Vielfalt ist ihm in die Wiege gelegt, Optimismus hat ihn sein Lebensweg gelehrt. Im Gespräch erklärt er, wo er die Chancen für eine Minderheitenkirche sieht und warum er lieber von "Communio" als von "Ökumene" spricht.
Das "Domus Sacerdotalis" in der Via Traspontina ist ein Hotel aus den 70er Jahren. Es beherbergt Beamte und Gäste der vatikanischen Kurie, aktuell viele Synodenteilnehmer. An diesem Samstagvormittag ist es ruhig im Foyer. Einige Gäste lesen in ihren Zeitungen, andere machen eine Pause von den Synodensitzungen. Hier treffe ich den Belgrader Erzbischof Ladislav Német.
Seit seiner Ernennung zum Kardinal am 7. Oktober versuchten wir, einen Termin zu finden. Die Ernennung kam für Német unerwartet. Er braucht noch Zeit, um diese Ehre zu verarbeiten. Das Echo, insbesondere aus seiner Heimat Serbien, freut ihn. Als erster Kardinal in einem überwiegend orthodoxen Land mit etwa 300.000 katholischen Gläubigen, hat er eine besondere Verantwortung. Am 7. Dezember wird er das rote Birett empfangen und in das Kardinalskollegium aufgenommen.
Geboren 1956 im Nordosten Serbiens in eine ungarische Familie, wuchs Német in der Region Vojvodina auf. Dort spricht man Serbisch, Ungarisch, Kroatisch, Deutsch, Slowakisch und Ukrainisch. Diese Sprachenvielfalt prägt die katholischen Gemeinden und erinnert an die Struktur der ehemaligen Habsburger Monarchie. Német spricht mehrere dieser Sprachen und wurde seit seiner Kindheit durch verschiedene Kulturen und Konfessionen beeinflusst. Sein ungarischer Vorname László wurde von den jugoslawischen Behörden in Ladislav geändert, was er hinnimmt. Es freute ihn, dass Papst Franziskus ihn bei der Ankündigung seiner Ernennung in dieser Form nannte.
Seine Prägung durch ein multikulturelles Umfeld spiegelt sich in seiner Offenheit wider. Als Mitglied der Steyler Missionare, einer Ordensgemeinschaft für Evangelisierung und interkulturellen Austausch, hat er viel von der Welt gesehen. Er war Professor an der Theologischen Hochschule seines Ordens in St. Gabriel bei Mödling und gleichzeitig Seelsorger in der Südstadt. Wie es für einen Steyler Missionar üblich ist, wurde er auf die Philippinen entsandt. Fortan gestaltete er das Gemeindeleben und unterstützte Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Sein Ziel war es, Menschen zusammenzubringen und Brücken zu bauen, in multikulturellen Kontexten oder in konfessionell gemischten Gesellschaften. Später wirkte der international gut vernetzte Ordensmann unter anderem als Generalsekretär der Bischofskonferenz in Ungarn. Papst Benedikt ernannte ihn 2008 zum Bischof im serbischen Zrenjanin. Im Jahr 2022 berief Papst Franziskus nach Belgrad. Seit 2021 ist er auch Vizepräsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE).
Diese Erfahrungen haben ihn geprägt und machen ihn auch heute resistent gegenüber Resignation oder Pessimismus, auch was die Zukunft der katholischen Kirche in Serbien angeht. Auch sie wird wird kleiner, die Gemeinden altern und auch die Auswanderung betrifft seine Gemeinden. Nicht jeder bekennt sich öffentlich zum Katholizismus, da die Wunden des Balkankrieges der 90er Jahre noch nicht verheilt sind und Konfession sowie Nationalität im früheren Jugoslawien auch weiterhin Synonyme sind. Minderheitengemeinden wie die katholische Kirche in Serbien verlieren zusätzlich oft Gläubige durch Mischehen zugunsten der orthodoxen Mehrheit. Trotz dieser Herausforderungen zeigt sich Német entschlossen. Er glaubt, dass die Kirche von morgen anders aussehen wird: weniger institutionell, mehr gemeinschaftsorientiert. Er spricht von einer Kirche der kleinen Hausgemeinden, in denen sich Menschen zum Gebet und Austausch treffen, einander stärken und das Evangelium bezeugen. Diese kleinen Gemeinschaften könnten das Rückgrat der Kirche bilden, eine Vision, die Ansätze in seiner Diözese zeigt. Neue Gemeinschaften beleben das kirchliche Leben in Serbien und bieten Modelle, wie die Kirche in Zeiten des Wandels lebendig bleiben kann.
Ein unumgängliches Thema in Serbien ist das Verhältnis zur orthodoxen Landeskirche. Die Beziehung zwischen den beiden Kirchen, insbesondere zwischen Német und Patriarch Porfirije, ist sehr gut. Der Patriarch war unter den ersten Gratulanten zur Kardinalserhebung. Trotz dieser Verbindung vermeidet es der frisch ernannte Kardinal, den Begriff "Ökumene" zu verwenden. Für viele Orthodoxe ist das Wort mit der Angst vor katholischer Vereinnahmung und Proselytismus (Abwerben von Gläubigen) belastet. Er bevorzugt von „Communio“- von Gemeinschaft - zu sprechen. Die Frage der Eucharistiegemeinschaft, die oft als Herzstück der ökumenischen Bemühungen gilt, sieht Német vorsichtig kritisch. Ihm geht es darum, realistische Schritte zu fördern: Gemeinsame Gebete und spirituelle Begegnungen könnten mehr zur Stärkung der Einheit beitragen als dogmatische Diskussionen. Was ihn zuversichtlich macht, ist die Vielfalt, die in seiner Kirche gelebt wird. Die Kirche passt sich an neue Herausforderungen an. Dazu braucht es Mut, neue Formen zu wagen. Dieser Mut ist Ladislav Német eigen, in seiner Seelsorge, seinen interkulturellen Erfahrungen oder in seinem Engagement, die Einheit der Kirchen voranzutreiben.