Weihbischof Helmut Krätzl im Mai 2008 als Firmspender in Niederleis.
Weihbischof Helmut Krätzl im Mai 2008 als Firmspender in Niederleis.
Der emeritierte Weihbischof Helmut Krätzl über Corona, das Konzil, die ungelösten Rätsel des Daseins und wozu Gott ihn vielleicht noch braucht
Woher das Coronavirus kommt, wissen weder die Naturwissenschaftler noch die Theologen. Aber für mich ist sicher, dass es nicht von Gott geschickt ist, weder als Prüfung und schon gar nicht als Strafe. Sich aber Gott zuwenden bringt eine eigenartige Kraft, mit dem Schweren fertig zu werden, ja daraus sogar zu lernen auf einer zweifachen Ebene.
Auf sozialer Ebene. Die von außen streng verordnete Distanz hat Menschen innerlich zu gleicher Zeit nähergebracht. Die Aufmerksamkeit aufeinander ist gewachsen, die Bereitschaft zur Hilfe, gleich nebenan, aber auch bis in andere Erdteile. Selbst die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind einander nähergekommen, weil sie ganz einfach gemeinsame Verantwortung empfinden.
Auch für den Glauben lernen wir etwas. Wir haben erkannt, dass der Glaube ohne die Werke tot ist. Und wir haben eine andere Nähe zu Jesus gefunden. Er blickt uns nicht nur von den vielen Kreuzen leidend und sterbend an, sondern aus hunderttausend Gesichtern leidender Menschen in der ganzen Welt. Jetzt verstehen wir, was Jesus den Jüngern sagen wollte: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Papst Johannes XXIII. hat von Papst Pius XII. eine streng hierarchisch geschlossene Kirche übernommen. Er wollte die Kirche weit aufmachen. Das eine Tor öffnete er zur Welt, das andere zu anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften.
In der großen Pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et spes) wird der Kirche Jesu Verantwortung für die Welt deutlich gemacht. Sie hat sich zu engagieren in Kultur und Politik, im Wirtschaftsleben, in der Förderung des Friedens und dem Aufbau der Völkergemeinschaft.
In der Erklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) ging es den Konzilsvätern nicht so sehr um die Abgrenzung von Unterschieden in der Lehre, sondern um die gemeinsame Verantwortung für den Menschen. Dort heißt es wörtlich: „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins. Was ist der Mensch, was ist Sinn und Ziel unseres Lebens, woher kommt das Leid und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zu wahrem Glück? Was ist der Tod, das Gericht und die Vergeltung danach und schließlich: was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“
Eine so offene Kirche ist heute notwendig und wird erwartet. Im Vertrauen auf den Geist Gottes helfen wir uns gegenseitig in der Erkenntnis dieser Wahrheit, aber auch in der Kräftigung des Willens, so zu handeln.
Ein Glaube, der eine ganz persönliche Verbindung zu Gott darstellt.
Ich bin religiös aufgewachsen, in der Familie und in der Pfarrgemeinde und habe in 66 Priesterjahren mehrere tausend Eucharistien gefeiert. Ich habe erkannt, dass mein Glaube nicht die Summe von Wahrheiten oder Geboten ist und auch nicht von sakramentalen Zeichen, sondern eine vertrauensvolle Hinwendung zu Gott. In den letzten Jahren ist mir das immer deutlicher geworden. In einem modernen Gebet fand ich den Satz „Gott will dich“. Bei diesem Wort bin ich hängen geblieben und habe viel darüber nachgedacht. Gott will mich, nimmt mich so ernst, braucht er mich vielleicht sogar? Braucht er mich, damit durch mich seine Nähe und seine Güte und Barmherzigkeit den Menschen erlebbar wird? Braucht er mich, damit ich durch mein Leben zu einem „Lob seiner herrlichen Gnade“ werde, wie es im Epheserbrief 1,6 heißt? In den letzten Monaten ist mir ein Responsorium im offiziellen kirchlichen Abendgebet besonders aufgefallen. Dort heißt es: „Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben“. Das bete ich jeden Abend mit besonderer Ehrfurcht. Das ist also mein Glaube. Das Vertrauen auf Gott, dem ich mein ganzes Leben in die Hand geben kann. Ich habe jetzt sehr viel Zeit, auch über den Rest meines Lebens und damit über den Tod nachzudenken. Ich weiß nicht, wie lange ich noch lebe und wozu Gott mich vielleicht sogar noch braucht. Vielleicht um anderen zu zeigen, wie man mit zunehmendem Alter und wachsenden Behinderungen fertig wird. Aber in meinem Vertrauen auf Gott wird mir immer deutlicher, dass ich nicht einem Ende zugehe, sondern auf Gott zu, der mich „will“, vielleicht sogar braucht und in die Arme schließen wird zu ewiger Herrlichkeit.
„Auf Gott vertraue ich, in seine Hände lege ich mein Leben“. Das gibt mit Halt und Zuversicht und das möchte ich auch als Kern des christlichen Glaubens anderen weitergeben.