Es braucht neue Formen christlicher Gemeinschaft, um den „Himmel offen zu halten“ für unsere Mitmenschen. Kardinal Schönborn im Gespräch mit Georg Schimmerl am Rand der Synode.
Innerhalb der mittelalterlichen Mauern des Klosters Santi Quattro Coronati, direkt unterhalb des Laterans in Rom, treffe ich Kardinal Christoph Schönborn. Die Umgebung ist idyllisch: ein ruhiger, malerischer Klostergarten mitten in der Stadt. Unser Gespräch steht in einer deutlichen Spannung zur Ruhe und Abgeschiedenheit dieser klösterlichen Abgeschiedenheit.
Im 9. Jahrhundert, in dem diese Gottesburg gebaut wurde, war der christliche Glaube eine völlig unumstößliche Tatsache. Es gab viele, auch gewalttätige Konflikte. Aber die Existenz Gottes, die letzte Verantwortung jedes einzelnen Menschen vor Gott, das Gebet um Gottes Schutz waren allgegenwärtig, und Gottes wunderbares Eingreifen in die konkrete Geschichte eine unhinterfragbare Tatsache. Das fällt längst unter „tempi passati“ – längst vergangene Zeiten. Als ich ihn nach seiner Sicht auf die Säkularisierung frage, betont der Erzbischof sofort, dass die zunehmende Gottvergessenheit unserer Gesellschaft in der Diskussion in der Synodenaula nicht genug Beachtung findet. Ein Thema kommt meines Erachtens in der Synode zu wenig zur Sprache“, sagt er, „das ist die weitgehende Säkularisierung nicht nur der westlichen Welt, sondern großer Teile der Welt.“ Er beschreibt ein Phänomen, das ihm Sorgen bereitet: die Abwesenheit Gottes im Leben vieler Menschen und die Tatsache, dass sie damit gut zurechtzukommen scheinen. „Es scheint so zu sein, dass Gott einfach nicht interessiert“, sinniert Schönborn, „dass Menschen ganz gut und ohne größere seelische Probleme damit leben können, dass für sie Gott nicht relevant ist.“ Diese Aussage zeigt, wie tief die Kluft zwischen Kirche und moderner Gesellschaft sein kann. Schönborn stellt dabei die Frage in den Raum: „Aber interessiert das irgendjemanden?“ Ein Satz, der nachhallt, denn er trifft den Kern der aktuellen Herausforderung der Kirche: Sie spricht, aber wer hört zu?
Der Zeitdiagnose zum Trotz bleibt der Kardinal zuversichtlich. Ein Hoffnungszeichen sieht er in den Menschen, die ihren Weg zurück zur Kirche finden, auch wenn sie aus einem völlig säkularen Umfeld stammen. Er erzählt von beeindruckenden Zahlen: „12.000 bis 13.000 Erwachsene haben sich zu Ostern dieses Jahres in Frankreich als Erwachsene taufen lassen.“ Die Tatsache, dass diese Menschen aus einer vollständig säkularisierten Welt kommen, macht diese Entwicklung für Schönborn umso bemerkenswerter. „Die große Herausforderung für uns und unsere Gemeinden ist es, wach zu sein für diese Menschen, die anfangen zu suchen, sich zu interessieren.“
Hier zeigt sich eine seiner zentralen Botschaften: Die Kirche muss bereit sein, auf Menschen zuzugehen, die beginnen, Fragen zu stellen und nach etwas Größerem suchen.
Ein anderes Thema, das den Kardinal bewegt, ist die Bedeutung kleiner Gemeinschaften und Hauskirchen. Für ihn ist es ein Prinzip, das tief in der Geschichte der Kirche verwurzelt ist. „Bis in die Gegenwart waren es immer wieder Einzelne, die es gespürt haben und es geschafft haben, Menschen zu sammeln, sozusagen Kleingemeinden zu bilden.“ Diese kleinen Kreise, in denen Menschen gemeinsam beten und sich austauschen, seien von zentraler Bedeutung für das kirchliche Leben.
Schönborn erinnert sich an seine eigene Zeit als Student, als er in einem Gebetskreis aktiv war. „Wir haben uns einmal in der Woche getroffen und da waren die unterschiedlichsten Leute“, erzählt er. Diese Form von Gemeinschaft, oft abseits der großen Kirchenstrukturen, sei eine Art „Hauskirche“ und könne auch heute eine entscheidende Rolle spielen.
Kreativität ist gefragt
Abschließend spreche ich ihn auf die schrumpfenden Gemeinden und den Priestermangel an, ein drängendes Problem, das viele unserer Pfarreien betrifft. Schönborn zeigt Verständnis für die Situation, doch er betont, dass es keinen Grund zur Verzweiflung gebe. „Wir dürfen nicht daran verzweifeln, dass unsere Pfarrgemeinden zum Teil sehr stark überaltert sind.“ Stattdessen sieht er gerade in der Bildung kleiner Gemeinschaften eine Chance: „Hauskreise, Familienkreise, Gebetsgruppen, Austauschgemeinschaften, kleine Hauskirche – das ist eine Chance, die für mich als große Ermutigung aus dieser Synode hervorgeht.“ Es ist letztlich Verantwortung und Sendung jedes Getauften, neue Wege christlicher Gemeinschaft abseits des Gewohnten zu finden, denn letztlich geht es darum, den „Himmel offen zu halten“ - gerade für die, die nach einem Anker für ihre Sehnsucht suchen.