Samstag 11. Januar 2025
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„Das“ Vorbild für die Frauen

(20.11.2011) Interview mit Vizepostulatorin Ingeborg Schödl über Hildegard Burjan



Warum ist Hildegard Burjan, die österreichische Sozialpionierin und Gründerin der Caritas Socialis-Schwesterngemeinschaft, noch heute eine beeindruckende Gestalt?

Schödl: Sie war der damaligen Zeit so voraus, dass sie uns noch heute als Vorbild dienen kann. Sie hat – genauso wie die Frauen des 21. Jahrhunderts – im Spannungsfeld von Familie, Beruf und gesellschaftlichem Engagement gelebt. Sie musste all das unter einen Hut bringen.

 

Und sie hat uns gezeigt, was wir Frauen alles tun können, wie wir uns innerhalb der Kirche engagieren können. Da ist sie ein Paradebeispiel. Wo wäre es heute möglich, dass eine verheiratete Frau und Mutter Vorsteherin einer Gemeinschaft apostolischen Lebens wird? Sie hat es damals aus Überzeugung gemacht, weil sie es als ihren Auftrag angesehen hat.

Was heißt  „Vorbild für die Frauen“ konkret?

Schödl: Wie man sich als gläubige Christin in der Welt engagieren kann, jede nach ihren Talenten. Dass man sich nicht einkapseln, sondern etwas tun soll. Hildegard Burjan hat sich verantwortlich gefühlt für – wie sie einmal gesagt hat – „alles Traurige, was auf der Welt passiert“. Dass man sich nicht verweigert, sondern mit seinen Talenten agiert: die eine im politischen Bereich, die andere lieber in der Pfarrgemeinde. Und dass man etwas tut –  aus dem Glauben heraus.


„Politisches Engagement gehört zum praktischen Christentum“ (Hildegard Burjan). Warum engagieren sich eher wenige Katholikinnen und Katholiken in der Politik?

Schödl: Das ist eine gute Frage. Irgendwie gehört es heute zum guten Ton, dass man jammert, dass man kritisiert, aber selbst nicht bereit ist, sich irgendwo einzubringen. Burjan hingegen ist ein großes Beispiel. Sie ist nicht in die Politik gegangen, um Karriere zu machen, sondern sie ist in die Politik gegangen, weil sie gewusst hat, dass sie nur auf dieser Ebene ungerechte Strukturen verändern kann.

 

Heute herrscht ein Mangel, sich für andere zu engagieren. Es gibt zwar einzelne Gruppen, aber auf der breiten Basis mangelt es doch daran, dass man sagt: Ich gehe jetzt da in die Politik, um die christlichen Werte einzubringen, um mich für eine Veränderung der Gesellschaft einzusetzen. Dazu sind leider immer weniger Menschen bereit.

Welche ungerechte Strukturen hat Burjan verändert?

Schödl: Ihr Engagement für die arbeitenden Frauen, für die Arbeiterinnen, war wirklich bahnbrechend. Sie hat damit eine Aussage der ersten Sozialenzyklika „Rerum novarum“ aus dem Jahr 1891 umgesetzt.

 

Sie hat sich wirklich um diese Frauen gekümmert, die vollkommen rechtlos ausgenutzt worden sind. Auch das erste Hausgehilfinnengesetz trägt Burjans Handschrift. Das war ein vollkommen rechtloser Berufsstand mit der damals höchsten Selbstmordrate. Da hat sie sich wirklich eingesetzt, und da hat sie in dem politisch aufgeheizten Klima nach dem Ersten Weltkrieg den Schulterschluss mit ihren sozialdemokratischen Kolleginnen im Parlament gewagt, und es ist ihr auch gelungen, dieses Gesetz durchzubringen.

Was sind die geistlichen Quellen, aus denen Hildegard Burjan schöpfte?

Schödl: Hildegard Burjan war Jüdin. Sie ist nach einer schweren Erkrankung zum römisch-katholischen Glauben konvertiert und hat durch diese Erkrankung in Todesnähe zum Glauben gefunden. Sie war immer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach einem höheren Lebensziel.

 

Diese hochintellektuelle und rhetorisch brilliante Frau hat sich einen – für uns heute – sehr kindlichen Glauben bewahrt. Sie sprach gern vom „lieben Jesulein“ und vom „lieben Heiland“. Und sie sagte: „Wenn mir der liebe Gott nur ein Briefchen schicken würde...“ Sie sagte immer, sie wolle nicht mehr wissen, sie wolle glauben.

 

Ihre tiefe geistliche Quelle war sicher die tägliche Mit-Feier der Eucharistie. Sie ist immer in die Hietzinger Pfarrkirche gegangen, sie hat auch viel gebetet. Und sie hat eine tiefe Gottverbundenheit gehabt, aus der sie ihre Kraft geschöpft hat.

Wie und wo lebt das geistliche, das politische Erbe Burjans weiter?

Schödl: Der Geist Burjans lebt in der „Caritas Socialis“ weiter, vor allem  im Hospiz-Gedanken. Der Not der Zeit zu begegnen, ist ja der Auftrag der Gründerin an die CS-Gemeinschaft. Zur Not der Zeit gehört heute der Umgang mit unheilbar Kranken und Sterbenden. 

 

Auf der politischen Ebene wird Burjan ganz gern bei bestimmten Anlässen zitiert.  Aber das war es auch schon. In Deutschland hingegen lebt das Andenken an Burjan deutlich weiter. In Görlitz, ihrem Geburtsort, gibt es eine Niederlassung der CS, einen  Burjan-Platz und ein Burjan-Pflegeheim, ebenso in Berlin und auch in Stuttgart tragen öffentliche Einrichtungen den Namen Hildegard Burjan. In Wien haben wir zwei Gedenktafeln, einen kleinen nach ihr benannten Platz, und es gibt einen Hildegard-Burjan-Hof in Wien 13.

Wann wird der liturgische Gedenktag der demnächst Seligen sein?

Schödl: Der 12. Juni, der Tag nach ihrem Todestag.
    

Interview: Stefan Kronthaler

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