Gedanken von Weihbischof Helmut Krätzl über das Sterben.
Gedanken von Weihbischof Helmut Krätzl über das Sterben.
Gedanken von Weihbischof Helmut Krätzl: Wenn wir an unser eigenes Sterben denken - welche Gedanken kommen uns dann? Und was ist uns über den Moment des Sterbens Jesu überliefert? Eine Betrachtung der zwölften Kreuzwegstation vom emeritierten Weihbischof Helmut Krätzl
Wenn ich einmal sterben werde, habe ich da Angst vor dem bedrückenden Gefühl der Gottesferne oder wird die wachsende Neugier nach dem, was danach kommt, mich so ganz die Nähe Gottes spüren lassen?
Beides ist in der biblischen Schilderung vom Tod Jesu angedeutet. Nach Matthäus stirbt Jesus mit dem lauten Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mt 27,46) Nach Johannes haucht er sein Leben aus mit dem fast sieghaften Ruf: „Es ist vollbracht.“ (Joh 19,30) Wie ist beides zu verstehen? Dieser bei Matthäus wiedergegebene letzte Ruf Jesu heißt auf Aramäisch, der Muttersprache Jesu: „Eli, Eli, lema sabachthani.“ Einige, die daneben standen, hörten das und sagten: „Lass, wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihm hilft.“ (Mt 27,47)
Aber nicht alle dachten so. Der Hauptmann und die anderen Männer, die bei ihm standen, riefen angesichts der Ereignisse um den Tod Jesu bis zu einem Erdbeben aus: „Wahrhaftig, Gottes Sohn war dieser!“ (Mt 27,54) Auch einer, der Verbrecher, die mit ihm gekreuzigt wurden, höhnte ihn: „Bist du denn nicht der Christus? Dann rette dich selbst und auch uns!“ (Lk 23,39) Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: „Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ (Lk 23,40f) Und dann sagte dieser reumütige Verbrecher: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lk 23,42) Und Jesus antwortete ihm: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23,43)
Das klingt ganz anders als der Schreckensschrei, der bei Matthäus zitiert wird. Wie ist das nun zu verstehen?
Der Schreckensschrei ist der zweite Vers von Psalm 22. Man muss den ganzen Psalm lesen. Einmal wird hier minutiös aufgelistet, was beim Tod Jesu geschah: Sie durchbohrten mir Hände und Füße, ich kann alle meine Knochen zählen, sie gaffen und weiden sich an mir. Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand. Dann aber sogar ein Bittgebet des Sterbenden: „Du aber, Herr, halte dich nicht fern. Du, meine Stärke, eile mir zu Hilfe.“ (Ps 22,20) Und als Antwort von Gott: „Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut des Elenden Elend. Er hat sein Angesicht nicht verborgen vor ihm, er hat gehört, als er zu ihm schrie.“ (Ps 22,25) „Seine Heilstat verkündet man einem Volk, das noch geboren wird: Ja, er hat es getan.“ (Ps 22,32) So beginnt der Psalm mit dem Schrei der Gottverlassenheit und endet mit dem Vertrauen auf Gottes rettende Kraft. Daher ist es verständlich, dass in manchen Psalmausgaben der Psalm 22 die Überschrift trägt: Gottverlassenheit und Heilsgewissheit.
Wenn ich einmal sterben werde, fürchte ich mich nicht vor dem quälenden Gedanken der Gottverlassenheit, sondern rückblickend in meinem Leben werde ich mich an die vielen Zeichen der Gottesliebe und Gottesmacht in meinem Leben erinnern, die Gott durch mich und für andere gewirkt hat.
Mit diesem dankbaren Rückblick will ich Gott mein Leben zurückgeben mit dem dankbaren Worten: „Es ist vollbracht!“
Diesen Text verfasste Weihbischof Helmut Krätzl zu Ostern 2021 für das Pfarrblatt der Dompfarre St. Stephan.