Michael Prüller ist Chefredakteur des Sonntags - die Zeitung der Erzdiözese Wien, Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn und Leiter des Amts für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation.
Michael Prüller ist Chefredakteur des Sonntags - die Zeitung der Erzdiözese Wien, Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn und Leiter des Amts für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation.
Nicht den ersten Stein zu werfen, in dieser Hinsicht ist Österreich heute christlicher als früher.
Die gute alte Zeit gab es nie. Dieser Tage haben die Medien ausführlich über ein ehemaliges Heim für ledige Mütter in irischen Ort Tuam berichtet.
Eine Historikerin hat nachgeforscht, dass von 1925 bis 1961 dort 792 Kinder gestorben sind. Sie kamen ohne jede Kennzeichnung in ein Massengrab am Rand des Anwesens.
Ich weiß nicht, ob ein Jahresschnitt von 22 Todesfällen in einem großen Säuglingsheim viel oder wenig war. Die Berichte zeigen jedenfalls ein erschütterndes Bild, wie man damals vorgegangen ist.
Die Nonnen, die das Heim betrieben, nahmen die neugeborenen Kinder weg, um sie bis zu einer Adoption zu pflegen. Die Mütter mussten die Kosten durch unbezahlte Arbeit abdienen. Und wenn ein Kind starb, war es nicht einmal ein Grabkreuz wert.
In Österreich hatten Initiativen für ledige Mütter, etwa die der seligen Hildegard Burjan, oft ein menschlicheres Gesicht. Aber trotzdem war eine uneheliche Geburt vielfach der soziale Tod einer Frau.
Sogar die Kinder, völlig unschuldig, hat man das als „ledige Bankerts“ spüren lassen. Noch bis ins 20. Jahrhundert war die Sterblichkeit unehelicher Kinder erschreckend hoch.
Dass heute in Österreich die Eltern von 40 Prozent aller Neugeborenen nicht verheiratet sind, ist traurig – für die Kinder, die Mütter, die Väter. Dass sie aber von der Gesellschaft nicht mehr abgelehnt und verachtet werden, ist ein Fortschritt. Auch im Glauben, der uns untersagt, den ersten Stein zu werfen. In dieser Hinsicht ist Österreich heute christlicher als früher.