Michael Prüller ist Chefredakteur des Sonntags - die Zeitung der Erzdiözese Wien, Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn und Leiter des Amts für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation.
Michael Prüller ist Chefredakteur des Sonntags - die Zeitung der Erzdiözese Wien, Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn und Leiter des Amts für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation.
Heute denken die Leute: Ich bin der Herr meines Lebens, wozu brauche ich die Kirche?
Im internationalen Magazin Newsweek ist gerade ein Artikel erschienen mit dem Titel: „Wo sind all die Protestanten hin?“ Beschrieben wird die Situation der evangelischen Kirche in ihrer Urheimat, in Thüringen – da, wo Martin Luther die Reformation begonnen hat.
Die Zahl der Evangelischen ist dort schon in der DDR-Zeit stark zurückgegangen. Aber auch nach dem Ende der Mauer hat der Rückgang entgegen ersten Hoffnungen nicht aufgehört. Ein Bischof sagt dazu: „Zur Kirche zu gehören, hat früher geheißen, einen Standpunkt zu beziehen, zu sagen: Daran glaube ich, und ich nehme die Konsequenzen auf mich. Heute denken die Leute: Ich bin der Herr meines Lebens, wozu brauche ich die Kirche?“
Mich hat das nachdenklich gemacht. Auf den Punkt gebracht sagen die Erfahrungen aus Thüringen doch: Unter dem Kommunismus ging es der Kirche schlecht. Aber auch unter den Bedingungen der Freiheit blüht sie nicht auf. Selbst wenn sie all das hat, was bei uns Katholiken oft als der Schlüssel zum Erfolg gesehen wird: verheiratete Pastoren, Pastorinnen, eine andere Sexualmoral usw.
Uns alten Staatskirchen, ob katholisch oder evangelisch, geht es allen ziemlich gleich schlecht. Oder gleich gut: Ich glaube nämlich, dass nicht Zwang und Druck (in welche Richtung auch immer) der angemessene Raum für den Glauben und damit auch für die Kirche sind, sondern die Freiheit. Wir müssen nur erst lernen, die dazu passende Form von Kirche zu entwickeln. Wir sind nicht am Ende – sondern immer noch ganz am Anfang.
Leitartikel 2. März 2014