Gründe für seine Inhaftierung, die erst nach drei Jahren endete – seitdem gelten er und sein „Non possumus“ als Symbol des Widerstandes gegen die Kommunisten.
Marienverehrer
Während der Haft schrieb er das „Gelübde der Nation an Maria“, das im August 1956 in Tschenstochau in seiner Abwesenheit von Hunderttausenden Gläubigen abgelegt wurde. Die Abendgebete für Wyszyńskis Freilassung wurden zum sog. „Appell“ – jenem Gebet in Tschenstochau um 21.00 Uhr, das bis heute tagtäglich praktiziert wird. Auf seine Initiative hin besuchte seit 1957 die Kopie des Tschenstochauer Madonnenbildes jede polnische Pfarre – gedacht als Vorbereitung auf das große Jubiläum von 1966, der 1000-Jahr-Feier der Christianisierung Polens: Dieses große „Millennium“ zwischen 1957 und 1966 sollte zu einer spirituellen und moralischen Erneuerung Polens führen. Zum Abschluss in Tschenstochau erwartete man Paul VI., doch wurde dem Papst die Anreise von den Machthabern verweigert.
Konzils- und Papstvater
Wyszyński nahm an den Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils teil. 1965 war er einer der Initiatoren der Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder zur Versöhnung mit der bewegenden Passage: „In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung. Und wenn Sie, deutsche Bischöfe und Konzilsväter, unsere ausgestreckten Hände brüderlich erfassen, dann erst können wir wohl mit ruhigem Gewissen in Polen auf ganz christliche Art unser Millennium feiern.“ In den 1970er Jahren war er wiederum mit der Seelsorge, Kirchenleitung und dem ständigen Aushandeln des Verhältnisses von Kirche und Staat beschäftigt.
1977 und 1978 wurde er sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Beim Konklave von 1978 soll er Karol Wojtyła ermutigt haben, die Wahl zum Papst anzunehmen. 1979 bereitete er die erste Papstreise nach Polen vor. Das Verhältnis der beiden Kirchenmänner lässt sich dabei als eines wie Vater und Sohn beschreiben, das von gegenseitigem Respekt geprägt war, wie eine kurze Anekdote zum Ausdruck bringt: Bei einem Italienbesuch wunderte sich der damalige Bischof von Krakau, Kardinal Karol Wojtyła, der ein leidenschaftlicher Skifahrer war, dass die italienischen Bischöfe diese Sportart trotz geeigneter Berglandschaft nicht betrieben. Er merkte an: „In Polen sind 40% der Kardinäle Skifahrer“. Als jemand erwiderte, in Polen gäbe es nur zwei, sagte Wojtyła „Ja, ja. Kardinal Wyszyński macht aber 60% aus“.
Sein Wirken als Priester und Bischof, seine Haltung gegenüber den Kommunisten, seine Marienfrömmigkeit sind nur einige Punkte, mit denen man den Namen Wyszyński verbindet und die ihn zum polnischen „Primas des Jahrtausends“ machten. Während das Image Wojtyłas für Studenten- und Intellektuellenseelsorge stand, war Wyszyński der „Hirte des ganzen Volkes“.
Die Themen seiner Lehre – und da unterscheidet er sich wenig vom späteren Johannes Paul II. – waren die Würde des Menschen, der Wert der Familie, die Unterstreichung des Patriotismus. Im Zentrum der Wirtschaft, aber auch des kirchlichen Tuns müsse der Mensch stehen. Die Arbeit sei nicht nur eine Einkommensquelle, sondern ein Weg der Entwicklung des Menschen, ein Weg zur Heiligkeit und ein Mitwirken an Gottes Schöpfung. Die Löhne müssten gerecht sein, und Frauen – damals eine revolutionäre Ansicht – das Recht auf Arbeit und Studium haben; ja, sie sollten, wie er mit Realitätssinn vorschlug, selbst für halbe Stellen vollen Lohn bekommen, um sich weiter um ihre Familie kümmern zu können. Menschenrechte, gegenseitiger Respekt und die Sorge um die Schwachen seien nicht hinterfragbar. In einem von ihm formulierten „Dekalog“ postulierte er eine Nächstenliebe, die sich im Alltag, in der Familie und am Arbeitsplatz verwirklichen soll.
Am 12. September 2021 wird eine Persönlichkeit seliggesprochen, welche die Jüngeren nur mehr aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern kennen. Der Held einer Generation, deren Probleme manchmal genauso fremd wie ihre Lösungen wirken. Diese Seligsprechung ist riskant, denn sie könnte die Gräben zwischen konservativen und progressiven kirchlichen Kräften vertiefen, Sehnsucht nach starken Führungsfiguren wecken oder die Kirchenleitung dazu verleiten, Seelsorgekonzepte der Vergangenheit unkritisch zu kopieren. Sie steht auch in Gefahr, keine Früchte zu bringen: Die Älteren freuen sich darüber, die Jüngeren zeigen dagegen wenig Interesse daran. Dennoch kann sie zur Chance werden, wenn ihr Aufruf gehört wird: an die Seelsorger, dass es in erster Linie darum geht, bei den Menschen und ihren Sorgen, Fragen, Nöten und Hoffnungen zu sein; an die Gläubigen, dass das Christentum den Menschen und seinen Alltag verwandeln kann. Und vor allem, dass es sich lohnt, einfach anständig zu sein: Als Kardinal Wyszyński als Kind die Puppen seiner Schwester aufgeschlitzt hatte und sein Vater ihn daraufhin jagte, rief die Schwester: „Papa, lass ihn! Er wird sich noch bekehren“. Nach Jahren sagte Wyszyński dazu: „Ihr seht, ich hab’s geschafft“.
Dr. Piotr Kubasiak, Theologische Kurse