Mindestens 5.000 jesidische Männer und Buben wurden August 2014 ermordet, rund 6.000 Frauen und Mädchen verschleppt und als Sklavinnen gehalten. Noch immer sind bis zu 3.500 Frauen in der Hand des IS.
Mindestens 5.000 jesidische Männer und Buben wurden August 2014 ermordet, rund 6.000 Frauen und Mädchen verschleppt und als Sklavinnen gehalten. Noch immer sind bis zu 3.500 Frauen in der Hand des IS.
Vom IS entführte jesidische Menschenrechtsaktivistin und Sacharow-Preisträgerin Lamiya Aji Bashar auf Wien-Besuch. Noch immer 3.500 jesidische Frauen und Mädchen in den Händen des IS und seiner Sympatisanten. Kleine Religionsgemeinschaft ringt nach Genozid um das Überleben in der Heimat.
Die religiösen Minderheiten wie Christen oder Jesiden haben im Irak nur dann eine Zukunft, wenn sie vom Westen massiv unterstützt werden: Das betonte die junge jesidische Menschenrechtsaktivistin und Sacharow-Preisträgerin Lamiya Aji Bashar, die am Montag auf Einladung des Weltgebetstags der Frauen und des Katholischen Akademikerverbands nach Wien gekommen war. Am Montagabend trat sie im Otto-Mauer-Zentrum im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf, zuvor informierte sie im Rahmen einer Pressekonferenz über die dramatische Situation der jesidischen IS-Opfer.
Anfang August 2014 eroberte die Terrormiliz IS im Distrikt Singal im Norden des Iraks zahlreiche Dörfer der Jesiden und verübte einen Völkermord an den Angehörigen der Religionsgemeinschaft. Mindestens 5.000 Männer und Buben wurden ermordet, rund 6.000 Frauen und Mädchen verschleppt und als Sklavinnen gehalten. Noch immer seien bis zu 3.500 Frauen in der Hand des IS, so Lamya.
Aber auch jene Frauen, die sich durch Flucht, Befreiungsaktionen oder Lösegeld befreien konnten, sind nun mit der katastrophalen Situation in den überfüllten Flüchtlingslagern in den Kurdengebiten oder auch in der Türkei konfrontiert. Es gebe viel zu wenig psychologische Unterstützung für die schwer traumatisierten Frauen und nur wenige Kinder könnten die Schule besuchen. Viele Frauen und Kinder hätten auch mitansehen müssen, wie die IS-Terrorosten ihre männlichen Familienangehörigen brutal ermordeten.
Lamya war 16, als sie vom IS entführt wurde, nach acht Monaten gelang ihr die Flucht. Dabei wurde sie aber von einer Landmine im Gesicht schwer verwundet. Trotz ihres Martyriums ließ sich die junge Frau aber nicht brechen. Mittlerweile wurde sie zusammen mit einer Leidensgenossin vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis für geistige Freiheit 2016 ausgezeichnet. Sie engagiert sich international für die Rechte der jesidischen Minderheit.
Gleich mit einer ganzen Reihe von Forderungen wartete Josef Weidenholzer, Vizepräsidenten der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, auf. Die internationale Staatengemeinschaft und damit auch Österreich müssten sich für massive Sicherheitsvorkehrungem im Nordirak einsetzen. Nur dann sei überhaupt ein Überleben der letzten Jesiden in der Region anzudenken. Da die gesamte Region weitgehend zerstört ist, brauche es darüber hinaus auch massive fianzielle Unterstützung beim Wiederaufbau.
"Und es braucht Rechtsstaatlichkeit", fügte der Europa-Parlamentarier hinzu. Die IS-Leute und ihre Sympatisanten müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Nur dann sei vor Ort auch ein Neuanfang zwischen den verfolgten Minderheiten wie Jesiden oder Christen und der muslimischen Mehrheitsbevölkerung denkbar.
Lamya gab zu bedenken, dass die Jesiden vielfach das Vertrauen in ihre muslimischen Nachbarn verloren hätten. Denn genauso wie auch im Fall der Christen hätten noch vor den IS-Leuten schon muslimische Nachbarn die Jesiden verfolgt und vertrieben.
Freilich wurde im Rahmen der Veranstaltung auch deutlich, dass nicht alle Muslime über einen Kamm geschoren werden dürfen. So hätten beispielsweise auch die Schiiten unter der IS massiv gelitten.
Der Politikwissenschaftler und Kurdistan-Experte Thomas Schmidinger wies weiters auf die unklare politische und militärische Situation vor Ort hin. Die Spannungen zwischen verschiedenen kurdischen Gruppierungen, die eigentlich nur der gemeinsame Feind IS eine, hätten zuletzt stark zugenommen. Die Gefahr bestehe, "dass innerkurdische politische Konflikte auf dem Rücken der Jesiden ausgetragen werden", warnte Schmidinger. Dann wäre womöglich auch noch der noch immer nicht militärisch endgültig besiegte IS der lachende Dritte. Deshalb müsse die internationale Staatengemeinschaft vermitteln.
Weidenholzer wies freilich auch darauf hin, dass es für viele der traumatisierten Jesidinnen wohl keine Zukunft mehr in ihrer Heimat geben werde. Für diese Menschen sollte der Westen besondere Aufnahmemöglichkeiten schaffen. Als positive Beispiele führte er Deutschland und Kanada an. Deutschland habe bereits 1.100 Jesidinnen aufgenommen, Kanada habe sich bereit erklärt, 1.800 aufzunehmen. Österreich sollte sich daran ein Beispiel nehmen, so Weidenholzer.
Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Erstmals erwähnt werden die Jesiden in nahöstlichen Quellen aus dem 12. Jahrhundert.
Die Jesiden leben vor allem im nördlichen Irak. Der Distrikt Singal war eines der letzten zusammenhängenden Siedlungsgebiete der Gemeinschaft. Ferner leben Jesiden in Nordsyrien, dem Nordwestiran und in der südöstlichen Türkei. Auch in Westeuropa gibt es inzwischen jesidische Gemeinden. In Deutschland leben inzwischen beispielsweise bis zu 100.000 von ihnen. Schon in den 1980er Jahren waren über 50.000 Jesiden aus der Türkei gekommen, die anderen folgten nun in den vergangenen zwei bis drei Jahren als Flüchtlinge.
Die jesidische Gemeinschaft in Österreich ist sehr klein und wird auf rund 1.000 Personen geschätzt. Bisher besitzen sie in Österreich weder den Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft noch den vergleichsweise weniger privilegierten Status einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft. Damit sind sie auch nicht statistisch erfasst. Der größte Teil der Jesiden in Österreich stammt aus dem Irak.
Der jesidische Glaube vereint Elemente verschiedener nahöstlicher Religionen, vor allem aus dem Islam, aber auch aus dem Christentum, Zoratrismus oder Judentum. Das religiöse Zentrum ist Lalisch, eine Stadt im Nordirak nahe Mossul. Im Jesidentum gibt es keine verbindliche religiöse Schrift. Die Glaubenslehren werden mündlich überliefert. Nach jesidischer Vorstellung ist Gott "einzig, allmächtig und allwissend". Jesiden glauben an Seelenwanderung und Wiedergeburt.
Jesiden haben ein weltliches und ein religiöses Oberhaupt. Jeside ist nur, wer von jesidischen Eltern abstammt. Heiratet ein Jeside einen Andersgläubigen, gilt das als Austritt aus der Religionsgemeinschaft.
Jesiden wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verfolgt, sowohl religiös als auch - wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden - ethnisch. Fundamentalistische Muslime betrachten sie als "ungläubig" und "vom wahren Glauben abgefallen". Oft werden sie auch als "Teufelsanbeter" bezeichnet, was freilich völliger Unsinn sei, wie der Religionswissenschaftler Wolfram Weiss im Rahmen der Wiener Podiumsdiskussion unterstrich.
Das Verhältnis zu Christen gilt hingegen nach Angaben der Jesiden als gut. Auch Lamya bestätigte auf "Kathpress"-Anfrage, dass Jesiden und Christen immer gut miteinander ausgekommen seien und dies wohl auch künftig könnten.
Der "Weltgebetstag der Frauen", der gemeinsam mit dem Wiener Katholischen Akademikerverband Lamya eingeladen hatte, ist eine Initiative verschiedener christlicher Frauenorganisationen. Diese gehören der altkatholischen, anglikanischen und armenisch-apostolischen Kirche an; weiters den Baptisten, der evangelische lutherischen und reformierten Kirche, der Heilsarmee, der römisch-katholische und der orthodoxen Kirche. Sie setzen sich weltweit für Frauen ein, die unter unsicheren Lebensverhältnissen, gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Verletzungen der Menschenrechte und Ausbeutung leiden.