„Die Fakten gehen völlig unter gegenüber den vielen Legenden, die über Antonio Salieris Leben erzählt werden“, sagt Otto Biba, Archivdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Das heutige Salieri-Bild sei eigentlich von Peter Shaffers und Milos Formans ‚Amadeus’ geprägt. Von Legenden und nicht einmal von Legenden. „Peter Shaffer und Milos Forman haben stets betont, dass dies keine Biographie Mozarts und daher auch keine Biographie Antonio Salieris ist“, erzählt Biba in seiner Sendung „Geschichten aus dem Archiv“ auf Radio Stephansdom.
„Shaffer und Forman geht es vielmehr um die Frage, was ist ein Genie und was ein Künstler, was ist genial und was ist Können, wo hört die Mittelmäßigkeit auf und wo beginnt die hohe Kunst. Die Vertreter dieser beiden Richtungen heißen eben Mozart und Salieri. Aber eine Biographie der beiden wird in diesem ganz ausgezeichneten Film nicht geboten“, so der Archivdirektor.
Die wichtigste Legende über Salieri ist, er hätte Mozart umgebracht. Sie sei schon in seinen letzten Lebensjahren aufgetaucht, sagt Otto Biba. Sogar der taube Beethoven hätte sich mit dieser Legende auseinandergesetzt. In den Konversationsheften – seine Besucher haben sich schriftlich mit ihm unterhalten müssen – kann man lesen, dass ein Besucher eingetragen hat: „Angeblich, es wird gesagt, hätte Salieri Mozart vergiftet. Angeblich hat er es schon selbst gestanden.“ Biba: „Selbst Beethoven war in diese Gerüchte hineingezogen. Wir kennen seine Antwort leider nicht. Aber wir wissen, was die beiden Pfleger des schwer demenzkranken Antonio Salieri und der Arzt damals über das Gerücht gesagt haben, er hätte sich selbst des Mordes beschuldigt. Sie haben schriftlich erklärt: ‚Er hat viel Unsinn gesprochen, aber das hat er wirklich nie gesagt.’ Das haben sie nie von ihm gehört.“ In einem hellen Moment, den der alte Salieri in seiner Demenz noch gehabt hat, hat ihn sein vormaliger Schüler Ignaz Moscheles besucht. Moscheles überliefert, dass ihm Salieri gesagt habe: „Sie wissen ja, Mozart, ich soll ihn vergiftet haben. Aber nein Bosheit, lauter Bosheit. Sagen Sie das der Welt, lieber Moscheles, der alte Salieri, der bald stirbt, hat es Ihnen gesagt.“
Dass das Verhältnis der beiden Komponisten nicht so schlecht sein konnte, würden einige Fakten laut Otto Biba belegen: „1785 haben Mozart und Salieri gemeinsam eine Kantate komponiert, die leider verschollen ist. 1789 begann Salieri das Textbuch ‚Cosi fan tutte’ zu vertonen. Er hörte sofort zum Schreiben auf, als er erfuhr, dass Mozart das eigentlich machen wollte, und überließ diesem das Textbuch. Als 1790 für die Krönungsfeierlichkeiten von Kaiser Leopold I. die Hofmusikkapelle verschiedene Krönungsgottesdienste und Ehrhuldigungsdienste bestreiten musste, hat Salieri drei Messen und eine Motette von Mozart ins Repertoire aufgenommen. Mozarts Krönungsmesse trägt seither diesen Titel.“
Die Ausstellung des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde im Mozarthaus Vienna stellt den Legenden nun den authentischen Salieri gegenüber – in allen Facetten seines Lebens und seiner Tätigkeiten. Natürlich wird sein Verhältnis zu Mozart beleuchtet, aber es geht auch um Salieri als Lehrer einer ganzen Komponistengeneration, allen voran Beethovens und Schuberts, aber auch des Sohnes von Mozart. Er galt als Autorität wie als Vaterfigur; beides brachte er in sein Engagement für die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und ihres Konservatoriums ein. Dass er ein geselliger Mensch mit einem weiten Freundeskreis war, gehört zum hier gezeichneten Bild seiner Persönlichkeit und wird manche Ausstellungsbesucher ebenso überraschen wie die Tatsache, dass Salieri als Hofkapellmeister mehr Beamtenfunktionen als künstlerische Aufgaben hatte. Sein Weg nach Wien, sein Aufstieg, seine Stellung und seine Verdienste in der Wiener Musikszene sowie Salieris kompositorische Erfolge in der ganzen musikalischen Welt werden ausführlich dokumentiert.
Das Mozarthaus Vienna erinnert auch an den Komponisten Christoph Willibald Gluck, mit dem sich Mozart zeitlebens beschäftigt hat und in gutem persönlichen Kontakt stand. Auch für Salieri war Gluck tief prägendes Vorbild, beide haben auf ihre Weise von Glucks Opern-Reformen profitiert. Gluck war eine prägende Erscheinung für die Wiener Musikszene mit europaweiter Ausstrahlung, er wird heute nicht seiner umfassenden Bedeutung entsprechend geschätzt. Grund genug, Gluck mit Musikhandschriften, Erstausgaben und Erinnerungen an seine Wirkungsstätten ins Gedächtnis zu rufen, umso mehr, als Mozart Glucks Amtsnachfolger als k.k. Kammerkompositeur war.
ml