Mittwoch 18. September 2024
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"Strukturen dürfen sich ändern"

(15.10.2010) Der Donnerstagabend der dritten Diözesanversammlung stand ganz im Zeichen des Themas Pfarre und Gemeinde.

Der Donnerstagabend, 14. Oktober 2010, der dritten Diözesanversammlung stand unter dem Thema "... sie zündeten ein Feuer an..." (Apg 28,2).

Kardinal Schönborn begann sein Statement mit einer Zusammenfassung des Gemeindetages am 18. September. "Beim Gemeindetag ging es um sehr praktische Fragen, aber auch um ganz tiefe Glaubensfragen." Er habe immer wieder auf Paulus verwiesen, wie habe dieser seine Gemeinden aufgebaut, wie seien diese geleitet worden, erklärte der Wiener Erzbischof. "Eines ist mir dabei aufgefallen. Paulus ist nie alleine, er ist immer mit anderen zusammen. Er ist nicht alleine in der Leitung." Kirche sei für Paulus immer ganz konkret an einem Ort und sie sei für die Menschen da, vor allem für die vielen, die Gott noch nicht kennen.

 

Brauchen Gemeinden die Pfarrstruktur?

Gemeinden hätten sich im Laufe der Jahrhunderte enorm verändert und entwickelt, so der Wiener Erzbischof. Ein Beispiel dafür seien die Wiener Gürtelpfarren mit ihren riesigen Kirchen, die im Laufe der Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert entstanden sind. Damals hätten in diesen Pfarren bis zu 70.000 Katholiken gelebt, heute seien oft nur 1.000 Katholiken in den Pfarren über. "Pfarrstrukturen haben sich geändert und müssen sich in Zukunft ändern. Pfarren sind fast überall stark geschrumpft und sie werden weiter schrumpfen. Es heißt aber nicht, wenn die Pfarren kleiner werden, dass die Gemeinden deswegen sterben müssen. Viele unserer Gemeinden sind unglaublich lebendig, auch wenn sie nicht sehr groß sind." Ein Beispiel dafür sei die Pfarrcaritas, die zwischen 2001 und 2009, trotz schrumpfender Katholikenzahl die Leistung stark steigern konnte. Das zeige die Lebendigkeit von Gemeinden, die Frage sei, brauchen sie dazu auch die Pfarrstruktur.

 

"Man kann nicht allen Ansprüchen gerecht werden"

Nach Kardinal Schönborn sprach Pfarrer Helmut Ringhofer: "Ich bin Pfarrer mehrerer Gemeinden und komme mir vor wie ein Jongleur, der mit mehreren Bällen arbeitet und es werden immer mehr Bälle." Man könne als Pfarrer nicht allen Ansprüchen gerecht werden, so Ringhofer. Er ist mit seinen drei Pfarren bereits seit längerem in einem extern begleiteten Entwicklungsprozess. "Strukturen dürfen sich ändern. Wir sind in einer Zeit, in der dies schnell und tiefgreifend passiert". Er habe mit Erleichterung festgestellt, dass es nicht seine Aufgabe sei, all diese Strukturen aufrecht zu erhalten.

Gemeinde brauche den Dienst derer, die sich um sie kümmern. Es sei eine lange Tradition zu glauben, Gemeinde und diejenigen, die sich kümmern, seien dasselbe, der Begriff dafür sei Pfarrgemeinde. "Für mich ist es ein sinnvoller Ansatz geworden, zu schauen, in meiner Praxis die beiden Begriffe 'Pfarre und Gemeinde' auseinander zu nehmen", so Ringhofer. Gemeinden seien die kleinen Zellen vor Ort, in denen christlicher Glaube gelebt werde, sie sind nicht territorial begrenzt. "Pfarren sind Strukturen, die solches Leben ermöglichen. Pfarren sind damit Dienst und Servicestellen."

Er höre von den Menschen immer zwei Fragen, so Ringhofer: "Ist das Ganze nicht nur ein billiger Trick, mit dem man den Menschen eine Zentralisierung verkaufen will. Und ist es überhaupt gewollt, dass Menschen vor Ort Verantwortung und Leitung übernehmen. Denn jede Gemeinde braucht ein gewisses Maß an Leitung. Wer bereit ist. Verantwortung für seine Gemeinde zu übernehmen, der braucht eine klare Rückendeckung von oben und klare Regeln".

 

Priester und Laien

In ihr sei das Feuer entzündet und sie wolle davon berichten, wie sehr es möglich ist, als Laie mitzuarbeiten, erklärte Helene Hornich. Sie ist Dekanatsvertreterin im Vikariatsrat. Wichtig sei es auch, sich Priester und Laien näher anzuschauen. Nicht jeder Priester sei durch die Weihe schon automatisch ein guter Pfarrer oder Seelsorger. Dazu würden auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale gehören. Heute seien Laien sehr gut ausgebildet - auch theologisch - und in manchen Tätigkeitsbereichen eines Pfarrers sogar viel geeigneter. "Es wäre daher in Zukunft besser, statt von Priestern und Laien vom geweihten Priestertum und vom allgemeinen Priestertum, das uns alle durch die Gnade und Auftrag bei Taufe und Firmung übertragen worden ist, zu sprechen. Wir bitten alle, keine Angst vor Machtverlust zu haben, sondern Verantwortungsbereiche zu teilen und sich damit als Priester für die wirklich priesterlichen, für die seelsorgerischen Aufgaben freizuspielen", erklärte Hornich.

 

Ängste abbauen und einen klaren Auftrag geben

Irmi Thanhoffer, Vikariatsrätin und Mitglied im Pastoralrat, schloss sich ihrer Vorrednerin an und mahnte ein, dass in Wien die Wort-Gottes-Feier-Kultur ausgebaut gehöre. Im Vikariat Wien Stadt habe man sich Gedanken über die Strukturveränderung gemacht. "Es werden Ängste aufkommen und Angst ist ein schlechter Ratgeber, damit kommt man nicht weit." Eine schrittweise und gut durchdachte Vorgehensweise sei notwendig, hinter der ein klarer Auftrag stehe. Dazu würden dann auch Schulungen und Weiterbildungen gehören. "Pfarrgemeinderäte werden dann vielleicht manchmal zu Gemeinderäten. Ich glaube, sie haben immer mehr Verantwortung zu übernehmen." Man müsse sich von vielem verabschieden, bescheidener werden, es sei ein Prunkabbau nötig. "Möglicherweise werden wir dadurch aber für andere Menschen wieder attraktiver und können von unten wieder wachsen."

 

Verantwortung ist ureigene Aufgabe des Christseins

Der Paderborner Priester Christoph Jacobs, der den Wiener Prozess seit Jahren beobachtet, erklärte: "Was mir aufgefallen ist - hier im Unterschied zu anderen Diözesen ist - sie haben geistlich gestartet und stellen jetzt die Frage nach den Strukturen." Wichtig sei es, den Gläubigen zuzutrauen, dass sie Verantwortung übernehmen. Es sei für ihn immer eine der größten Herausforderungen, das seinen Mitbrüdern klarzumachen. "Die Zusammenarbeit der Gläubigen und die Verantwortung ist keine Notlösung, sondern eine ureigene Aufgabe des Christseins, und dazu braucht keiner die Erlaubnis, die hat er schon. Aber dass das alle gemeinsam lernen, das ist unsere Aufgabe, der wir uns stellen müssen, Priester und Gläubige zusammen."

 

Wege der Zusammenarbeit

Zum Schluss erklärte Kardinal Schönborn: "Es ist Realität, wir sind nicht in den 50er Jahren. Wir sind in Wien nur mehr 750.000 Katholiken, wir sind deutlich unter der 50 Prozent-Grenze. Wir sind in Gefahr zu beschönigen, wenn wir die Realität nicht anschauen. Die Realität heißt, dass in Wien eine Sonntagspraxis von fünf Prozent der Katholiken gegeben ist. Das führt unsere Gemeinden an den Rand der Existenzfähigkeit - finanziell und auch lebensmässig. Das heißt nicht, dass unsere Gemeinden nicht lebendig sind, auch wenn sie stark geschrumpft sind, aber eines ist klar, sie können nicht mehr alleine leben. Es muss den Weg der Zusammenarbeit geben, das ist keine Beschönigung."

Christoph Jacobs fügte hinzu: "Manchmal haben die Pfarren, auch wenn sie noch so klein sind, lieber einen Priester, der sie ärgert, der schlecht ist, als gar keinen. Das glaube ich, sollte man sich gegenseitig nicht zumuten."

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