John Allen Chau auf dem Weg zur North Sentinel-Insel, auf der er getötet wurde
John Allen Chau auf dem Weg zur North Sentinel-Insel, auf der er getötet wurde
Ein junger Amerikaner stirbt beim Versuch, einem völlig abgeschotteten steinzeitlich lebenden Inselvolk den christlichen Glauben zu bringen. Ein großes Vorbild – oder ein tragisches Beispiel, wie man’s nicht machen soll?
Geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern“, gibt Jesus seiner Kirche als Auftrag. Seit er in seiner Schulzeit vom winzigen Volk der Sentinelesen gehört hatte, wollte der Amerikaner John Allen Chau ihnen das Evangelium bringen. Dabei hat er nun den Tod gefunden. Um diesen Fall aufzugreifen, der viele bewegt, ist meine Kolumne diesmal umfangreicher.
Die Sentinelesen – man schätzt sie auf nur noch 50 bis 200 – bewohnen eine Insel im Indischen Ozean und haben seit urdenklichen Zeiten keinen Kontakt zur Außenwelt. Man kennt nicht einmal annähernd ihre Sprache.
Einige Male sind Schiffbrüchige, Forscher und Beamte dort gelandet. Sie wurden schnell vertrieben oder gleich umgebracht, wie 2006 zwei gestrandete Fischer.
Chau war bei der überkonfessionellen Initiative „All Nations“, die die Kirche bei den „vernachlässigten Völkern“ aufrichten möchte.
Von Fischern ließ er sich am 15. November illegal zu der Insel bringen und probierte drei Tage lang, mit einem Kanu das Ufer zu erreichen. Die Ureinwohner beschossen ihn mit Pfeilen, zerstörten sein Boot.
Am dritten Tag kam er nicht mehr zurück. Die Fischer beobachteten, wie ein Mensch am Strand begraben wurde.
Ich musste da an Franz von Assisi denken, der so gern unter den Muslimen seiner Zeit gelebt hätte, um sie durch das persönliche Beispiel zu Christus zu bekehren.
Er hat in seiner Regel dem Kapitel 16 über das Leben unter Ungläubigen das Christuswort an den Anfang gesetzt:
„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“
Und als Franziskus in Ägypten klar wurde, dass er hier nicht geduldet würde, kehrte er nach Italien zurück. Klug wie die Schlangen war John Allen Chau wohl nicht, er war auch überhaupt nicht vernünftig auf eine solche Kontaktaufnahme vorbereitet.
Die heißeste Frage ist vielleicht, ob es richtig ist, ein völlig isoliertes Volk, das auch isoliert bleiben will, als Missionar zu besuchen. „Ihr hält mich wohl für verrückt, aber ich glaube, es steht dafür, diesen Menschen von Christus zu erzählen“, hat Chau in sein Tagebuch geschrieben.
Ich denke, er hat prinzipiell Recht. Wenn wir glauben, dass durch Christus die Menschheit erlöst ist, dass jedes Leben seinen Sinn und seinen Wert hat, dass am Ende alles Gut wird, dann ist es das auch wert, weitergesagt zu werden. Auch um den Preis des eigenen Lebens.
Aber auch des Lebens derer, die man mit der Frohen Botschaft beschenken will? Immerhin hätte er Krankheitserreger einschleppen können, die das ganze Volk umbringen. Es spricht alles gegen eine solche Hau-Ruck-Missionsaktion.
Eines macht mich noch nachdenklich: Man muss keine Angst haben, dass die Sentinelesen ohne Taufe nicht in den Himmel kommen könnten.
Aber es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass sie jetzt schon im Paradies leben. Vielleicht sind sie in ständiger Angst vor Naturgeistern, inmitten ritualisierter Gewalt, in schwerer Depression über ihr langsames Aussterben. Wer weiß, ob unsere Idee von Idylle auf sie zutrifft?
Und was das Wort Gottes in ihren Herzen aufrichten könnte? „Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund!“ – dieser Fall ist eine gute Gelegenheit, sich zu fragen: Glaube ich wirklich daran? Chau hat das offensichtlich getan, und er ist dafür gestorben. Ein Märtyrer ist er, denke ich, jedenfalls.
Dr. Michael Prüller ist Kommunikationschef der Erzdiözese Wien und Geschäftsführer der St. Paulus-Medienstiftung.
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