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19.06.2019 · Aus der Diözese

Kirche war für mich immer wie eine zweite Heimat

 

Interview mit Weihbischof Dr. Helmut Krätzl zu dessen 65. Priesterjubiläum

Sie sind seit bald 65 Jahren Priester (geweiht am 29.6. 1954). Wie sieht Ihre Kurz-Bilanz aus? Waren und sind Sie gern Priester?

Ich war und bin immer gern Priester. Ich hatte schon als Kind eine große Sehnsucht nach der Eucharistie. So bin ich etwa zur Frühkommunion gegangen, bevor ich zur Schule gegangen bin und ich habe sehr gerne ministriert. Und beim Altardienst ist mir der Wunsch gekommen, dass ich selber gerne Priester werden möchte. Sofort nach der Matura im Jahr 1949 bin ich ins Priesterseminar eingetreten und bin dann 1954, vor 65 Jahren, im Dom zu St. Stephan, mit großer Dispens aus Rom, weil ich noch nicht 24 Jahre, sondern erst 22 Jahre alt war, zum Priester geweiht worden.

 

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Wie sah damals Ihr Priesterbild aus?

Mein Priesterbild hatte sich an großen Vorbildern orientiert. In St. Ulrich (Wien 7), wo ich aufgewachsen bin, hatten damals die Steyler Missionare die Pfarre betreut, ein Pfarrer mit drei Kaplänen. Wir hatten einen Jugendkaplan, der uns begeistert hat. Ich habe mir dort das Priesterbild abgeschaut, es war ein Priesterbild, das damals die Jugend angesprochen hat. So haben wir auch unsere ganze Freizeit in der Pfarre verbracht und mit diesem Jugendkaplan, einem Vorarlberger, sind wir wochenlang in den Vorarlberger Bergen herumgekommen. Kirche war für mich immer wie eine zweite Heimat. Aus einer gutkatholischen Familie stammend, sind von meinen Eltern glaubensmäßig die Wurzeln gelegt worden, besonders von meiner Mutter die Liebe zur Kirche.

 

Inwiefern hat sich das Priesterbild durch das Konzil gewandelt?

Ich hatte das Glück, das Zweite Vatikanische Konzil nicht nur von außen zu erleben, denn ich war zu diesem Zeitpunkt im Auftrag von Kardinal Franz König zum Kirchenrechts-Studium in Rom. Und da habe ich mich gemeldet als Schreiber für das Konzil in dessen erster Sitzungsperiode. Wir haben damals lateinisch stenographiert. Ich habe dabei auch große Gestalten hautnah erlebt. In der Anima hat Kardinal Frings gewohnt, und der hatte als ganz jungen Konzilstheologen den Joseph Ratzinger. Und Ratzinger hat das Konzil in einer sehr fortschrittlichen Weise wesentlich mitgeprägt. Zum Priester geweiht worden bin ich unter Papst Pius XII., es war die Zeit einer sehr autoritären und strengen Kirchenleitung. Und dann habe ich Papst Johannes XXIII. erlebt, mir ist da das Herz aufgegangen aufgrund seiner Menschlichkeit.

 

Sein Hauptziel war: Die Kirche muss sich öffnen zur Welt, zu den anderen christlichen Kirchen, zum Menschen überhaupt. Und das hat für mich einen starken Antrieb bedeutet für mein Priester-Sein. Der Papst als Seelsorger im wahrsten Sinn des Wortes und als Verkünder der Kirche mit den offenen Türen. Von da an habe ich es immer auch als meine Aufgabe als Priester gesehen, mich für die Erneuerung der Kirche im Geiste des Konzils einzusetzen, etwa in meinem Buch „Im Sprung gehemmt“. Weil ich glaube, dass Papst Johannes XXIII. die Kirche in erstaunlicher Weise geöffnet hat, seine Nachfolger aber nicht immer daran weitergearbeitet, sondern Manches gebremst haben. Papst Franziskus, der für mich sehr mit Johannes XXIII. vergleichbar ist, ruft jetzt immer wieder dazu auf, das nachzuholen, was damals versäumt worden ist, um die Kirche ins Heute zu bringen.

 

Welche Bedeutung hat die Eucharistie in Ihrem Priester- und   Bischofsleben?

Eine Selbstverständlichkeit ist für mich die tägliche Eucharistiefeier. Wobei ich da in meinem Priesterbild auch Interessantes erlebt habe. Als ich 1956 zu Kardinal König als Zeremoniär gekommen bin, habe ich erlebt, dass in der Früh im Stephansdom die Domherren und am Stephansplatz arbeitende Priester aus den umliegenden Häusern in den Dom ausgeschwärmt sind, sich jeweils zu einem Seiten-Altar gestellt und dann, etwas überspitzt formuliert, dem lieben Gott die Messe „vorgelesen“ haben. Das hat das Geheimnis der gemeinsamen Feier der Messe verdunkelt. Als die Konzelebration durch das Konzil erlaubt worden ist, habe ich erlebt, wie wir gemeinsam feiern. Die Messe ist aber für mich nicht nur die Feier eines oder mehrerer Priester, sondern die ganze Gemeinde feiert die Messe. 1964 bis 1969 war ich Pfarrer in Laa an der Thaya, wo ich sehr viel gelernt habe. Ich habe dort die liturgische Erneuerung den Menschen dargebracht und den Sinn des Volksaltares. Eine ganz wichtige Aufgabe war für mich die Messe als Zentrum der gemeindlichen Tätigkeit zu sehen.

 

Die Heilige Schrift ist laut Zweitem Vatikanischen Konzil „die Seele der ganzen Theologie“. Was heißt das für den priesterlichen Dienst?

Gott sei Dank haben wir nach dem Konzil viel mehr Wert auf die Heilige Schrift gelegt. In meinem Theologiestudium haben wir mehr Dogmatik gelernt, die Heilige Schrift war immer nur Beweismittel für die Dogmatik und nicht umgekehrt. Wobei die Bibelwissenschaft damals überaus dürftig war. Erst durch die biblische Erneuerung und durch das Konzil ist klargeworden, dass die Wurzel des Glaubens in der Heiligen Schrift liegt. Durch den Klosterneuburger Chorherren Pius Parsch entwickelte sich in Österreich schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine biblische Bewegung, die sich auch liturgisch ausgewirkt hat. Der Stellenwert des Wortes Gottes in der Eucharistie fand damals etwa in der Klosterneuburger Kirche St. Gertrud seinen sichtbaren Ausdruck. Generell gesagt: Die Quelle der Verkündigung ist die Heilige Schrift. Daher ist auch der Wortgottesdienst ein wichtiger Teil, so wichtig, dass wir heute auch Wort Gottes-Feiern gestalten können mit der Deutung, dass der Herr auch im Wort Gottes gegenwärtig ist. Nicht nur zu wissen, was in der Bibel steht, sondern auch danach zu leben, in der Jüngerschaft Christi, darauf kommt es an.

 

In Ihren 65 Priesterjahren ist Ihre Liebe zur Kirche bisweilen auch erprobt worden. Wie haben Sie sich Ihre Freude an der Kirche bewahrt?

Ich habe mir die Freude an der Kirche bewahrt, weil mir klargeworden ist, dass die Kirche immer mehr ist, als sie momentan erscheint. Sie ist von Jesus Christus gestiftet, sie hat immer ein Ziel, das anbrechende Reich Gottes, das noch nicht vollständig ist. Kirche ist immer im Werden und es ist unsere Aufgabe, diese Kirche möglichst sichtbar zu machen. Das Ziel ist erst die Vollendung. Das hat mir immer geholfen und das hat mich auch motiviert, bei den Erneuerungen in der Kirche nie nur zurückzuschauen, sondern immer nach vorn: Was ist jetzt in der Kirche zu machen, damit sie dem Ziel, der Ausbreitung des Reiches Gottes in der Welt, näherkommt?

 

Was würden Sie einem Menschen ohne religiöses Bekenntnis antworten auf seine Frage, was das Wesen des Priestertums ausmacht?

Ein Zeugnis für das Leben Jesu geben. Und nicht nur mit dem Wort, sondern mit der ganzen Existenz. Sowohl in der Lehre als auch in der Art des persönlichen Lebens. Unsere Kirche sollte sich generell mehr um das Gespräch mit den Nicht-Glaubenden kümmern. Zu oft war die kirchliche Verkündigung gleichsam von oben herab, und wir haben den Leuten gesagt, was sie alles tun müssen, zum Teil auch sehr stark moralisierend. Wir haben es da oft versäumt, mit den Menschen auf den Grund ihrer Existenz zu gehen, um zu schauen, was sie brauchen, was der Sinn ihres Lebens ist. Als Priester sehe ich meine Aufgabe, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, mit den Frommen im guten Sinn des Wortes wie auch mit den Ungläubigen, um ihnen zu helfen, sich selbst und den Sinn ihres einmaligen Lebens zu erkennen. Ich bin jetzt 42 Jahre Bischof, ich habe schon Tausende gefirmt. Ich lasse mir vor der Firmung von den Firmkandidaten immer Briefe schreiben. Das ist für mich immer eine große Offenbarung, zu erfahren, was heute junge Menschen von Gott und der Kirche, aber vor allem auch, was sie vom Leben halten.

 

Wenn heute ein junger Mann ins Wiener Priesterseminar eintreten will, was würden Sie ihm raten? Was soll er mitbringen?

Er soll die Gesinnung mitbringen, an der Erneuerung der Kirche mitzuarbeiten und er soll bereit sein, sich mit der Kirche weiterzuentwickeln. Und so wie Papst Franziskus im Priester-Sein einen Dienst zu sehen. Und dabei alles abzulegen, was nach autoritärem Gehabe aussieht. Die Priesteramtskandidaten sollen eine Liebe zu Gott und eine Liebe zu den Menschen mitbringen, beides gehört zusammen und kann nicht getrennt werden.

 

Dann würde ich ihm sagen: „Gott hat dich zum Priester berufen, sei dankbar dafür, er braucht dich und viele Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche warten auf dich!“

erstellt von: Stefan Kronthaler/DerSonntag
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Helmut Krätzl: 65 Jahre Priester, 42 Jahre Bischof, 7 Päpste

 

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