Dass Kirchenmitglieder der Argumentation ihrer Bischöfe nicht folgen, ist freilich keine Premiere
Dass Kirchenmitglieder der Argumentation ihrer Bischöfe nicht folgen, ist freilich keine Premiere
Es ist so etwas wie das Merkmal einer Zeitenwende.
In Irland hat sich eine Mehrheit von 62,1 Prozent dafür ausgesprochen, dass die Ehe nicht nur eine Sache von Mann und Frau ist.
Die katholischen Bischöfe hatten im Vorfeld versucht, die katholische Sicht darzustellen: Die Ehe als Basis der Familie ist seit jeher die Schnittmenge von Liebe und Fortpflanzung – und baut daher darauf auf, dass sich das Ehepaar aus beiden Geschlechtern zusammensetzt.
Wenn zwei Männer oder zwei Frauen nicht heiraten können, dann weil die notwendige Ergänzung der Geschlechter fehlt und nicht, weil sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht ehewürdig wären.
Dass eine fundamentale Veränderung dieses Eheverständnisses tiefgreifende Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft haben wird, war auch die Argumentationslinie der vielen Laien, die sich für ein „Nein“, also für die Beibehaltung der traditionellen Ehe eingesetzt haben.
Trotzdem hat dann eine satte Mehrheit der Iren, die sich zu 80 Prozent zur katholischen Kirche bekennen, für „Ja“ gestimmt.
Viele von ihnen sicher deswegen, weil sie ein „Eheverbot“ als Herabsetzung homosexueller Mitbürger empfinden.
Manche vielleicht aber auch, weil sie ein Zeichen gegen die Art und Weise setzen wollten, wie über lange Zeit die moralische Autorität der Kirche in Irland handgehabt wurde. Und gegen die Art und Weise, wie diese Autorität von Kirchenleuten missbraucht und wie dieser Missbrauch gedeckt wurde.
Dass Kirchenmitglieder der Argumentation ihrer Bischöfe nicht folgen, ist freilich keine Premiere. Dass sie es aber in so großer Schar im früher „erzkatholischen“ Irland tun, ist schon bemerkenswert.
Auch wenn man die Euphorie der „Ja“-Betreiber nicht teilen will: Es ist so etwas wie das Merkmal einer Zeitenwende.
Michael Prüller ist Chefredakteur des „Sonntag“ und Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.
Seit fast 30 Jahren ist er Journalist, Ehemann und Vater.
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