Univ.-Prof. DDr. Matthias Beck lehrt Moraltheologie an der Universität Wien.
Univ.-Prof. DDr. Matthias Beck lehrt Moraltheologie an der Universität Wien.
Univ.-Prof. Matthias Beck über die unterschiedlichen Positionen und auch die Gemeinsamkeiten der Religionen im Bereich der Bioethik. Und warum die Religionen gegenüber den großen Heilsversprechen der Biomedizin eher zurückhaltend sind. Eine Serie im "SONNTAG".
Der Sonntag: Welche Positionen vertreten die monotheistischen Religionen im Bereich der Bioethik?
Matthias Beck: Da gibt es viele Themen. Nehmen wir nur eines heraus: die Fragen der Embryonenforschung und der Reproduktionsmedizin. Die Muslime haben noch die alte aristotelische Beseelungstheorie, dass der Mensch sich erst zu einem Menschen entwickelt und nicht als Mensch: vom Pflanzen- über ein Tier- bis hin zum Menschenstatus. Die Juden gehen auch davon aus, dass der Mensch nicht von Anfang an ein Mensch ist. Daher haben beide Religionen weniger Probleme mit embryonaler Stammzellforschung (Embryonen sind fünf Tage alt) und gehen mit dem Lebensschutz eher gestuft um.
Gibt es Unterschiede zu den asiatischen Religionen?
Ja, sehr große. Das geht schon mit der Reinkarnationslehre los. Wir sprechen vom Lebensbeginn und Lebensende, Asiaten fragen eher, wie es weiter geht in der nächsten Inkarnation, wie viel Karma man anhäuft, wenn man z. B. die Totenruhe stört bei Organentnahmen. Wir im Westen haben ein lineares Zeitverständnis, Asien ein zirkuläres. Wir haben eine Hochschätzung des Individuums mit Begriffen wie Menschenwürde und Menschenrechte. Das hat auch mit dem Christentum zu tun. Paulus: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Bei der Auferstehung gewinnt der Einzelne immer mehr seine Identität, in Asien löst sich das Individuum eher in einem Einheitsbewusstsein auf. Der Personbegriff sowie unsere Vorstellungen von „Ich“ und „Du“ sind in Asien schwer zu vermitteln.
Wenn Gott ein Freund des Lebens ist, wie kann es dann unter Christen unterschiedliche Auffassungen zur Bioethik geben?
So groß sind die Unterschiede nicht. Aber nehmen wir wieder die Reproduktionsmedizin: Die katholische Kirche lehnt die Befruchtung im Reagenzglas (IVF) grundsätzlich ab, die evangelische Kirche ist zwar skeptisch, spricht aber kein klares Verbot aus. Wenn der Nachwuchs immer weniger wird, die Spermienqualität der Männer abnimmt und das Alter der Frauen zunimmt, müsste man sie vielleicht doch für ein neues Leben zulassen. Aber hier stellen sich viele Fragen mit überzähligen Embryonen und vieles mehr. Bei der Frage der aktiven Tötung sind doch die meisten Christen einer Meinung und lehnen sie ab. Es kann sein, dass man aus derselben christlichen Grundhaltung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt.
Wie anschlussfähig sind katholische Positionen in der Bioethik, dass auch Nichtkatholiken ihren Wert nachvoll-ziehen bzw. ihnen zustimmen können?
Das hängt von der Güte der Argumentation ab. Auch hier bietet sich die IVF als Beispiel an. Die Hauptargumentation der katholischen Position bei der IVF ist, dass nur durch das Zusammensein von Mann und Frau ein neues Kind entstehen soll und nicht durch die Intervention eines Arztes im Labor. Der Sinngehalt zwischen der liebenden Vereinigung von Mann und Frau und der Zeugung von Nachkommen soll nicht auseinandergerissen werden. Ob das auch für Nicht-Katholiken verständlich ist, sei einmal dahingestellt.
Oft wirkt die katholische Kirche wie die einsame Ruferin in der Wüste...
Wenn man die heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse hernimmt, zeigt sich ein ambivalentes Bild: Es gibt wohl inzwischen über 20 Millionen IVF-Kinder weltweit. Die Zahlen sind Schätzungen, da selbst Österreich nach wie vor kein gesichertes Register hat. Für viele Familien ist das segensreich. Andererseits gibt es auch Probleme mit Schäden bei den Kindern, einer großen Belastung für die Frauen, Risikoschwangerschaften und vieles mehr. Auch die Nährlösungen, in denen die Embryonen etwa sechs Tage schwimmen und die mit stark wirksamen Antibiotika durchsetzt sind, führen womöglich zu Schäden.
Zusammengefasst: Die Katholische Kirche hat 1987 eine klar ablehnende Stellung eingenommen gegen die IVF. Heute sieht man, dass manches daran richtig war und heute naturwissenschaftlich untermauert werden müsste. Ebenso war es bei der embryonalen Stammzellforschung. Die Kirche und viele andere haben gesagt: Keine Forschung mit menschlichen Embryonen. Heute zeigt sich empirisch, dass es bisher keine Therapien mit embryonalen Stammzellen gibt. Mit einer guten Argumentation aus philosophisch-theologischer Perspektive und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen könnten auch Nichtkatholiken eine katholische Argumentation verstehen.
Warum sind Religionen gegenüber den Heilsversprechen der Bioethik und Wissenschafts-Lobby eher zurückhaltend?
Die Naturwissenschaften haben von ihren Methoden her schon ein eingeschränktes Gesichtsfeld. Sie betrachten die Welt eindimensional nur nach den Kriterien des Experimentes, der Wiederholbarkeit und der Messbarkeit. Gute Geistes- und Naturwissenschaftlicher haben aber doch erkannt, dass die Welt komplexer und komplizierter ist und vermeintlich einfache biomedizinische Maßnahmen doch viele ethische Fragen aufwerfen. Was auf den ersten Blick oft erfolgversprechend aussieht, ist es auf den zweiten nicht mehr.
Was sagen die Religionen zur Tyrannei des gelingenden Lebens?
Tyrannei ist ein hartes Wort. Aber es stimmt schon, dass es jemanden unter Druck setzen kann, dass das Leben gelingen muss. Hat der Mensch nicht auch ein „Recht“ zu scheitern? Vielleicht schon, aber letztlich will das niemand. Es geht also nicht darum, dass von außen diese Tyrannei an den Menschen herangetragen wird, sondern dass er es von innen her nicht wirklich will. Und so sehen es wohl auch die meisten Religionen: Das Judentum sagt den Menschen immer wieder, dass sie die Zehn Gebote Gottes halten sollen, damit sie ihre Freiheit nicht wieder verlieren. Und so auch in den anderen Religionen. Und dennoch wissen alle Religionen um die Zerbrechlichkeit des Seins und der Gefahren des Scheiterns.
bisher erschienene Artikel aus der 9-teiligen Bioethikserie des "SONNTAG"
Prof. Günther Pöltner über den Beginn des menschlichen Lebens, grundlegende Kriterien der Bioethik und die Menschenwürde.
Schwerpunkt
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Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien