Jan van Eyck: Die Anbetung des Lammes, Genter Altar, 1432.
Jan van Eyck: Die Anbetung des Lammes, Genter Altar, 1432.
Interview mit Sr. Ruth Pucher über den Genter Altar.
Warum fasziniert der Genter Altar noch heute?
Pucher: Sein konsequenter Naturalismus in der Feinmalerei verblüfft auch noch im Zeitalter der Fotografie und Bildbearbeitung. Die unregelmäßigen Fransen eines Seidenbrokats, der metallische Glanz von Orgelpfeifen oder die fast schockierende Echtheit alternder Haut aktivieren neben dem Sehsinn auch den Tastsinn der Betrachtenden. Die Anordnung der Figuren wirkt geheimnisvoll, einem strikten Plan folgend. Die Gebrüder van Eyck verstanden es, selbst in scheinbar stillstehenden Bildern Geschichten zu erzählen.
Versteht man die Darstellung(en) ohne biblisches Basiswissen?
Pucher: Allgemein verstanden werden wohl die feierliche Atmosphäre, die Konzentration auf ein Zentrum, die Präsenz eines gütigen Regenten. Vielleicht erregen die Darstellungen die Sehnsucht, mehr um die Inhalte zu wissen: Warum steht ein Schaf auf einem hohen Sockel mitten in der Wiese? Und warum sind die Augen aller Menschen auf dieses Tier gerichtet? Worauf warten die denn? Wer die Zusammenhänge verstehen will, braucht Bibelkenntnis.
Welche Bedeutung hat die Kunst für das Christentum?
Pucher: Bilder und Kunstwerke allgemein können erzählen, in Erinnerung rufen, belehren, schmücken, loben, Fragen stellen... Sie sprechen in einer eigenen Sprache zu den Menschen und eröffnen damit einen weiteren Raum, wo die Beziehung zwischen Mensch und Gott gelebt und gestaltet werden kann. Und das gilt nicht nur für explizit „christliche Kunst“. Ich hatte schon beglückende Gottesbegegnungen in Werken, die „nur“ gute Kunst waren.
Sr. Mag. Ruth Pucher,
Gemeinschaft der Missionarinnen Christi, hat nach ihrer Ausbildung zur Kirchenrestauratorin Kunstgeschichte studiert.
Interview: Stefan Kronthaler