Mittwoch 24. Dezember 2025
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Judas, der Jesus ausgeliefert hat

(14.04.2011) "Würden wir im Zweifelsfall nicht auch so handeln?", fragt der Wiener Bibelwissenschaftler Andreas Heindl.

Verräter, Dieb, Selbstmörder und Sohn des Teufels. Das weiß die Legende über den Apostel Judas Iskariot zu erzählen. "Wie konnte es so weit kommen, dass dieser Judas so eindeutig als böse und verdorben in die Kultur eingegangen ist?" Diese Frage beschäftigt den Wiener Bibelwissenschaftler Andreas Heindl seit einigen Jahren. Im Gespräch mit Radio Stephansdom erzählt er von Judas-Legenden und erklärt die Bedeutung der Judas-Figur für heutige Leser.

 

Wer war Judas?

Viel weiß die historische Forschung nicht über Judas, das meiste ist Legende. Die Grundproblematik, so Andreas Heindl, bestehe darin, dass wir nur die Informationen aus den Texten des Neuen Testaments haben, und diese Texte sind "nicht historische Berichte im heutigen Sinn, sondern ein Mix aus tatsächlichen historischen Ereignissen und deren theologischer Interpretation". Zwei Dinge sind aber sicher: Judas war ein Mitglied des Zwölferkreises und hat Jesus an die Behörden ausgeliefert.

 

War alles ein Plan Gottes?

Von Geldgier und Selbstmord ist im ältesten Evangelium, dem Markusevangelium, noch nicht die Rede. Für den Evangelisten ist klar, dass der Verrat und die Kreuzigung Jesu im göttlichen Heilsplan feststehen, deshalb - so erklärt Andreas Heindl - stellt sich die Frage: "Kann Judas überhaupt für seine Tat verantwortlich sein, wenn er letztendlich nur das tut, was Gott in seinem Heilsplan vorgesehen hat?" Das älteste Evangelium komme zu dem Schluss, "Judas bleibt für sein Handeln verantwortlich, es gibt keine Entschuldigung".

 

Die Judas-Legenden blühen

Zum geldgierigen Verräter wird Judas erst im Matthäusevangelium, wo er die Hohenpriester fragt: "Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere?". Als vom Teufel Besessener beschreibt ihn das Lukasevangelium, zum Dieb erklärt ihn das Johannesevangelium. In der Folge, so Andreas Heindl, zeigen ihn "die bildlichen Darstellung meistens mit dem Geldbeutel als Attribut".

Zwei Versionen werden über den Tod des Judas überliefert: Er erhängt sich aus Reue über seine Tat, so steht es im Matthäusevangelium; er stürzt vornüber und seine Eingeweide quellen heraus, erzählt der Evangelist Lukas und deutet damit seinen Tod als das Ende eines Gottverächters.

 

Das wiederentdeckte Judas-Evangelium

Eine ganze Menge über Judas zu erzählen "weiß" die nachbiblische Legende: Etwa dass er schon als Kind mit Jesus gespielt und ihn gebissen hat, dass er eine verschwenderische Ehefrau hatte, für die er das Geld aus der Gemeinschaftskasse der Jünger stahl... Eine positive Darstellung kennt das vor kurzem wiederentdeckte gnostische Judas-Evangelium, "ein Spezialfall", so Heindl. Dort ist Judas ein auserwählter Jünger, dem Jesus jenes geheime Wissen offenbart, das - so die Vorstellung der Gnostiker - nötig ist, um zur Erlösung zu gelangen. Die gnostischen Christen waren eine Art Sekte, sie wollten sich mit dieser Judas-Darstellung "vom Mainstream-Christentum abheben", so Heindl.

 

Die eigenen Freunde verraten

In allen vier Evangelien habe die Judasfigur einen Bezug zu deren Entstehungssituation, macht Heindl aufmerksam. Die Gemeinden, für die die Evangelien geschrieben wurden, machten schon die Erfahrung von Verfolgung und Diskriminierung durch die Behörden des römischen Reiches. "Ab und an landeten einzelne Christen im Gefängnis. Es sind zum Teil Mitglieder der eigenen Gemeinde, die dafür verantwortlich sind", so Heindl. Das ist der Konnex zur Judas-Gestalt. Der Evangelist will sagen, "so wie es damals Jesus passiert ist, dass er durch einen seiner Vertrautesten übergeben wurde, so kann es auch heute geschehen". Man konnte sich auch seiner selbst nicht mehr sicher sein, betont Heindl, "ob man im Zweifelsfall stark genug ist, dem Zwang durch das System zu widerstehen, oder ob man am Ende einknickt und Freunde und Verwandte an die Behörden ausliefert."

 

Der Judas in uns

Was kann die Judas-Figur heutigen Lesern sagen? Andreas Heindl meint: "Judas ist - trotz allem Mysteriösen - eigentlich eine Möglichkeit von uns allen. So zu handeln, wie Judas es getan hat, wer von uns könnte das im Zweifelsfall ausschließen?"

 

Die Tiefenpsychologie gehe in der Deutung der Judasfigur noch einen Schritt weiter und meint, "dass Judas mit Jesus zusammen die zwei Seiten der gleichen Medaille, der eigenen Psyche, repräsentieren würden: Judas den negativen Teil und das Dunkle an der menschlichen Psyche, Jesus das Lichte und Positive. Den einen gibt es nicht ohne den anderen."

 

Radiotipp:
Radio Stephansdom bringt in der Karwoche eine Sendung über Judas Iskariot. Stefanie Jeller hat mit dem Wiener Bibelwissenschaftler Andreas Heindl gesprochen:

Judas Iskariot. Was ist aus ihm geworden?
Mittwoch 20. April 2011, 19.00-19.25 Uhr.
Eine Sendung von Stefanie Jeller.

Lesetipp:
Einen Artikel über den Apostel Judas Ikariot des Bibelwissenschaftlers Andreas Heindl finden Sie auch in der Zeitschrift des Katholischen Bibelwerks "Welt und Umwelt der Bibel" (WUB 1/2011):
"Die Apostel Jesu. Bis an die Grenzen der Welt"
ISBN 9789-3-940743-52-7
Preisinfo: 11,00 Euro

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