Folke Tegetthoff schreibt Märchen für Kinder und Erwachsene und möchte die Kommunikation in den Familien fördern.
Folke Tegetthoff schreibt Märchen für Kinder und Erwachsene und möchte die Kommunikation in den Familien fördern.
Die größte Sehnsucht des Menschen ist es, jemanden zu finden, der zuhört, meint der Märchendichter und -erzähler Folke Tegetthoff. Warum Geschichten für Kinder unverzichtbar sind und wie Gott sich in seinem Leben bemerkbar zu machen scheint, obwohl er nicht an ihn glaubt, erzählt er im Sommergespräch.
Vor bald 40 Jahren haben Sie Ihr erstes Buch, „Der schöne Drache“, geschrieben. Erinnern Sie sich noch an die allerersten Geschichten Ihres Lebens, die Ihnen als Kind erzählt oder vorgelesen wurden?
Folke Tegetthoff: An eine bestimmte Geschichte kann ich mich nicht erinnern. Woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich sehr früh mit dem Geschichtenerzählen in Kontakt kam. Meine ältere Schwester hat mir jeden Abend, bis ich zwölf Jahre alt war, eine Geschichte erzählt.
Es gab kein Zu-Bett-Gehen ohne Geschichte. Dieses Ritual war für mich sehr prägend.
Märchen sind für Sie keine Flucht aus der Wirklichkeit, sondern „eine Sehnsucht nach der Wirklichkeit“. Wie verstehen Sie das?
Folke Tegetthoff: Das Märchen beschreibt unseren Alltag. Es schafft eine Sensibilisierung für mein Umfeld, für alles, was mich umgibt.
Dadurch, dass es losgelöst ist von Zeit und Raum und im Grunde genommen alles tun und bewegen kann, was es will – es kann Steine sprechen oder Bäume fliegen lassen –, habe ich eine unglaubliche Möglichkeit, die Menschen in deren eigene Phantasiewelt hineinzuholen.
Ein gutes Märchen ist nichts anderes als Leinwand, Pinsel, Farbe. Die Geschichte – das Bild – muss der Betrachter bzw. der Zuhörer oder Leser sich selbst schaffen.
Wie finden Sie Ihre Geschichten oder wie finden die Geschichten zu Ihnen?
Folke Tegetthoff: Ganz einfach: Indem ich versuche, sehr bewusst zu leben. Das Zauberwort heißt für mich „Wahrnehmung“.
Unser gesamtes Leben, alles, was uns als Mensch ausmacht, hat seine Basis in diesem Wort: dass ich meine Umgebung, die Wirklichkeit, die Wahrheit wahrnehme, sie bearbeite, verarbeite und verstehe. Wenn man das tut, kommen die Geschichten ganz von alleine, da braucht man nichts erfinden – ich habe bis jetzt keine einzige meiner Geschichten erfinden müssen.
Es ist immer wieder der Versuch, alles das, was wir zur Gewohnheit haben werden lassen, neu zu entdecken und sich des Wunders, das darin liegt – und es liegt in jeder Sache, die uns begegnet, ein Wunder –, bewusst und über jede Kleinigkeit sehr dankbar zu sein. Dann entstehen wie von alleine Geschichten.
Sie leben in einem ehemaligen Kloster in der Steiermark, und Gott kommt in vielen Ihrer Geschichten vor. Würden Sie sich als religiös bezeichnen?
Folke Tegetthoff: Nein, ich bin Atheist geworden. Je mehr ich mich mit Religionen beschäftigt habe, desto klarer wurde mir, dass dieses Gottesbild so nicht existieren kann – für mich.
Aber in fast jedem meiner Bücher kommt Gott vor. Manchen Lesern bin ich deshalb zu religiös. Das ist für mich ein unglaublich interessanter Widerspruch.
Ich leben in der Südsteiermark in einem ehemaligen Kloster. Drei unserer Kinder wurden in einer alten Mühle geboren, wo wir unter der Voraussetzung leben durften, dass wir die Kapelle, die zum Haus gehörte, umsorgen.
Seit fünf Jahren leben wir auch in Piran, in Slowenien. Und wo? Im Pfarrhaus, in einer Dreier-WG mit dem Pfarrer. Also es verfolgt mich! (lacht)
Es ist so, als ob da oben doch jemand ist, der sagt: Mehr Zeichen kann ich dir nicht geben, jetzt hör doch endlich hin!
Sie werden in viele Länder als Redner eingeladen. Bei einem dieser Vorträge haben Sie schlagartig erkannt: Es gibt keine größere Sehnsucht des Menschen, als jemanden zu finden, der einem zuhört.
Folke Tegetthoff: Der Satz klingt so einfach, aber für mich ist er ein Stein der Weisen geworden. Als ich begonnen habe, über seine Bedeutung nachzudenken, hat sich für mich eine Wunderwelt, ein neues Universum aufgetan.
Der Satz sagt nichts anderes, als dass das Gegenüber das Wichtige ist. Meine Rede ist völlig umsonst, wenn niemand da ist, der zuhört.
Dieser Satz ist ein Denkmal gegen den Egoismus, denn wir sind eine redende Gesellschaft geworden, jeder will nur sein Ding loswerden und plappert darauf los. Und jeder von uns kennt das Gefühl, dass man ihm nicht zuhört.
Mit Ihrer Online-Geschichtensuchmaschine geschichtenbox.com möchten Sie die Kommunikation in der Familie fördern. Sehen Sie da einen „Notstand“?
Folke Tegetthoff: Wir stehen vor einer Katastrophe unfassbaren Ausmaßes: Die Sprachlosigkeit zwischen Eltern und Kindern wird immer größer.
Sprachgewandheit, Zuhörfähigkeit, Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit, auch soziale Fähigkeiten werden durch die Kommunikation in der Familie geübt. Wenn das verloren geht, werden wir unsere Gefühle nur noch über Zeichen per SMS ausdrücken – und soweit sind wir ja schon. Dem muss unbedingt etwas entgegengesetzt werden.
Es kann mir niemand erzählen, dass er nicht zwei Minuten am Tag Zeit hat, um seinem Kind eine Geschichte zu erzählen.
Das sind die schönsten Momente unserer Kindheit, wo man Wärme, Liebe spürt, Zeit und Aufmerksamkeit schenkt.
Das ist das Größte und Wichtigste, das wir unseren Kindern geben können. Nicht der Fernseher im Kinderzimmer, das Fahrrad, das neueste Handy, sondern Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe, danach sehnen sich unsere Kinder. Und das einfachste Werkzeug, um Kindern das zu geben, ist eine Geschichte.
Folke Tegetthoff hat nach eigenen Schätzungen zwischen 250 und 300 Märchen geschrieben, vor allem für Erwachsene. In vielen Ländern hält er Vorträge, unter anderem über das Zuhören.
Verschiedene Religionen und Kulturen bringt er seit 1988 Jahr für Jahr beim Internationalen Storytelling Festival zusammen, heuer fand es erstmals an vier Standorten in Österreich statt.
2010 entwickelte Folke Tegetthoff die Online-Geschichtensuchmaschine geschichtenbox.com, daraus entstand die Aktion Kinderärzte machen mobil, mit der die Kommunikation zwischen Kindern und Eltern gestärkt werden soll.
Die Sehnsucht nach dem Zuhörer. Folke Tegetthoff im Sommergespräch mit Monika Fischer.
Mo, 4. Juli, 17.30 Uhr auf radio klassik Stephansdom.
Folke Tegetthoff
2008, Nymphenburger
Auflage: 5. Auflage
Hardcover
112 Seiten
ISBN: 978-3-485-01213-3
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
Folke Tegetthoff
2014, Tyrolia
Zeichnungen von Jakob Kirchmayr
Hardcover
192 Seiten
ISBN: 978-3-7022-3334-1
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