Mittwoch 11. Dezember 2024
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Wieder auf eigenen Beinen stehen

(09.03.2014) Interview mit Hermann Knoflacher über „Autofasten" 

 

Ihr Buch heißt „Virus Auto“. Warum ist das Auto ein Virus?

Hermann Knoflacher: Das Auto löst in der Gesellschaft einen gleichen Prozess aus wie ein Virus in unserem Körper. Das Auto verändert das Wertesystem und Strukturen. Es dringt bei den Menschen ganz tief in die alten Evolutionsschichten hinein, weil es die Körperenergie des Fußgängers massiv ersetzt. Der Autofahrer braucht nur die Hälfte der Körperenergie eines langsamen Fußgängers. Diese Körperenergieebene tief in unserem Stammhirn wird verändert durch das Auto, das sich im Kopf der Gesellschaft festsetzt. Wir haben nicht mehr fortgesetzt, was wir Jahrtausende gemacht haben: eine Welt für die Menschen zu bauen. Sondern wir bauen seit knapp hundert Jahren eine Welt für Autos.

Wie wurde unser Lebensraum durch das Auto zerstört?

Knoflacher: Der Lebensraum war eigentlich früher der öffentliche Raum. Hier haben Handel, Sozialkontakte, Kultur, Freizeit stattgefunden. Das hat eine völlige Veränderung durch das Auto erfahren. Die Fußgänger wurden auf die Gehsteige verdrängt  oder die Kinder sind überhaupt aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Damit ist das lokale Netzwerk zerstört worden und auch die Kaufkraft in der Nähe verloren gegangen.


Früher hatten die kleinen Geschäfte einen sicheren freien Zugang quer über die Straßen und Gassen. Heute sind sie hinter den Barrieren der parkenden Autos und durch die Todeszonen der Fahrbahnen voneinander getrennt. Man hat ihnen sozusagen die Kunden weggenommen. Und wir haben eine Vorschrift  eingeführt, die eigentlich jeden, der eine Wohnung baut, dazu zwingt, einen Lebensraum für das Auto zu schaffen – nämlich einen Abstellplatz. Wenn man diesen in der Nähe hat, dann wird der Mensch zum Autofahrer. Es interessiert ihn nicht mehr, was in der Nähe ist, sondern wo er sein Auto abstellen kann. Damit geht die Kaufkraft zu den Supermärkten an der Peripherie, die Naherholung ist uninteressant. Man fährt einfach irgendwo weg. Und damit verbunden ist auch eine Abwertung der Qualität der Lebensräume.

Wie kann der Wandel passieren – freiwillig oder durch einen Kollaps des Systems?

Knoflacher: Das System kollabiert nicht. Ganz im Gegenteil: Das System frisst immer mehr die unberührten Räume in sich hin-ein, das ist die Zersiedlung. Die Wirtschaft ist auf das Auto aufgebaut. Das Auto ist ein Konzernprodukt. Mit dem Auto ist es möglich geworden, eine Diktatur in der Wirtschaft der Konzerne über die Menschen, die kleinen Betriebe und Handelsgeschäfte zu machen.


Autofasten bedeutet wieder zurück zur Menschlichkeit, zurück zur Dominanz des Menschen auch in der Wirtschaft. Es ist ein wichtiger Schritt des Bewusstwerdens der ganzen Entwicklungen. Man steht wieder auf den eigenen Beinen. Wenn eine Gemeinde wieder auf den eigenen Beinen steht, dann kommt sie auch aus der Schuldenfalle, in der sie durch das Auto geraten ist.


Die richtige Lösung in diesem Zusammenhang ist natürlich, dass man das Auto aus den Strukturen herausnimmt, dass man die Bauordnung, die noch immer der Reichsgaragenverordnung §2 folgt, wo man den Menschen zwingt, überall einen Abstellplatz zu machen, endlich aufhebt und die Wohnungen absolut von den Abstellplätzen trennt – finanziell, organisatorisch und baulich. Wichtig ist auch, dass den Menschen bewusst wird, in welche Fallen sie geraten sind. Wenn man eine Zeit lang auf das Auto verzichtet, dann merkt man, was alles nicht mehr  in der Nähe ist. Da gibt es keine Geschäfte, keine Bekannten und Freunde. Was als große Freiheit gepriesen wurde, ist in Wirklichkeit eine teuflische Falle gewesen, die in eine Unfreiheit mündete.

Was bedeutet Entschleunigung?

Knoflacher: Entschleunigung ist ein Slogan. Wir haben eine einzige Geschwindigkeit, die dem Menschen angemessen ist, und das ist die des Fußgängers. Alles, was schneller ist, muss sozial verträglich sein, wie der öffentliche Verkehr. Auch der Radfahrer kann das noch, weil er sich mit eigener Muskelkraft bewegen muss. Aber wenn ich mich individuell mit hohen Geschwindigkeiten bewege, ist das absolut fahrlässig, weil ich über 30 oder 40 km/h nicht mehr in der Lage bin, die Folgewirkungen abzuschätzen. Der Autofahrer hat zwar ein Gerät, das ihn sehr schnell bewegt, aber leider hat er nicht das Hirn, das in der Lage ist, dies verantwortungsvoll zu machen.

Was heißt für Sie ein „gutes Leben“?

Knoflacher: Ein gutes Leben ist ein Leben, das jeden Tag zur eigenen Zufriedenheit, zu Hoffnung und Glück führt. Es setzt auch voraus, dass man eine gewisse Unabhängigkeit hat. Wenn man mit dem Auto unterwegs ist, ist man abhängig von Erdölfirmen und muss die schrecklichen Abgase einatmen. Gutes Leben ist, wenn sich die Kinder in der Umgebung frei bewegen, ihre Freunde in der Nähe treffen können. Auch dass sich differenziertere Strukturen herausbilden und nicht die ganze Welt wie ein Einheitstopf aussieht, wie es heute der Fall ist. Der einzige Unterschied  in vielen Ländern besteht nur mehr darin, dass man links oder rechts fährt. Man hat die unendliche Vielfalt weitgehend zerstört. Ein gutes Leben bedeutet wieder eine Hoffnung für die Zukunft und eine Fortsetzung der menschlichen Entwicklung in Frieden. Auch die ganzen Irrtümer, die entstanden sind, wie im materiellen Reichtum, würden sich bei weitem aufheben. Gutes Leben erkennt man daran, dass man in glückliche Gesichter von Menschen schaut.
            

Interview: Markus Langer

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