P. Dr. Alois Riedlsperger SJ, Leiter der Katholischen Sozialakademie Österreichs (KSÖ).
Univ.-Prof. Walter Ötsch (Linz) hat in einem „Sonntag“-Interview im Hinblick auf radikale Reformen der Wirtschaft und des Finanzsystems Bündnisparter für die Kirche gefordert. Wer kann ein solcher Bündnispartner sein?
Riedlsperger: Erste Bündnispartner sind die anderen christlichen Kirchen, die sich bereits im Ökumenischen Sozialwort 2003 zu diesen Fragen sehr profiliert geäußert haben. Bereits damals – Jahre vor der Finanzmarktkrise – wurden von den Kirchen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer und andere globale Reformmaßnahmen für die Finanzwirtschaft gefordert. Zu weiteren Bündnispartnern für Reformen sind verschiedenste zivilgesellschaftliche Initiativen geworden. Auf die Bedeutung von Allianzen mit ihnen hat Kardinal Schönborn in seinem „Hirtenbrief“ vor einem Jahr ausdrücklich hingewiesen.
Für Ötsch sind Gewissen und Verantwortung katholische Kernthemen. Spielen beide überhaupt noch eine gesellschaftliche Rolle?
Riedlsperger: Gerade die aktuellen Auseinandersetzungen um Korruption zeigen das wache Empfinden für Gewissen und Verantwortung in der Gesellschaft. Seitens der Kirchen waren sowohl der Prozess der Erarbeitung des Sozialhirtenbriefes (1990) wie auch der des Ökumenischen Sozialwortes (2003) als soziale Gewissensbildung in der Gesellschaft gedacht. Konkret fördert die KSÖmit ihren Lehrgängen zum Thema „Soziale Verantwortung“ die Schulung von MultiplikatorInnen, die befähigt werden, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft verantwortlich mitzugestalten. Dies geschieht in den letzten Jahren grenzüberschreitend in Kooperation mit Einrichtungen in den osteuropäischen Nachbarländern. Nicht fehlendes Gewissen und ein Mangel an Verantwortungsbewusstsein allgemein sind das Problem. Vielmehr blockieren massive Einzelinteressen die Umsetzung gemeinwohlorientierter Lösungen.
Die ökologische Krise und die Finanzkrise als Teil einer multiplen Krise zu reflektieren, wäre eine herausfordernde Aufgabe einer Katholischen Soziallehre, sagte Ötsch. Geschieht das?
Riedlsperger: Das Sozialrundschreiben „Caritas in veritate“ von Papst Benedikt XVI hat sich eingehend mit den Gesamtzusammenhängen der aktuellen krisenhaften Entwicklungen befasst. Seitens der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften sind grundlegende Studien dazu vorgelegt worden.
Das Jubiläum 120 Jahre Katholische Soziallehre im vergangenen Jahr hat Anlass geboten, bei verschiedenen Veranstaltungen die Positionen der Soziallehre einzubringen. Den komplexen Zusammenhängen von Klimawandel und gesellschaftlichen Entwicklungen widmet sich auch das soeben erschienene ökumenische „Jahrbuch Gerechtigkeit“, das die KSÖ (Katholische Sozialakademie Österreichs) gemeinsam mit der Evangelischen Akademie am 4. Juni vorstellen wird.
Wie muss eine Politik für eine gerechte, zukunftsfähige Gesellschaft aussehen?
Riedlsperger: Es geht um eine Politik, die nicht bestimmte Gruppen gegeneinander ausspielt oder sich von Einzelinteressen bestimmen lässt. Es muss vielmehr eine Politik sein, die sich am Gemeinwohl orientiert, am guten Leben für alle – auf der lokalen Ebene ebenso wie in Hinblick auf die globale Dimension. Dazu muss Politik möglichst viele Menschen an der Erarbeitung zukunftsfähiger Lösungen und bei ihrer Umsetzung in die Praxis beteiligen. Auf diese Weise wird Wirtschaft in ihrer Dienstfunktion gesehen und Politik den Primat in der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse erhalten.
Interview: Stefan Kronthaler
„Caritas in veritate“ ist das Prinzip, um das die Soziallehre der Kirche kreist, ein Prinzip, das in Orientierungsmaßstäben für das moralische Handeln wirksame Gestalt annimmt.
Besonders zwei von ihnen möchte ich erwähnen, die speziell beim Einsatz für die Entwicklung in einer Gesellschaft auf dem Weg zur Globalisierung erforderlich sind: die Gerechtigkeit und das Gemeinwohl.
Benedikt XVI., Sozialenzyklika „Caritas in veritate“, 2009