Dr. Gudrun Trausmuth ist Germanistin und Literaturwissenschaftlerin.
Was macht Gertrud von le Fort zur „christlichen“ Autorin?
Gudrun Trausmuth: Das hat viele Aspekte. Als christliche Autorin ist sie sicher deshalb bekannt, weil ihr erster großer literarischer Erfolg 1924 der Lyrikband „Hymnen an die Kirche“ war. Schon der Titel hat Zeugnis-Charakter und wurde auch so aufgenommen. In einem tieferen Sinne ist le Fort eine christliche Dichterin, weil jeder ihrer Texte Kreuz und Auferstehung verkündet: Sie lässt erkennen, wie ein Leiden oder auch ein Scheitern vor den Augen der Welt oft einen Sieg vor dem Antlitz Gottes bedeuten kann. Le Fort schreibt von unserem Ziel, dem Himmel, ausgehend und kennt neben der Ebene unseres kurzen Lebens hier auf der Erde die Dimension der Ewigkeit unserer Seele. Vor allem in diesem Sinne ist sie eine faszinierende christlich-metaphysische Autorin.
Der Glaube an die göttliche Barmherzigkeit bildet den Mittelpunkt ihrer Dichtung. Hängt das mit Le Forts preußischer Erziehung zusammen?
Gudrun Trausmuth: Ich glaube nicht, dass es einen Zusammenhang mit ihrer Erziehung gibt. Ich sehe Le Forts dichterische Verkündigung der Barmherzigkeit als spezifischen Beitrag an einer Dynamik, die sich in der Kirche im 20. Jh. zeigte, und denke hier an Gestalten wie Sr. Faustina, Johannes Paul II. u. a.: In allem Scheitern und jeder Sünde gibt es für den, der umkehrt, dieses große offene Tor in die Liebe Gottes, die Barmherzigkeit.
Woher nahm die Autorin den „Stoff“ für ihre Erzählungen, z. B. „Die Verfemte“, in der eine junge Witwe einem feindlichen Soldaten einen Fluchtweg über ein Moor weist?
Gudrun Trausmuth: Bei le Fort gibt es fast immer einen geschichtlichen Kern, um den herum sie schreibt. Sie studierte immer sehr genau die Zeit, die sie in einem Text beschreibt, und gibt in diesem Sinne auch ganz spezifische Deutungen historischer Ereignisse. Im Falle der Erzählung „Die Verfemte“ ist der historische Kern die Schlacht bei Fehrbellin, in der Kurfürst Friedrich Wilhelm I. 1675 die Schweden besiegte …
Le Fort konvertierte im Alter von 50 Jahren zum Katholizismus und brach zugleich nicht mit ihrer protestantischen Vergangenheit: War Ökumene für sie ein Thema?
Gudrun Trausmuth: Die Konvertitin le Fort behandelte in einer Reihe von Werken das Leiden der Trennung der Christen, ausdrücklich im Roman „Magdeburgische Hochzeit“, der im 30-jährigen Krieg spielt. Le Fort hatte ein ganz eigenes Verständnis ihrer Konversion und von Ökumene. „Der Konvertit stellt die lebendige Vereinigung der getrennten Liebe dar, er ist gleichsam die Brücke, die zwei Ufer berührt und verbindet“, schreibt le Fort. Ökumene ist für sie Begegnung von Brüdern in gemeinsamer Vertiefung in das Geheimnis Gottes.
In der Erzählung „Am Tor des Himmels“ geht es um das Verhältnis „Naturwissenschaft und Glauben“, ausgehend von Galileo Galilei. Wie ist hier der Standpunkt le Forts?
Gudrun Trausmuth: Diese Frage hat mich sehr beschäftigt, was auch im Kommentarteil des Lesebuchs zum Ausdruck kommt. Le Fort schreibt über den Fall Galilei einerseits im Wissenshorizont ihrer Zeit, andererseits auf der Folie von Bert Brechts Stück „Das Leben des Galilei“. Zentral ist, dass le Fort die Trennung der zwei Geistesräume Glaube und Naturwissenschaft im Fall Galilei motiviert sieht. Die Konsequenzen dieser Trennung und die Notwendigkeit ihrer Überwindung schildert sie in der beeindruckenden Rahmenhandlung der Erzählung, wo sie im Übrigen eine nach Zeitzeugenaussagen sehr realistische Darstellung des Luftwaffenkriegs im Zweiten Weltkrieg bringt.
Bei der Herausgabe des Lesebuches haben Literaturwissenschaft und Theologie zusammengewirkt ...
Gudrun Trausmuth: Es war eine Zusammenarbeit aus einer langjährigen Freundschaft heraus. Die Idee zum Buch kam von der Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz im Rahmen einer Tagung der Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft (www. gertrud-von-le-fort.de).
Mein literaturwissenschaftliches Anliegen war es, le Fort als Künstlerin zu beleuchten. Das Attribut „christlich“ hat ja oft dazu geführt, dass Autoren nicht mehr ernstgenommen wurden, weil man ihnen eine Art von Apologetik unterstellte, billiges Bekennertum etc. Le Fort versteckt ihre Weltanschauung nicht, trägt sie aber auch keinesfalls plakativ vor sich her, sie arbeitet mit ganz feiner und kunstvoller Feder.
Le Fort führte ein selbständiges, unabhängiges Leben. Wie stand sie der Emanzipation der Frau im 20. Jh. gegenüber?
Gudrun Trausmuth: Die Frau in ihren Gestalten und Möglichkeiten stand im Zentrum von le Forts Werk, fast alle Hauptpersonen ihrer Texte sind Frauen! 1934, dem funktionalistischen Frauenbild des Nationalsozialismus widersprechend, hat sie den Essay „Die ewige Frau“ geschrieben, in dem sie sich mit dem Wesen der Frau auseinandersetzt. Auch hier gibt es bei le Fort eine ganz eigene Sprache und Schau, wo es sehr schwer ist, eine Stellungnahme im Sinne der Emanzipation herauszulesen. Doch man spürt, dass bei ihr, wie bei Edith Stein, mit der sie korrespondiert hat, die Frage der Frau ein wichtiges Thema war, wenn auch nicht primär im Sinne eines gesellschaftspolitisches Diskurses, sondern eher als Wesensfrage.
Interview: Agathe Gansterer
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