Psychische Auffälligkeiten in der Gesellschaft nehmen zu. Das belastet besonders Priester und Diakone in Beratungs- und Beichtgesprächen. "Die Menschen erwarten sich von Priestern sehr, sehr viel erwarten, teilweise erwarten sie sich Wunder. Daher: Passen Sie auf!", so die Psychotherapeutin Anneliese Fuchs. Sie leitet die "Initiative für dynamische Persönlichkeitsentwicklung" und hat in Kooperation mit dem Pastoralamt der Erzdiözese Wien erstmals den Lehrgang "Die Seele verstehen" durchgeführt.
Die zweijährige Ausbildung richtet sich an Priester und Diakon und bietet eine Auseinandersetzung mit der Psychopathologie. Seelsorger sollen Sicherheit für Beratungsgespräche gewinnen, die Grenzen ihrer Zuständigkeit erkennen lernen, entlastet und zu professioneller Arbeit befähigt werden. Die Teilnehmer des ersten Lehrgangs - acht Priester und drei Diakone - erhielten am Donnerstag, 22. November 2012, ihre Zertifikate.
"Leihen Sie Armen und Kranken Ihr Ohr, aber seien Sie professionell und merken Sie, wo ihre Grenzen", sagte die Psychotherapeutin Anneliese Fuchs in einem Vortag im Rahmen der Zertifikatsverleihung. Sie berichtete unter anderem von einem Priester, der jahrelang in jeder freien Minute Gespräche mit einem depressiven Menschen führte: "Das ist keine Hilfe, das ist Pfusch!", warnte die Therapeutin.
Die Lehrgangsteilnehmer haben den Kurs als Bereicherung erfahren: "Ich habe keine Angst mehr vor Konflikten, ich sehe sie als Herausforderung und bin gelassener geworden", berichtet der Pfarre von Edlitz, Ulrich Dambeck. "Ich merke eine wachsende Selbsterkenntnis meiner eigenen Motive und Denkstrukturen und habe mehr über mich selbst erfahren." Zwar sei klar, dass es sowohl in der Psychologie als auch in der Theologie "um den Menschen gehe", aber die Theologie dürfe nicht über psychologische Detailproblem urteilen, genauso wenig wie die Psychologie über die Wahrheit von Glaubensaussagen urteilen dürfe. Es gelte das Sprichwort: "Schuster bleib bei deinem Leisten", so Pfarrer Dambeck.
"Kann man Seele wirklich verstehen?", fragte Generalvikar Nikolaus Krasa, der die Zertifikate überreichte. Die Seele sei der Lebensatem, in dem Gott wirke: "Ganz verstehen werden wir die Seele nie und doch werden wir - wie bei einem guten Stück Musik - immer wieder etwas Neues daran verstehen", so Krasa. Er betonte, dass es wichtig sei, dass der Lehrgang "Die Seele verstehen" ein weiteres Mal angeboten wird. Der nächste Lehrgang findet 2013 statt, ist allerdings bereits ausgebucht.
Die Idee zum Lehrgang geht unter anderem auf Weihbischof Stephan Turnovszky zurück, der bis vor kurzem für die Priesterbegleitung in der Erzdiözese Wien zuständig war, sowie auf den früheren Generalvikar Franz Schuster und Günter Nocker, der im Pastoralamt den Bereich Personalentwicklung pastoraler Berufe leitet.
Die Teilnehmer des Lehrgangs waren Michael Ciurej, Moderator der Pfarre Am Schüttel, Ulrich Dambeck, Pfarrer von Edlitz, Leopold Grabler, Diakon von Karnabrunn, Anton Hecht, Diakon der Pfarre Gersthof, Pater Hadrian Hecht OFM, Diakon in Gumpoldskirchen und Biedermannsdorf, Pater Patrick Kofi Kodom SVD, Aushilfskaplan der Pfarre Allerheiligsten Dreifaltigkeit, Pater Michael Lechner COp, Moderator der Pfarre Berndorf, Pater Michael Lidy CSsR, Seelsorger im Haus der Barmherzigkeit, Peter Meidinger, Pfarrer in Piesting, Eduard Schipfer, Pfarrer von Gänserndorf, und George Van Horick, ehemaliger Pfarrer von Kleinschweinbarth.