Der Schriftsteller Arnold Stadler, Büchner-Preis-Träger von 1999, richtet sich gegen allzu selbstgewisse Zweifler.
Der Schriftsteller Arnold Stadler, Büchner-Preis-Träger von 1999, richtet sich gegen allzu selbstgewisse Zweifler.
Prof. Jan-Heiner Tück im Gespräch über den Autor Arnold Stadler, der die Sehnsucht nach dem ganz Anderen in seinem Werk zum Thema
SONNTAG: Wie stellt die zeitgenössische Literatur die Frage nach Gott?
Jan-Heiner Tück: Das Wort Gott war in der Literatur lange tabu. Gottfried Benn hat von einem „schlechten Stilprinzip“ gesprochen, Elias Canetti eine gewisse „Gottprotzigkeit“ bemängelt. Das wendet sich gegen eine fromme Selbstgewissheit, die sich durch Fragen gar nicht mehr irritieren lässt und die Wahrheit gewissermaßen für sich gepachtet hat.
Auf der anderen Seite gibt es Schriftsteller wie Arnold Stadler und Andreas Maier, die sich gegen die Tabuisierung des Wortes Gott zur Wehr setzen. Es fehlt etwas, wenn Gott fehlt, wenn die Fragen des Menschen nicht auf eine Instanz bezogen werden können, die über den Menschen hinausweist.
SONNTAG: Welche „großen Fragen“ werden von der Gegenwartsliteratur aufgegriffen?
Jan-Heiner Tück: Es gibt eigentlich nichts Menschliches, was in der Literatur nicht vorkäme: Glück, Liebe, Dankbarkeit, aber auch Unglück, Trauer, Einsamkeit, Tod.
Oft sind es Erfahrungen von Liebe, Tod und Trauer, die zunächst sprachlos machen, dann aber ein umso intensiveres Ringen um Sprache freisetzen.
Menschen, die sich zufällig über den Weg laufen, werden überwältigt von dem Gefühl, füreinander bestimmt zu sein. Sie leben das Glück und halten auch daran fest, wenn es schwierig wird.
Anderen wird der Boden unter den Füßen weggezogen, sie erfahren die Brüchigkeit der Existenz, die Last des Alters und der Vereinsamung. Sie merken, dass die Geschichte auch ohne sie weitergeht, fühlen sich als lebendige Anachronismen.
Wieder anderen wird der einzige Mensch, den sie haben, weggerissen. Der Verlust hinterlässt Leerstellen, die nicht mehr aufgefüllt werden können.
Gerade diese Leerstellen greift die Literatur auf und bringt sie zur Sprache. Sie dient damit indirekt der Selbstverständigung des Menschen, ohne Literatur dadurch funktionalisieren zu wollen.
SONNTAG: Wie/wo begegnet uns Gott in der Literatur?
Jan-Heiner Tück: Ein guter Schriftsteller wird die Vokabel Gott sparsam oder gar nicht verwenden. Es reichen Andeutungen.
Ein Beispiel: In Arnold Stadlers Roman „Komm, gehen wir“ gibt es eine Szene, in der der noch junge Protagonist auf seine Lebensgeschichte zurückblickt und plötzlich von einem Gefühl der Dankbarkeit überwältigt wird.
Er kann und will sein Leben nicht einfach als bloßen Zufall verstehen, es heißt dort: „Die Möglichkeit, dass es Gott oder das Schicksal war, blieb ihm schließlich als einzige Möglichkeit oder Erklärung übrig.
Als er auf die Panzerglastür zuging, packte ihn mit einem Mal ein Gefühl der Dankbarkeit. Er dankte für den schönen Flug, für die Reise, dankte für alles und sagte ja: Und weil er nicht wusste, wem er sonst für alles hätte danken sollen, war es Gott selbst, dem er für alles dankte“.
SONNTAG: Wie würden Sie das Schreiben/die Poetik Arnold Stadlers beschreiben?
Jan-Heiner Tück: Ich glaube, dass die Wurzel des Schreibens von Arnold Stadler in Schmerzerfahrungen liegt.
In einer Roman-Trilogie „Einmal auf der Welt. Und dann so“ beschreibt er, wie er als Kind den Tod seines Hundes, seiner Katze und seines Lieblingsferkels erlebt hat und dass diese erste Erfahrung von Sterblichkeit ihn total erschüttert hat.
Er versucht in seinem Schreiben, die Erinnerung an scheinbar unbedeutende, aber für die Biografie höchst bedeutsame Momente wachzuhalten.
Überhaupt geht es in seinem Schreiben um die Rettung solcher scheinbar bedeutungsloser Momente. Schmerz, Sehnsucht nach Überwindung des Schmerzes, das sind die Pole, innerhalb derer sich Stadlers Schreiben bewegt.
Stadler hat überdies wunderbar ausdrucksstarke Psalmübersetzungen geschrieben, die weniger am Ideal der wörtlichen Übertragung orientiert sind, dafür aber den Anspruch haben, das Dichterische der Psalmen ins Deutsche zu überführen.
SONNTAG: Welches Stadler-Werk empfehlen Sie für „Einsteiger“?
Jan-Heiner Tück: Das Buch „Salvatore“, in dem ein Mensch, der meint, nicht mehr glauben zu können, plötzlich von einer Sehnsucht übermannt wird und sich zu Christi Himmelfahrt in einen Gottesdienst begibt.
Dort wird seine Sehnsucht aber gerade nicht befriedigt, weil der Gottesdienst von einem nach Modernitätsverträglichkeit schielenden Pfarrer geleitet wird, der über alles predigt, nur nicht über das Mysterium der Himmelfahrt.
Stadlers Protagonist aber ist von dem Satz des Auferstandenen „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ zutiefst ergriffen, er bleibt mit dieser Ergriffenheit allerdings allein, da der Pfarrer dazu nichts zu sagen hat.
In „Salvatore“ bietet Stadler eine mitunter scharfe Kirchen- und Theologiekritik. Die religiöse Obdachlosigkeit der Menschen, ihre Sehnsucht nach dem ganz Anderen, werde oft übersehen, ja durch wohlmeinende, aber nichts sagende Rhetorik noch verstärkt.
„Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“
Das Werk des Schriftstellers Arnold Stadler, Büchner-Preis-Träger von 1999, steht im Mittelpunkt des Symposiums „Auch der Unglaube ist nur ein Glaube“ am 11. und 12. Mai 2015, veranstaltet von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
Arnold Stadler wurde 1954 in Meßkirch geboren. Er studierte katholische Theologie und Literaturwissenschaft. Mit seinem Schreiben richtet er sich gegen allzu selbstgewisse Zweifler. Zugleich ist das Motiv der „Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ in seinem Werk immer wieder leitend.
Infos und Anmeldung zum Symposium unter Tel. 01-4277-30301.
Auflage: 2., Aufl.
Fester Einband
224 Seiten
ISBN: 978-3-10-075124-9
Online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" bestellen
Arnold Stadler
Roman
2012, Fischer Taschenbuch
Auflage: 1
Flexibler Einband
432 Seiten
ISBN: 978-3-596-18124-7
Online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" bestellen
DIE WIENER KIRCHENZEITUNG "DER SONNTAG" testen
Webseite: "Der Sonntag"