Wirtschaft und Entwicklung brauchen ein Umdenken "weg vom Profit und hin zum Menschen und seiner Würde": Diesen Gesinnungswandel hat Erwin Kräutler, der aus Vorarlberg stammende Bischof von Altaminra-Xingu am Dienstag, 30. Oktober 2012, gefordert. Anlass war der "Große Leopold Kunschak-Preis 2012", mit dem Kräutler für seinen Einsatz für die indigene Bevölkerung sowie die rechtlosen Landarbeiter und Kleinbauern in Brasilien ausgezeichnet wurde. "Bleiben Menschen auf der Strecke, geht das gegen mein Gewissen. Jeder muss sich da berufen fühlen, etwas zu tun - das hat nichts mit dem Bischofsamt zu tun", so Kräutler.
Weltweite Aufmerksamkeit erfuhr der Bischof in den vergangenen Jahren durch den Einsatz gegen die Errichtung des weltweit drittgrößten Staudamms "Belo Monte" in seiner Diözese im Amazonas. 80 Prozent des Xingu-Flusses werden dafür abgeleitet und ein Gebiet von mehr als 500 Quadratkilometern Regenwald überflutet. Das zerstört nach den Worten Kräutlers die Lebensgrundlage der indigenen Bewohner, lässt gewachsene Gemeinschaften zerbrechen und zieht eine Massenabsiedlung nach sich. Kritisiert wird auch, dass der Damm wegen langer Trockenzeiten nur ein Drittel der anfangs propagierten Maximalleistung von 11.233 MW erreichen wird können.
Trotz internationaler Proteste wird der Bau derzeit nach mehreren Unterbrechungen fortgesetzt. Ein kompletter Baustopp sei bereits unmöglich, da laut Regierungsangaben bereits jetzt zwei Milliarden Euro "verpulvert" worden seien, gab sich Kräutler desillusioniert.
Scharfe Kritik äußerte der austro-brasilianische Bischof an den beteiligten Errichtungsfirmen wie der österreichischen Andritz AG. "Es geht ihnen nur darum, den Auftrag zu bekommen, die Ethik ist ihnen egal. Sie verweisen auf neue Arbeitsplätze, schieben jedoch völlig zur Seite, dass diese mit Blut erkauft sind. Meines Wissens hat sich bisher niemand von der Firma die Situation vor Ort angesehen."
Appelle seiner Kritiker, die Kirche solle sich lieber auf ihre religiöse Sendung besinnen, kann Kräutler nicht nachvollziehen. "Ich bin nicht für die religiöse Dimension, sondern für die Menschen verantwortlich, denen ich als Bischof zu dienen habe." Auftrag der Kirche sei es im Sinne der Befreiungstheologie vielmehr, sich mit den Armen zu solidarisieren und ihnen zu helfen, aus ihrer misslichen Lage herauszukommen. "Armut ist kein Schicksal, sondern wird durch ein System verursacht, das an den Menschen schuldig geworden ist." Kräutler verwies auf das Konzilsdekret "Gaudium et spes", das schon im ersten Satz die Armen und Bedrängten ins Blickfeld rückt.
Das Zweite Vaticanum ist für Kräutler "nicht abgeschlossen, sondern ein weiterhin bestehender Appell an die Kirche, sich mit den Zeichen der Zeit auseinanderzusetzen und Antworten auf die heutigen Fragen zu geben". Mut sei nötig, um Strukturen, die gegen die Evangelisierung wirken, abzubauen, wobei sich Kräutler besonders eine bessere Nutzung des Potenzials der Laien wünscht. "Neuevangelisierung erfordert, dass Frauen und Männer nicht als ausführende Organe, sondern mitverantwortlich und mitentscheidend in den Gemeinden wirken, um ihre Aufgabe und Sendung in der Kirche zu erfüllen", so der Bischof.
Den "Großen Leopold-Kunschak-Preis" sieht Kräutler als politische Zusage der Unterstützung seines Einsatzes und der Menschen seiner Diözese. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich drüben ganz isoliert meine Arbeit tun könnte. Ich weiß, dass Österreich hinter mir steht und mein Einsatz vom Großteil der Bevölkerung sehr akzeptiert wird. Leute sagen mir immer wieder: Mach weiter so." Ans Aufgeben denkt der 73-jährige, der bereits seit 32 Jahren Bischof ist, trotz Rückschlägen nicht. "Ich werde nicht das Handtuch schmeißen, sondern weitermachen und meine Meinung weiter verteidigen, solange mir Gott Atem schenkt."