Vor lauter Psyche bleibt oft die Seele außer Acht.
Vor lauter Psyche bleibt oft die Seele außer Acht.
Ob Sigmund Freud mit dem Interview-Buch von Raphael Bonelli seine Freude hätte? Jein!
In Wien, der Stadt, in der Sigmund Freud die Psychoanalyse begründet hat, ein Plädoyer für ein friedliches Miteinander von Psychotherapie und Religion zu halten, grenzt an Mut. Hatte doch Freud die Religion als kollektive Zwangsneurose bezeichnet.
Eine Interviewsammlung, herausgegeben von Victoria Bonelli, „Der Glaube auf der Couch“ , bringt eine sehr gute Hinführung zum Denken des Neurowissenschaftlers, Psychiaters und systemischen Psychotherapeuten Raphael Bonelli („Sonntag“-Leserinnen und Lesern von einigen Interviews in den letzten Jahren bekannt) .
Das Buch versammelt Artikel und Interviews sowie Bonellis Erfahrungen als Arzt und Therapeut. Die sechs Kapitel handeln von den großen seelischen Problemzonen der Gegenwart: Religion und Psyche, Selbsterkenntnis und Schuldgefühle, Tugenden, Sexsucht (in Verbindung mit dem Internet), Zölibat und Gehorsam sowie antireligiöse Affekte.
Psychotherapie sollte Religiosität als positive Kraft verwenden, ohne sie zu manipulieren, ist Bonelli überzeugt.
Drei Grenzüberschreitungen könne es dabei geben: die Psychologisierung der Schuld, bei der die persönliche Verantwortung verloren geht, die Mechanisierung der Sexualität sowie die Dogmatisierung des Gefühls, bei dem Werte und Bindungen an Bedeutung verlieren zugunsten einer subjektiven Befindlichkeit.
Mit anderen Worten: Vor lauter Psyche bleibt oft die Seele außer Acht. Dem Seelsorger gehe es um das „Seelenheil“, um eine gelingende Gottesbeziehung, dem Psychiater um die psychische Gesundung: So bringt Bonelli die unterschiedlichen Aufgabenfelder von Psychotherapie und Seelsorge auf den Punkt.
Für Sie gelesen von: Stefan Kronthaler / Der Sonntag
Raphael M. Bonelli Der Glaube auf der Couch
Plädoyer für ein friedliches Miteinander von Psychotherapie und Religion |
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