„Wie war es auf der Synode?“, werde ich in in letzter Zeit öfter gefragt. Ich hatte als Begleiter von Kardinal Schönborn die Möglichkeit, die Synode sozusagen vom „Zaun aus“ zu beobachten. Hier der Versuch einer unvollständigen Antwort.
Mittwochmorgen in der Petersbasilika: Die Synodalen und einige wenige Zaungäste, darunter ich, feiern einen Gottesdienst am Altar der Kathedra. Die Stimmung ist nachdenklich, da zwei Wochen intensiver "Konversation im Geist" ihre Spuren auf den Gesichtern der Synodalen hinterlassen haben. Einer schmunzelt und nennt es "Ökumene der Müdigkeit". Die beschauliche Gregorianik im Raum verstärkt diese Atmosphäre.
Der Petersdom ist wie üblich Mittwochvormittag aufgrund der Generalaudienz am Petersdom leer. Draußen auf dem Platz herrscht Volksfeststimmung. Es scheint, als sei Papst Franziskus gerade angekommen, da die Choralschola gegen den ausgelassenen Jubel für den Pontifex ankämpft. Zwischen ihnen liegt ein schweigender Leerraum von gut 250 Metern.
Dem Beobachter drängen sich unwillkürlich Fragen auf: Wissen die Menschen auf dem Platz, dass sich hier gerade 400 Bischöfe, Priester, Ordensleute, Frauen und Männer aus aller Welt mit der Zukunft der Kirche auseinandersetzen? Ist es für sie vermittelbar, was und warum diese Versammlung mit ihrem Leben zu tun hat? Ist der schweigende Leerraum zwischen Hauptaltar und dem von den Kollonaden umarmten Platz nicht ein sprechendes Bild für die von Franziskus verordnete „riservatezza“ (Vertraulichkeit) der XVI. Bischofssynode über Synodalität?
Nikodemus Schnabel, Abt der Dormitioabtei in Jerusalem, erklärte mir bereits in den ersten Tagen der Synode im Interview, dass dieser Raum der Vertraulichkeit für die Synode notwendig sei. Denn in der Kirche hätten wir „unglaublich gut“ gelernt zu kommunizieren, so der Benediktiner. Auf die Spitze getrieben bedeute das aber: „Wer hört denn dann noch zu?“ Das Gespräch in der beschaulichen Umgebung der Abtei Sant’Anselmo auf dem Aventinhügel fand am Vortag des überraschenden Vernichtungsfeldzugs der Hamas gegen Israel statt. Am nächsten Tag änderte sich alles. Der Krieg in Nahost warf seinen Schatten auch auf die Synode. Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, kehrte überstürzt nach Israel zurück. Die vertrauliche "Konversation im Geist“vollzieht sich nicht außerhalb von Raum und Zeit.
Mit der Veröffentlichung der Exhortation "Laudate Deum" pünktlich zum Beginn der Synode wurde deutlich, dass das Schreiben des Papstes zur Klimakrise geerdet ist wie kaum ein anderes kirchliches Dokument. Auch wenn das Weltklima nicht auf der Tagesordnung der Versammlung steht, ist die Zukunft der Kirche nicht jenseits der bedrängenden Herausforderungen dieser Welt zu denken.
Die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen rund um den Petersplatz erschweren es mir als Betrachter, die abendlichen Treffen mit dem Erzbischof einzuhalten. Kardinal Schönborn entschlüsselt auf seinen Social-Media-Kanälen Begrifflichkeiten und die Arbeitsweise der Synode. Manche der vorbeiströmenden Synodenteilnehmer grüßen mich mittlerweile, mit manchen ist sogar Smalltalk möglich. Der Großteil hütet sich jedoch offensichtlich, in Gespräche verwickelt zu werden. Im stetig kleiner werdenden Kreis der Journalisten in der Sala Stampa findet die Resonanz auf die kurzen Videobeiträge unseres Erzbischofs großen Anklang.
Andererseits ist es letztlich gar nicht so schwer, dem Synodenfortgang zu folgen. Wer das Vorbereitungspapier (Instrumentum Laboris) kennt, weiß, worüber gesprochen wird. Dennoch bleiben die konkreten Ergebnisse der methodologisch streng geregelten Gesprächsrunden vertraulich. Ob es unserer „Informationsgesellschaft“ zumutbar ist, vier ganze Wochen auf ein Synthesenpapier zu warten, möchte ich hier als Frage stehen lassen. Man kann es als bemerkenswertes und starkes Zeichen sehen, dass sich die größte Religionsgemeinschaft der Welt konsequent der Logik einer „Information-on-demand“ verweigert. Das macht die Frustration derer, die das als „größtes kirchliches Ereignis seit dem II. Vatikanum“ erklären wollen, nicht leichter. Verständnis für den Frust zeigt der Methodistenpastor Matthew A. Laferty, Direktor des Methodistischen Ökumenischen Büros in Rom und Beobachter bei den Generalversammlungen der Synode. In seiner Kirche wäre dieser Kommunikationsstil ein absolutes „No-Go“. Die Kultur, in der er zuhause ist, verlange absolute Transparenz. Den Synodenstil seiner Kirche bezeichnet er als „demokratisch“.
Trotzdem zollt er der Unterscheidung von Synode und Parlament, wie sie Franziskus betont hat, Anerkennung. Er erlebt die Entscheidungsfindung in seiner Kirche oft politisiert und daher von viel „Druck und Gegendruck“ geprägt. Sich dagegen offensichtlich wirksam zu schützen, hält er als Stärke des Katholizismus.
Die Gespräche sind intensiv, das römische Leben pulsiert, und die Temperaturen sind gnadenlos sommerlich im Oktober. Die alte Metropole ist viel zu ewig, als dass sie eine Bischofssynode überhaupt zur Kenntnis nimmt. Die Touristen und Pilger(?) füllen Plätze und Gassen, als wäre Hauptsaison. Zum Glück finden sich am Weg dann doch auch immer wieder ruhige und wenig bekannte Plätze und Kirchen, um die Eindrücke etwas sacken zu lassen. „Die Stille tut auch körperlich gut!“ Dieser Satz unseres Erzbischofs geht mir durch den Kopf, als ich ganz allein in der kühlen Basilika San Giorgio in Velabro sitze.
Still, aber bedrückend, ist das Gebet mit Papst Franziskus am selben Abend auf dem von italienischen Sicherheitskräften großräumig abgesperrten Petersplatz. Franziskus hat zum Gebet für die Flüchtlinge und Migranten eingeladen. Am Gesicht des Papstes lässt sich unschwer ablesen, wie sehr ihn diese Frage bedrückt. Mit der Ernennung von Luca Casarini, der wegen seiner privaten Rettungsaktionen im Mittelmeer in Italien vor Gericht steht, zum Synodenteilnehmer hat Papst Franziskus auch dieses ungelöste Drama buchstäblich ins Kirchenboot geholt. Die Berufung des früheren bekannten Linksaktivisten und Hausbesetzers hatte im Vorfeld zu Diskussionen geführt. Die Frage der Nicht-Bischöfe unter den Teilnehmern war - abgesehen von Casarini - ein viel diskutiertes Thema. Zum einen haben laut kirchlichem Verständnis nur Bischöfe die Fülle der „Leitungs-, Lehr- und Heiligungsgewalt“ und sind damit allein befähigt, in Gemeinschaft mit dem Papst Fragen zu entscheiden, die die ganze Kirche betreffen. Andererseits hat Franziskus buchstäblich mit einem Federstrich die Zusammensetzung der Synode um Laien, Ordenschristen und Priester erweitert. Wie die Auswahl zustande kam, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Kardinal Schönborn hat in der international viel beachteten Pressekonferenz alle theologischen Bedenken ausgeräumt und die Erweiterung der Bischofssynode als bereichernd bezeichnet. Dennoch bleibt die Frage offen, ob - ähnlich wie die Information zum Synodenverlauf - nicht auch die Auswahl von Synodenteilnehmerinnen und -teilnehmern deutlich mehr Transparenz verdient, und zwar im Sinn der Akzeptanz und Relevanz.
Auf meinem täglichen Weg von und zur Synode bin ich vielen besorgten Eltern begegnet, die vor der Kinderklinik „Bambino Gesú“ am Gianicolo ihre Wartezeit verbrachten. Die Sorgen um ihre Kinder waren vielen von ihnen ins Gesicht geschrieben. Für sie kann die Synode auf den ersten Blick keine Rolle spielen. Ausgeweitet auf das große „Feldlazarett“ Welt, um einen beliebten Ausdruck von Papst Franziskus zu verwenden, denke ich, hat sich spätestens gegen Ende der Synode sehr wohl ihre Bedeutung auch über die Grenzen der Kirche hinaus gezeigt. Dass es dort nämlich vier Wochen lang dank einer erfolgreichen Methodik des Gesprächs an runden Tischen, die übrigens eine Anregung der asiatischen Kontinentalversammlung war, nur harmonisch und einmütig zugegangen ist, darf zumindest bezweifelt werden.
Vor der Synodenaula treffe ich etwa den Redemptoristen P. Vimal Tirimanna. Er ist Moraltheologe in Rom und in seinem Heimatland Sri Lanka. Seit 2021 ist er als Delegierter Asiens an der Vorbereitung der Synode beteiligt .Er macht sich wenig Illusionen über den passiven Widerstand von Teilen der Kirche gegen die Synode: „Viele wollen ganz offensichtlich das Thema „Synodalität“ aussitzen und hoffen auf einen neuen Papst, der diesen Prozess stoppt und dem Vergessen anheim gibt“, so der leidenschaftliche Theologe. Dennoch hält er den Prozess für unumkehrbar.
Auch die über 1200 Änderungsvorschläge bei der Erstellung des finalen Synthesepapiers sprechen für durchaus diverse Zugänge und Lösungsansätze. Dennoch bleibt es bemerkenswert, dass es gelungen ist, jeden zu Wort kommen zu lassen. Die großen Themen sind nicht nur auf den Tisch, sondern auch in das zusammenfassende Dokument gekommen und fanden bei immerhin 80 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Zustimmung. Ich sehe das als Beweis dafür, dass es möglich ist, durch Zuhören und Wertschätzung auch bei oft diametral entgegengesetzten Standpunkten zu einem tragfähigen Konsens zu kommen, auf dem man weiterbauen wird. Das ist in einer Welt, die von unversöhnlichen Spaltungstendenzen und zunehmender Gewalt geprägt ist, mehr als relevant. Oder wie es der Kiyiver Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, mir gegenüber zusammenfasste: „Die Aufgabe der Kirche ist es, ein Ort der Heilung zu sein
Die Frage, ob es angemessen ist, vor diesem Hintergrund die erste der beiden Bischofssynoden zu einem neuen Miteinander in der Kirche kleinzureden oder gar lächerlich zu machen, beantwortet sich so gesehen von selbst...