Freitag 10. Januar 2025
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„Das Konzil hat mich geprägt“

(23.10.2011) Interview mit Helmut Krätzl zum 80. Geburstag: das Zweite Vatikanische Konzil und seine Folgen.



Was bedeutet für Sie das Ereignis Zweites Vatikanisches Konzil?

Krätzl: Das Zweite Vatikanische Konzil hat mein Priester- und später mein Bischofsleben tiefgreifend geprägt. Es war göttliche Fügung, dass ich dabei sein konnte. Nach dem schweren Unfall 1960 bin ich zum Studium nach Rom gekommen, und während des Studiums habe ich mich zu Schreiberdiensten gemeldet und war dann in der ersten Session als Stenograph bei der Konzilsversammlung dabei.

 

Ich habe in der Anima gewohnt, in der auch der greise Kardinal Frings aus Köln mit seinem jungen theologischen Berater Joseph Ratzinger gewohnt hat. Vor allem habe ich Papst Johannes XXIII. erlebt, der in einer ungeheuer lebensfrohen und tiefgläubigen Weise die Türen und Fenster der Kirche aufmachen wollte. Es ist ihm auch gelungen, allerdings gegen den Willen der Kurie.

 

Diesen Widerstand der Kurie hat es das ganze Konzil gegeben und gibt es – was die Epigonen anbelangt – bis heute. Ich habe auch erlebt, wie vormals zensurierte französische Theologieprofessoren auf einmal in Rom aufgetaucht und zu Beratern ihrer Bischöfe geworden sind. Die ersten Konzepte für die Dokumente haben vor allem die kurialen Theologen der konservativen Denkrichtung gemacht.

 

Im Lauf der Verhandlungen ist allerdings die Linie der modernen Theologen über ihre Bischöfe fast überall durchgedrungen. Das hat zum Erfolg gehabt, dass das Konzil doch einen sehr großen Fortschritt in vielen Fragen der Theologie und der Selbstbeschreibung der Kirche gebracht hat. Es war einmalig, dass hier Lehramt und Forschung in einer so fruchtbaren Spannung die Weichen für die Zukunft der Kirche gestellt haben.

Ist das Konzil bei den Bischöfen, bei den Priester, bei den Laien angekommen?

Krätzl: Auf jeden Fall. Vor bald 50 Jahren (Oktober 1962) ist das Konzil eröffnet worden. Die Menschen unter 65 Jahren haben das Konzil ja nicht bewusst miterlebt, für die jüngere Generation ist es eine tiefe Geschichte.

 

Das Konzil ist dadurch angekommen, dass die Bischöfe mit einer gewissen Euphorie heimgekommen sind und in allen Ländern Diözesanversammlungen, Diözesansynoden gemacht haben, um die Denkanstöße des Konzils in die lokale Praxis umzusetzen. In Wien war das die Wiener Diözesansynode 1969-1971. Ich habe als Pfarrer in Laa an der Thaya miterlebt, dass diese Vorbereitungspapiere bis in die kleinste Pfarre durchdiskutiert worden sind.

 

Dass sowohl die liturgische Erneuerung als auch die Einrichtung der Pfarrgemeinderäte als Plattform für eine Mitverantwortung der Laien so schnell gegangen ist, hat sicher den Grund, dass man vorher alle Pfarren miteinbezogen hat. So ist durch die Synode viel vom Gedankengut des Konzils bis an die Basis gekommen, etwa in der Erwachsenenbildung, in der Bibelarbeit...

Hauptwurzel um sich greifender Polarisierung ist die unterschiedliche Auslegung des Konzils. Genügt es nicht, die Konzilstexte selbst zu lesen?

Krätzl: Nein, das genügt mir nicht, weil die Konzilstexte zuletzt durch den Eingriff von Papst Paul VI. harmonisiert worden sind. Er ist manchmal auch unter dem gelinden Druck gewisser Kräfte der Kurie gestanden. Er wollte durch eine Harmonisierung mehr Zustimmung gewinnen, aber das ist nicht immer ganz gut für die Texte, weil sie dann im Schlusstext tatsächlich manchmal mehrere Auslegungen zulassen: Ob man sie mehr erklärt aus der Tradition oder im Sinne eines Fortschritts.

 

Daher sage ich: Die Konzilstexte muss man alle mitsamt ihrer Entstehungsgeschichte lesen. Vom ersten Konzept angefangen bis zur letzten Ausformulierung. Dann sieht man nämlich, was sich hier weiterentwickelt hat – unter dem Beistand und unter dem Antrieb des Heiligen Geistes.

Wer ist letztlich der authentische Interpret der Konzilstexte?

Krätzl: Das ist sehr schwer zu sagen. Die Auslegung der Konzilstexte ist mit ein Grund der Polarisierung in der Kirche. Es müsste derselbe Prozess neu ansetzen, sodass heute eine Relecture der Konzilstexte geschieht und zwar wieder in Zusammenarbeit der Bischöfe mit den Theologen – auf gleicher Augenhöhe, in dieser fruchtbaren Spannung wie damals während des Konzils.

„Das Heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen“, heißt es am Beginn der Liturgie-Konstitution. Ist diese Vertiefung gelungen?

Krätzl: Das kann man nicht punktuell beantworten. Was die Liturgie anlangt, bin ich ein Befürworter der „neuen“ Liturgie, weil dadurch die Menschen erst einen Zugang zum Wesen der Liturgie bekommen haben.

 

Die „alte“ Liturgie war eine reine Priesterliturgie in einer Sprache, die die Menschen nicht verstanden haben, bei der sie beispielsweise auf dem Land Rosenkranz gebetet haben bei der Messe. Pius Parsch hat uns vorgeworfen: „Die beten bei der Messe, aber beten nicht die Messe.“

 

Heute wissen wir, in welcher tätigen Teilnahme das Volk Gottes, wie es das Konzil wollte, mehr oder weniger mitgestaltet. Die „neue“ Liturgie hat als Wurzel die neue Sicht der Kirche. Dass die Kirche nicht in erster Linie hierarchisch gesehen wird, sondern als Volk Gottes, wo alle Getauften Kirche bilden, und in diesem Volk Gottes es verschiedene Ämter und Aufgaben gibt, auch mit Weihe, bis hinauf zum Papst.

 

Johannes Paul II. hat einmal gesagt: „Die Erneuerung der Kirche und die Erneuerung der Liturgie sind untrennbar miteinander verbunden.“ Daran sollte man heute denken, wenn manche gar so nostalgisch auf die gute, viel mystischere, „alte“ Liturgie zurückblicken.

Wird nicht in der medialen Wahrnehmung das Konzil oft ausschließlich auf die Liturgiereform reduziert?

Krätzl: Natürlich war die Liturgiereform das Sichtbarste. Oft wird gesagt: Das Konzil hat den Altar umgedreht, was so gar nicht stimmt. In den Konzilstexten steht nichts vom Volksaltar. Allerdings steht schon in den ersten liturgischen Instruktionen danach, dass Altäre gebaut werden sollen, die man umschreiten kann.

 

Das Konzil hat die Liturgie nicht erneuert, sondern Anstöße zur Erneuerung gegeben. Die eigentlichen Schwerpunkte, die das Konzil gebracht hat, sind:

  • 1. Die neue Sicht der Kirche als Gemeinschaft, auch als Gemeinschaft der Bischöfe untereinander, in gemeinsamer Verantwortung mit dem Papst
  • 2. Die Liturgie-Erneuerung.
  • 3. Die neue Entdeckung der Bibel und ihrer neuen Methoden, die verboten waren und jetzt gleichsam vorgeschrieben sind.
  • 4. Die neue Sicht von Sexualität und Ehe. Dass die Ehe eben nicht nur „ein rechtlich Ding“ ist, und dass die ehelichen Akte nicht nur im Hinblick auf die Fortpflanzung sittlich gerechtfertigt, sondern Ausdruck der Liebe sind.
  • 5. Die Frage der Ökumene. Vor dem Konzil war im Hinblick auf die Ökumene fast alles verboten. Was heute in Österreich gewachsen ist in der Ökumene, ist vorbildlich.
  • 6. Die Begegnung mit den anderen Weltreligionen. Das Gespräch mit dem Islam wäre heute unmöglich, wenn wir nicht beim Konzil die Öffnung der Kirche zu den anderen Weltreligionen gehabt hätten.
  • 7. Das Prinzip der Religionsfreiheit. Wenn wir uns heute zu Recht anstrengen, dass Religionsfreiheit in der ganzen Welt gewährleistet wird, dann muss man zurückblicken in die Zeit vor dem Konzil, wo die Kirche selbst dieses Prinzip nicht hochgehalten hat.

 

Interview: Stefan Kronthaler

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