Alle Beteiligten brauchen Toleranz und Humor. Und ein gemeinsam erarbeitetes Regelwerk.
Alle Beteiligten brauchen Toleranz und Humor. Und ein gemeinsam erarbeitetes Regelwerk.
Interview mit Psychotherapeutin Brigitte Ettl über "Mehr-Generationen-Häuser".
Großeltern, Eltern und Kinder, vielleicht noch die Urgroßeltern unter einem Dach – das war früher normal. War es auch ideal?
Ettl: Diese Lebensformen wurden früher selten freiwillig gewählt. Sie haben sich automatisch ergeben, da es sowohl im landwirtschaftlichen als auch im gewerblichen Bereich meist keine räumliche Trennung von Wohnen und Arbeit gab. Und gerade diese Betriebsformen wurden von einer Generation auf die nächste vererbt.
Da früher aber familiäre Beziehungen stark als wirtschaftliche Zweckgemeinschaft gesehen wurden, waren die Erwartungen an die emotionale Harmonie geringer. Generationen-Konflikte gab es sicherlich trotzdem.
Mehrere Generationen unter einem Dach ist wieder eine beliebte Wohnform. Warum?
Ettl: Es hat zum einen sicherlich praktische Gründe – es stehen mehr Familienmitglieder zur Verfügung, für die Betreuung von Kindern und älteren Menschen, die wieder auf Hilfe angewiesen sind.
Es kann aber auch für alle Beteiligten ein persönlicher Gewinn sein: Wissen und Lebenserfahrung der älteren Generation stehen den jungen Menschen „barrierefrei“ zur Verfügung, und gleichzeitig können Oma und Opa leichter mit neuen Entwicklungen Schritt halten.
Wie können mehrere Generationen unter einem Dach zusammenleben?
Ettl: Es ist wichtig, dass das „Dach“ groß genug ist, sodass allen auch eine Rückzugsmöglichkeit zur Verfügung steht. Zuviel des Guten kippt ins Negative, auch wenn es ums Miteinander geht.
Alle Beteiligten brauchen Toleranz und Humor. Und ein gemeinsam erarbeitetes Regelwerk. Sonst kommt es rasch zu einer Fülle an Konflikten – angefangen von Sauberkeitsvorstellungen, Mitbenutzung persönlicher Gegenstände, „Besuchsregelungen“.
Es ist sicher ein großer Unterschied, ob mehrere eigenständige Haushalte unter einem Dach vereint sind oder ob ein gemeinsamer Mehr-Generationen-Haushalt geführt wird. Hier muss das Regelwerk noch viel detaillierter sein, und vor allem braucht es eine besonders gute Kommunikations- und Konfliktkultur.
Welche Herausforderungen gibt es dabei, worauf muss man achten?
Ettl: Je größer die räumliche Nähe, desto wichtiger sind gemeinsam und klar definierte Grenzen und Zuständigkeitsbereiche. Ein besonders sensibler Punkt sind hier auch die Finanzen – wie werden Betriebs- und Lebenshaltungskosten fair aufgeteilt? Geben und Nehmen sollten – über die einzelnen Bereiche hinweg – eine ausgeglichene Bilanz haben.
Niemand hält es aus, auf Dauer beschenkt zu werden, da sind Abwehr-Konflikte vorprogrammiert. Es kann sinnvoll sein, regelmäßig – ohne akuten Anlass – eine Familienvollversammlung einzuberufen, um anstehende Fragen zu klären, bevor es zu einer Eskalation kommt.
Hier tun sich neu gegründete Mehr-Generationen-Häuser natürlich schwerer als beispielsweise bäuerliche Familien, die schon aus einem reichen Erfahrungsschatz und Traditionen schöpfen können, und diese „nur“ an die aktuelle Situation anpassen müssen.
Besonders herausfordernd ist diese Wohnform für jene, deren eigene Eltern mit an Bord sind. Das kann zu einem Loyalitätskonflikt und zu einer Zerreissprobe in der eigenen Partnerschaft führen.
Doch mit guten Regeln kann es für alle ein Gewinn sein. Sonst würden nicht immer mehr Wohnbauträger darauf achten, dass es auch in neuen Siedlungen eine gute Mischung der Generationen gibt – Altersheim und Kindergarten profitieren beide von der räumlichen Nähe.
Dr. jur. Brigitte Ettl
hat am Wiener Schwedenplatz eine Praxis für Psychotherapie, Wirtschaftscoaching und Mediation.
Tel: 0676/431 40 74
oder Internet: www.brigitte-ettl.at
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