Thema der - nichtöffentlichen - Tagung ab Montag, 20. September 2010, im Wiener Kardinal König-Haus ist die Stellung des Papstes in der Kirche im ersten Jahrtausend. Doch geht es nicht bloß um ein historisches Thema, vielmehr erhoffen sich die Kirchen einen Schlüssel, um das wohl zentralste Hindernis am Weg zur Einheit von Ost- und Westkirche zu beseitigen: die unterschiedliche Auffassung über die mögliche Stellung des Papstes in einer vereinten Kirche.
Ziel der Konferenz ist es, das Verhältnis von päpstlicher Vorrangstellung und der Selbständigkeit der einzelnen Teilkirchen, wie dies im ersten Jahrtausend in Theorie und Praxis verwirklicht war, zu ergründen. Von einem solchen Befund erhoffen sich beide Seiten eine Grundlage, auf der man Perspektiven für ein zukünftiges Primatsmodell entwickeln könnte, das für die katholische wie orthodoxe Kirche akzeptabel ist.
Doch der Weg zur kirchlichen Einheit ist noch weit - selbst wenn ein Konsens über die historischen Fakten auf der Tagung in Wien erzielt werden kann. Die theoretische und praktische Machtfülle des Papstes, wie sie sich im Westen im zweiten Jahrtausend entwickelt und mit dem Ersten Vatikanischen Konzil (1869/70) ihren Höhepunkt erreicht hat, ist und bleibt für die Orthodoxie völlig inakzeptabel. Ökumene-Experten wie der Wiener Ostkirchenkundler Rudolf Prokschi mahnen daher schon seit langem ein, dass sich die katholische Kirche in dieser Frage "endlich mehr bewegen" müsse.
Auch der Münsteraner Ökumene-Experte Thomas Bremer zeigt sich skeptisch: Eine Einigung sei realistischerweise in weiter Ferne, wenn die katholische Kirche nicht sehr deutliche Signale der Bereitschaft aussenden sollte, Lehre und Praxis zu modifizieren. Das sei aber momentan nicht absehbar.
Trotzdem: Einige Ansätze einer katholischen "Bewegung" sind bemerkbar. So hat Papst Johannes Paul II. in seiner Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" (1995) dazu eingeladen, über eine zeitgemäße Ausübung des Primats nachzudenken. 1976 meinte der damalige Theologieprofessor Joseph Ratzinger, dass "Rom vom Osten nicht mehr an Primatslehre fordern muss, als im ersten Jahrtausend formuliert und gelebt wurde". Einige Jahre später fügte er hinzu, dass die bloße Rückkehr zur alten Kirche aber kein Weg in die Zukunft sei. Es bedürfe vielmehr eines "Wegs nach vorne".
Schon das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hatte den Ostkirchen das Recht zuerkannt, sich nach ihren eigenen Ordnungen zu regieren. Das Kirchenrecht für die katholischen Ostkirchen hat diesen Gesichtspunkt dann anfanghaft umgesetzt, indem es beispielsweise vorsieht, "dass die Bischöfe der katholischen Ostkirchen nicht vom Papst ernannt, sondern von der jeweiligen Synode gewählt werden. (Allerdings müssen die Bischöfe dann noch vom Papst bestätigt werden.)
Noch gibt es weder von katholischer noch von orthodoxer Seite ausgereifte Konzepte, wie ein zeitgemäßer Primat in einer vereinten Kirche aussehen könnte. Wie der Präsident der Stiftung "Pro Oriente", Johann Marte, betont, sei ein reiner Ehrenprimat ohne juristische Vollmachten jedenfalls zu wenig. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die großen Probleme, die es innerorthodox seit Jahrzehnten bei der Einberufung eines Panorthodoxen Konzils gibt.
Zuversichtlich, dass auf der Wiener Konferenz Fortschritte erzielt werden, zeigt sich der griechisch-orthodoxe Metropolit Michael Staikos. Die katholischen und orthodoxen Theologen würden wohl früher oder später eine Lösung finden; die entscheidende Frage sei dann aber, ob diese Beschlüsse dann auch von den einzelnen Kirchen und schließlich vom Kirchenvolk an der Basis akzeptiert würden. Schließlich gebe es in allen Kirchen einflussreiche - wenn auch nicht repräsentative - Kreise, die gegen die ökumenische Bewegung arbeiten würden, so der Metropolit.