Dr. Ursula Kovar, Familienrichterin, Vorstandsmitglied des Katholischen Familienverbandes der Erzdiözese Wien.
Wie soll generell bei der gemeinsamen Obsorge nach einer Scheidung verfahren werden?
Kovar: Gemäß § 177 (1) ABGB bleibt die Obsorge beider Eltern nach der Scheidung zunächst aufrecht. Die Eltern haben dann die Möglichkeit, diese gemeinsame Obsorge aufrecht zu erhalten, indem sie dem Gericht binnen angemessener Frist eine Vereinbarung über die gemeinsame Obsorge vorlegen mit der Angabe, bei welchem Elternteil sich das Kind hauptsächlich aufhalten soll.
Eine solche Vereinbarung setzt voraus, dass die Kindeseltern sich ihrer elterlichen Verantwortung bewusst sind, und auch willens sind, die eigenen Probleme, die sich im Verlauf der Trennung ergeben, zugunsten der kindlichen Bedürfnisse hintanzusetzen.
Gibt es andere Möglichkeiten?
Kovar: Es gibt leider keine befriedigende Alternative. Kommt nämlich eine derartige Vereinbarung nicht zustande, da sich die Eltern nicht einigen können, so hat das Gericht sich zunächst um eine gütliche Einigung zu bemühen. Gelingt diese nicht, so muss das Gericht eine Entscheidung darüber treffen, wem die Obsorge alleine zukommt. In Deutschland ist die Rechtslage anders. Hier ist die gemeinsame elterliche Sorge der Regelfall. Im Gegensatz zur Rechtslage in Österreich muss der Elternteil, der die alleinige Obsorge anstrebt, beweisen, dass die gemeinsame Obsorge dem Kindeswohl abträglich ist.
Ein österreichischer Richter hat nur den Versuch der „gütlichen Einigung“, um die Kindeseltern von einer gemeinsamen Obsorge zu überzeugen. Gegen den Willen eines Elternteiles kann eine gemeinsame Obsorge nicht angeordnet werden.
Auch eine in diesem Fall vermutlich dringend notwendige Mediation zur Förderung des elterlichen Einvernehmens, welche dem Wohl des Kindes unmittelbar zugute kommt, kann nicht vorgeschrieben werden, sondern basiert auf Freiwilligkeit.
Erfahrungsgemäß sind Trennungssituationen jedoch emotional stark aufgeladen und die Kindeseltern in dieser Situation oft überfordert, um freiwillig diese Unterstützungen zu organisieren – oft fehlt auch der Wille dazu ...
Man sieht, ein Familienrichter in Österreich hat kaum wirksame Instrumentarien in der Hand, hier auf die Kindeseltern einzuwirken. Wenn es an der Freiwilligkeit fehlt, kann er nur mit seiner Überzeugungskraft arbeiten. Angesichts der derzeitig dramatisch angespannten Planstellensituation besonders auf dem Gebiet der Familienrichter fehlen jedoch die notwendigen Zeitressourcen.
Welche Chance böte ein Ausbau der Familiengerichtshilfe?
Kovar: Der Ausbau der Familiengerichtshilfe ist dringend erforderlich – leider wurde auch auch dieser Bereich massiv von Einsparungen betroffen. Für den Familienrichter ist die Familiengerichtshilfe eine der wichtigsten und wertvollsten Hilfen, die bereits im Vorfeld Probleme klären und Unterstützung anbieten kann. Wenn der Fall zu Gericht kommt, ist meistens im Vorfeld schon sehr viel passiert. Manche Chancen sind dann endgültig verbaut – daher ist die Ausstattung der Familiengerichtshilfe mit genügend Ressourcen unabdingbar für ein gedeihliches soziales Klima .
Welche Rolle spielt das Wohl des Kindes bei diesen Überlegungen?
Kovar: Das Wohl des Kindes ist bei der Zuteilung der Obsorge das wesentlichste Entscheidungskriterium. Die Interessen der Elternteile sind sekundär. Das Gericht hat bei Obsorgezuteilungen alle Umstände zu erheben, die das Kindeswohl befördern oder benachteiligen können.
Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich, dass fast alle Kinder und Jugendlichen sich wünschen, dass beide Elternteile sich weiter für das Kind verantwortlich fühlen. In den meisten Fällen gibt es objektiv gesehen auch keine Umstände, die einen Elternteil als ungeeignet von der Obsorge ausschließen würden.
Streitigkeiten zwischen den Kindeseltern könnten mit einer Mediation behoben werden, in der die Kindeseltern auch lernen, wie sie sich in der neuen Situation bewegen sollen. Das Instrument der Mediation sollte viel mehr genützt werden und, wenn möglich, einige Zeit begleitend auch nach der Scheidung weitergeführt werden.
Ich habe hier sehr schöne Ergebnisse gesehen – die wenigsten Kindeseltern sind so „böse“, wie sie es anfänglich voneinander meinten, sondern meist zutiefst überforderte und verletzte Individuen, die einen neuen Lebensentwurf schaffen müssen. Das geht oft nur mit Hilfestellung – eine Art „Trennungs-rehabilitation“.
Interview: Stefan Kronthaler