"Was in den Unterkünften passiert, hat mit dem demokratischen, säkularen Rechtsstaat nichts zu tun", sagte Paulus Kurt vom Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland.
"Was in den Unterkünften passiert, hat mit dem demokratischen, säkularen Rechtsstaat nichts zu tun", sagte Paulus Kurt vom Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland.
Über 400 Körperverletzungen und über 300 Todesdrohungen sind "nur die Spitze des Eisberges".
In deutschen Flüchtlingsheimen werden Christen nach Darstellung von "Open Doors" weiterhin diskriminiert. Das christliche Hilfswerk legte am Montag, 17. Oktober 2016, die Ergebnisse einer deutschlandweiten Befragung von 743 christlichen Flüchtlingen vor.
Demnach wurden 314 der befragten Flüchtlinge in Deutschland mit dem Tode bedroht, in 416 Fällen sei es zu Körperverletzungen gekommen. Aber nur 129 befragte Flüchtlinge haben nach Angaben von "Open Doors" Anzeige bei der Polizei erstattet. Die meisten übrigen Befragten gaben an, sich aus Angst etwa vor Racheakten nicht an die Polizei gewandt zu haben. Angaben von "Open Doors" zufolge ist die Situation in österreichischen Flüchtlingsheimen vergleichbar, wobei das Problem auch hierzulande kaum wahrgenommen werde.
In mehr als 600 der beschriebenen Fälle aus Deutschland sind laut dem Hilfswerk Mitflüchtlinge die Täter gewesen, in rund 200 Fällen Angehörige des Wachpersonals. 83 Prozent der Befragten berichteten von mehrfachen Übergriffen, 56 von Körperverletzungen, 42 Prozent - in 314 Fällen - von Todesdrohungen, und sechs Prozent von sexuellen Übergriffen. Bei den Übergriffen waren oft auch mehrere Personen beteiligt. Neun von zehn Übergriffen seien von muslimischen Mitflüchtlingen ausgegangen, 28 Prozent von muslimischem Wachpersonal und ein Drittel von anderen Personen.
In etlichen Fällen habe mangelnde Hilfe seitens Wachdienste, Heimleitung sowie Behörden die Situation der Betroffenen verschärft, berichtet "Open Doors". Die meisten Flüchtlinge hätten sich in der Befragung für eine getrennte Unterbringung von christlichen und muslimischen Flüchtlingen aus gesprochen. Diese Forderung erhebt "Open Doors" bereits seit längerem.
Die Befragung wurde von "Open Doors" mit Hilfe eines Multiple-Choice-Fragebogens durchgeführt, der jedoch nur von Flüchtlingen ausgefüllt wurde, die tatsächlich Opfer von Übergriffen wurden. Von ihnen stammten 146 aus Berlin, 136 aus Hessen und 128 aus Nordrhein-Westfalen. Aus fünf Bundesländern, Bremen, dem Saarland, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, lagen dagegen insgesamt nur 23 Berichte vor. Gut die Hälfte der befragten Flüchtlinge waren nach Angaben der international agierenden evangelikalen Organisation Konvertiten, von ihnen wechselten 29 Prozent erst in Deutschland vom Islam zum Christentum.
In einer Erstaufnahmeeinrichtung wagten 32 christliche Flüchtlinge, von gewaltsamen Übergriffen und Morddrohungen gegen sie zu berichten, nachdem ihnen Mitarbeiter des Regierungspräsidiums, der Polizei und der Heimleitung Schutz zugesichert hatten. Den stellten Heimleitung und Behörden schließlich durch getrennte Unterbringung und die Zuordnung von Wachpersonal und Dolmetschern christlichen Glaubens sicher.
"Open Doors" hatte bereits im Frühjahr eine Studie mit ähnlichen Ergebnissen vorgelegt. Weil die Studie aber lediglich auf 231 Fällen basierte, wurde sie teilweise deutlich kritisiert. Bemängelt wurde vor allem, dass von flächendeckenden Fällen von Gewalt und Drangsalierung gegenüber Christen in den Unterkünften die Rede gewesen sei, obgleich fast zwei Drittel der mutmaßlichen Opfer aus einer einzigen Gemeinde in Berlin stammten. Eine daraufhin von den beiden großen Kirchen im Juli gestartete Befragung in Flüchtlingsheimen kam zudem zum Ergebnis, dass es sich bei den Übergriffen um Einzelfälle handle, während eine flächendeckende und systematische Diskriminierung von Christen nicht festzustellen sei. Die getrennte Unterbringung sei nur in Erwägung zu ziehen, wenn der Schutz von Angehörigen religiöser Minderheiten nicht anderweitig gewährleistet werden könne, empfahlen die Kirchenvertreter.
Der nun bereits zweite Bericht wurde von "Open Doors" zusammen mit der "Aktion für Verfolgte Christen", dem Zentralrat orientalischer Christen in Deutschland und der Europäischen Missionsgemeinschaft vorgestellt, während die bei der ersten Präsentation anwesende "Internationale Gesellschaft für Menschenrechte" und das Hilfswerk "Kirche in Not" nunmehr nicht vertreten waren. Laut Einschätzung von "Open Doors"-Direktor Markus Rode handelt es sich bei den aufgezeigten Fällen "nach wie vor nur um die Spitze des Eisbergs". Man gehe von einer "enormen nicht dokumentierten Dunkelziffer" aus.
"Was in den Unterkünften passiert, hat mit dem demokratischen, säkularen Rechtsstaat nichts zu tun", sagte Paulus Kurt vom Zentralrat der Orientalischen Christen in Deutschland. Für die Menschen, die Schutz suchten, seien die Verhältnisse dort eine Katastrophe. "Sie können nicht verstehen, wie es sein kann, dass man nichts unternimmt." Wegen der Verfolgungen hätten Menschen Selbstmord begangen oder seien verzweifelt in ihre Heimat zurückgekehrt.
Frank Seidler von der "Europäischen Missionsgemeinschaft" verwies darauf, dass es im Bereich jesidischer Flüchtlinge zahlreiche weitere Beispiele von Verfolgung gebe. Ein Problem sei auch das Verhalten vereidigter Übersetzer. Vor Journalisten kritisierten Rode und Vertreter der übrigen beteiligten Organisationen, dass derzeit Christen im Schnellverfahren in ihre Heimatländer abgeschoben würden.
"Wir stellen fest, dass die Verfahren derzeit mit einem großen Tempo betrieben werden", sagte Volker Baumann von der "Aktion für Verfolgte Christen". Auch Rode forderte, Christen getrennt unterzubringen und Vertrauenspersonen in Flüchtlingsheimen anzustellen.