Wie geht es den Menschen damit, wenn Religion verpönt ist? Heute im Gerichtssaal, morgen im Klassenzimmer, übermorgen auf öffentlichen Plätzen, dann im Festtagskalender und irgendwann überhaupt?
Wie geht es den Menschen damit, wenn Religion verpönt ist? Heute im Gerichtssaal, morgen im Klassenzimmer, übermorgen auf öffentlichen Plätzen, dann im Festtagskalender und irgendwann überhaupt?
Seit 20 Jahren gibt es die Diskussion, ob Kreuze im Gerichtssaal etwas verloren haben. Beim Aufsehen erregenden Tierschützerprozess in Wiener Neustadt im Jahr 2010 hatte das Kreuz einen Angeklagten sogar so gestört, dass er – damals erfolglos – beantragt hatte, es zu entfernen.
Zuerst waren es vor allem kämpferische Atheisten, die sich gegen religiöse Symbolik im Gerichtssaal gewendet haben. Jetzt, wo der Islam bei uns immer alltäglicher wird, hat sich die Regierung angeschlossen und eine Grundsatzentscheidung getroffen: Gerichtssäle haben neutral zu sein – daher dürfen Richter und Staatsanwälte künftig keine Kleidung mehr tragen, die ihr Glaubensbekenntnis verrät.
Das richtet sich natürlich in erster Linie gegen das Kopftuch und den sichtbaren Islam und soll zeigen, dass die Regierung eh was „dagegen“ tut. Aber es bedeutet, dass nicht nur friedliche Musliminnen, sondern auch jüdische Gerichtsbeamte oder Sikhs ihre Kopfbedeckungen nicht mehr tragen dürfen.
Wenn sie ihrem Selbstverständnis treu bleiben wollen, gibt es für sie keinen Job mehr im österreichischen Gerichtswesen. Christen haben es da besser, weil unsere Bekleidungsnormen mit der europäischen Tradition konform gehen, die nun als Inbegriff der Neutralität gilt. Nur das Kreuz, das Zeichen einer höheren Instanz der Wahrhaftigkeit, das hat in einem religiös leergeräumten Saal dann auch keinen Platz mehr.
Die Kirche kann auch ohne christliche Symbolik im Gerichtssaal leben. Aber wie geht es den Menschen damit, wenn Religion verpönt ist? Heute im Gerichtssaal, morgen im Klassenzimmer, übermorgen auf öffentlichen Plätzen, dann im Festtagskalender und irgendwann überhaupt? Haben das die Leute bedacht, die den Islam ins Visier nehmen, dabei aber alle Religionen gleichermaßen treffen?
Dr. Michael Prüller ist Kommunikationschef der Erzdiözese Wien und Geschäftsführer der St. Paulus-Medienstiftung.
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