Das kleine und das große Glück hängen eng zusammen, so Kardinal Schönborn in seinem Buch "Vom geglückten Leben".
Das kleine und das große Glück hängen eng zusammen, so Kardinal Schönborn in seinem Buch "Vom geglückten Leben".
Kardinal Christoph Schönborn über die Menschen und ihre Sehnsucht nach Glück.
Versuchen wir, mit einfachen Schritten den Wegen des Glücks nachzugehen. Ich sehe zwei Etappen auf diesem Weg. Ich nenne sie einfach: das kleine Glück und das große Glück. Ich bin überzeugt, dass beide eng zusammenhängen. Die Versuchung ist groß, das kleine Glück gering zu achten, als spießbürgerlich, als unspirituell, als unheroisch. Dabei ist das kleine Glück die Vorschule des großen Glücks, es liefert dazu eine gewisse Vorahnung, einen Vorgeschmack. Unter kleinem Glück verstehe ich jene Freuden des Lebens, die ein wenig Licht in den oft allzu grauen Alltag bringen: ein gutes Essen, ein erquickender Schlaf, ein frisches Glas Bier an einemheißen Sommertag, eine Partie Kartenspielen am Sonntag.
Wer solch kleine Freuden nicht genießen kann, wird auch am großen Glück vorbeigehen. Ideologen aller Schattierungen haben allezeit das "kleine Glück" verachtet und ein angeblich "großes Glück" verheißen. Die 68er-Generation hat die Freuden des kleinen Glücks als spießbürgerlich verachtet. Doch liegt in dieser Verachtung etwas zutiefst Unmenschliches.
Man machte – und macht sich immer noch – über das "Glücksstreben" (the pursuit of happyness), das in der amerikanischen Verfassung verankert ist, lustig und vergisst dabei, dass es eine vorrangige Aufgabe des Staates ist, jene Rahmenbedingungen zu sichern, die dem kleinen Glück im Lebender Menschen genug Raum geben. Das große Glück ist nicht die Aufgabe des Staates, wie die Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts, insbesondere der Marxismus, es sich zum Ziel gesetzt hatten. Es ist schon viel erreicht, wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse so geordnet sind, dass möglichst viele Menschen ein halbwegs glückliches Leben führen können.
Dem eu-zèn, dem "guten Leben", zu dienen, ist nobelste Aufgabe der Politik; sie soll kein Paradies auf Erden schaffen wollen, denn die Erfahrung hat gezeigt, dass dies zu den Gulags führt. Sie soll nach der klassischen Sicht des Aristoteles ein gewisses Wohlleben den Menschen ermöglichen und fördern. Man kann das amerikanische Imperium in vielen Punkten kritisieren, dennoch ist eines evident: Immer noch wollen Menschen in der ganzen Welt diesen way of life, weil sie sich davon mehr happiness, mehr Glück erwarten als von den Lebensbedingungen, unter denen sie in ihren Heimatländern zu leben haben. Und ist es etwas Böses, ein "Wirtschaftsflüchtling" zu sein, wenn man bessere Lebensbedingungen sucht?
Die Italiener, die in die USA oder nach Argentinien ausgewandert sind, haben dort "ihr Glück versucht", ebenso die Polen, die in die USA oder ins Ruhrgebiet auf Arbeitssuche gegangen sind.
Gedanken zum Aufatmen Was es bedeutet, dass alle Menschen für das Glück geschaffen sind, vermittelt Kardinal Christoph Schönborn in seinem Buch. Es bringt wesentliche Texte, beispielsweise die Predigten bei den Dankgottesdiensten zum 90. und 95. Geburtstag von Otto Habsburg im Stephansdom oder Schönborns im Burgtheater vorgetragene Deutung von Shakespeares "Maß für Maß". In allem ist es ein Buch zum Aufatmen.
Christoph Schönborn
Vom geglückten Leben
Herausgegeben von Hubert Philipp Weber
Verlag Amalthea Signum
ISBN: 978-3-85002-644-4
250 Seiten gebunden
Preis 17,90 Euro
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