Peter Simonischek spielt „Hiob“ Mendel Singer am Burgtheater.
Peter Simonischek spielt „Hiob“ Mendel Singer am Burgtheater.
Das Burgtheater zeigt derzeit Joseph Roths Roman „Hiob“ in einer sehenswerten Inszenierung von Christian Stückl. Wir befragten Ludger Schwienhorst-Schönberger, Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft, nach den aktuellen Botschaften des Hiob-Stoffes für heute.
Das Buch Ijob aus dem Alten Testament kennen die meisten von uns: Der gottesfürchtige Ijob verliert, ohne je gesündigt zu haben, seinen Besitz, seine Kinder und die Gesundheit und fällt in tiefe Gottverlassenheit. Am Ende aber darf Ijob Gott schauen, der sein Glück wiederherstellt.
Joseph Roth hat den biblischen Stoff Ende der 1920er Jahre aufgegriffen und erzählt in seinem Roman „Hiob“ das leidvolle Schicksal des jüdischen Tora-Lehrers Mendel Singer.
Das Wiener Burgtheater zeigt derzeit eine sehenswerte Bühnenfassung (Koen Tachelet) von Joseph Roths Roman mit Peter Simonischek in der Hauptrolle. Christian Stückl, langjähriger Spielleiter der Passionsspiele von Oberammergau, hat „Hiob“ für das Burgtheater ruhig und fast distanziert inszeniert. Doch dieser Theaterabend wirkt nach.
Ludger Schwienhorst-Schönberger, Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien, gilt als Experte für das Buch „Hiob“ und hat sich das Stück am Burgtheater angesehen.
Der Theologe hat sich auch mit Roths Roman auseinandergesetzt. Welche Botschaften enthält „Hiob“ für uns heute? Dazu und zu weiteren Fragen gibt uns Ludger Schwienhorst-Schönberger Auskunft:
Wie hat Joseph Roth das Buch Ijob aus dem AT in seinem Roman umgesetzt?
Schwienhorst-Schönberger: Mit der Hauptfigur Mendel Singer versetzt Joseph Roth den biblischen Hiob in das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert. Die Strukturen beider Erzählungen sind gleich geblieben, die Art des Leids hat sich verändert.
Die Schicksalsschläge sind jetzt nicht mehr der Verlust des Viehs, der Dienerschaft, der Kinder und der eigenen Gesundheit – wie beim biblischen Hiob –, sondern die Schicksalsschläge der Moderne, von denen das jüdische Leben heimgesucht wird: der aufkommende Antisemitismus und die Juden-Pogrome in Russland mit den dadurch ausgelösten Auswanderungswellen vieler Juden vor allem nach Amerika sowie der schmerzhafte Plausibilitätsverlust der traditionellen jüdischen Frömmigkeit, den die liberale, kapitalistische moderne Lebenswelt mit sich bringt.
In gewisser Weise verliert auch Mendel Singer seine Kinder: den ältesten Sohn an die russische Armee, den zweiten Sohn und die Tochter an den American Way of Life. Sein dritter Sohn Menuchim leidet an Schwachsinn und Epilepsie, seine Frau ist Mendel „in treuer Feindschaft verbunden“, sie verachtet die Frömmigkeit ihres Mannes, bei der, wie beim biblischen Hiob, nichts Nützliches herauskommt.
Welche Botschaften aus Joseph Roths „Hiob“ sind heute aktuell? Für wen?
Das Aufeinanderprallen von religiösen und säkularen Lebenswelten, unter der viele leiden, hat Roth am Beispiel einer jüdischen Familie aus Osteuropa vor Augen geführt.
Dieser Clash findet nicht nur zwischen Kulturen, sondern auch innerhalb von Kulturen und Religionen statt. Familien werden zerrissen, wie Jesus prophezeit hat.
Es ist gar nicht leicht zu sagen, wo die Wahrheit liegt und wem die Zukunft gehört: der liberalen, modernen Lebenswelt, in der sich traditionelle Formen der Religion weitgehend auflösen, oder den traditionellen Religionen, die Schutz bieten gegen die Unwirtlichkeiten einer säkularen, entzauberten Moderne, oder vielleicht einer dritten Gestalt, die das Beste aus beiden Lebenswelten aus Überzeugung und Einsicht miteinander verbindet?
Die Frage bleibt in Joseph Roths Hiob-Roman offen. Man fühlt sich an seine Beerdigung im Jahre 1939 in Paris erinnert: Die Zeremonie fand nach katholischen wie jüdischen Riten statt, das Grab zierten ein Kranz mit schwarz-gelb unterlegtem letzten Gruß des Hauses Habsburg und ein Kranz mit roter Schleife, niedergelegt im Auftrag des „Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller“.
Wie sehen Sie „Hiob“ am Burgtheater umgesetzt?
Mir hat es gut gefallen. Die Interaktionen zwischen den karikierend und doch lebensnah getroffenen unterschiedlichen Lebenswelten erzeugten komische Effekte, etwa als Mendel Singer die für traditionelles jüdisches Beten typische rhythmische Bewegung des Oberkörpers, als er in Amerika angekommen war, nach dem Rhythmus des Jazz bewegte – eine wohl noch nicht ganz gelungene Synthese von Tradition und Moderne! Solche Szenen waren lustig, stimmten aber auch nachdenklich.
Am Ende von „Ijob“ im AT steht die Schau Gottes – können Menschen im Alltag auch heute diesen kontemplativen Weg gehen?
Ja, sie können es. Viele tun es bereits. Im Grunde ist dieser Weg nichts Außergewöhnliches. Er liegt uns näher als uns gewöhnlich bewusst ist. Wie ein Schatz im Acker und eine kostbare Perle. Beide sind schon da. Sie wollen nur gefunden werden.
Kann man einen Bezug von Ijob zu Passion und Ostern herstellen?
In beiden Fällen ist das Leid nicht das Ende der Geschichte. Leid ist eine Realität, die nicht umgangen, wohl jedoch durchschritten werden kann. Bei aller Tragik und Grausamkeit behalten Leid und Tod nicht das letzte Wort, weder bei Hiob noch im Evangelium. Deshalb hat die christliche Tradition in Hiob eine Figura Christi gesehen. Er liegt uns näher als uns gewöhnlich bewusst ist.
„Hiob“ am Wiener Burgtheater
-nächste Spieltermine: 17.4., 3.5., 6.5., 7.5., 17.5., 27.5.;
weitere Informationen unter:
www.burgtheater.at
Univ. Prof. Dr. Ludger Schwienhorst- Schönberger
Buchtipp:
Ein Weg durch das Leid: Das Buch Ijob
Ludger Schwienhorst-Schönberger
Verlag Herder
ISBN: 978-3451296727
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at