Es gibt immer kritische Denker, doch man muss sie mehr hören. Und jeder muss für sich überlegen, was man tun kann.
Es gibt immer kritische Denker, doch man muss sie mehr hören. Und jeder muss für sich überlegen, was man tun kann.
Der Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter interessiert sich für außergewöhnliche Orte. Oft geht es um das Spannungsfeld Mensch-Natur. In seinem neuesten Werk befasst er sich mit dem desaströsen Umgang mit dem Lebensraum Erde.
Im Sommergespräch erzählt Geyrhalter, was ihn antreibt.
Nikolaus Geyrhalter ist ein Autodidakt. Das Filmemachen hat er sich selbst beigebracht, als er in der Wiener Filmakademie nicht aufgenommen wurde. Mittlerweile ist er für seine eigenwillige filmische Handschrift bekannt. Ohne Kommentar lässt er Bilder wirken, das Publikum baut sich dazu seine eigene Geschichte.
„Ich stoße immer wieder auf Orte, die könnte ich mir gar nicht ausdenken“, sagt Geyrhalter im Sommergespräch. Die Wirklichkeit würde ihm die besseren Geschichten liefern. Ein Grund, warum er selbst keine Spielfilme machen möchte.
Sie zeigen Dinge ohne Kommentar. Ist es für Sie schwierig, sich einzumischen?
Ich nehme das Publikum nicht an der Hand. Ich kann nicht sagen, was ist richtig und was falsch. Denn die Welt ist nicht so einfach auseinanderzudividieren.
Aber natürlich wähle ich ein Thema aus, bestimme ich, was ich zeige. Schon allein durch den Filmschnitt. Aber das Publikum soll Zeit haben, Realitäten auf sich wirken zu lassen. Ich möchte nicht genau einordnen.
Meine Filme funktionieren über das Spüren. Man sieht nicht nur etwas, sondern hört auch etwas. Und es gibt eine lange Verweildauer. So taucht man ein in Orte, zu denen man normalerweise keinen Zugang hat.
Die Zeit spielt bei Ihnen eine wichtige Rolle...
Ja, ich mag es ungern hektisch im Kino. Wenn man ins Nachdenken kommen soll, braucht man Zeit zum Erfassen. Im schnellen Schnitt liegt immer eine Verkürzung.
Im Dokumentarfilm liegt für mich die Qualität im genauen Zusehen. Ich arbeite auch immer mit Weitwinkelobjektiv. Das ergibt ein volles Gemälde, in dem man sich verlieren kann. In so einem Bild steckt eine ganze Palette von Inhalten.
Wo finden Sie diese Inhalte?
Ich habe ständig Themen im Kopf. Manchmal über Jahre. Und plötzlich finde ich dazu Bilder, Landschaften, Menschen in ihrer Umgebung.
Ich brauche Bilder, die eine Stärke entwickeln können, Bilder, die staunend machen. Meist entsteht das durch eine Umgebung, in die man sonst nicht hineinkommt. Dieses Aha-Erlebnis suche ich.
Für Ihre Filme – darunter Elsewhere, Abendland, Unser täglich Brot, Die bauliche Maßnahme – waren Sie auf der ganzen Welt unterwegs. Inwieweit sind Sie von den Dingen, die Sie gesehen haben, geprägt worden?
Wenn man sich ein Thema vornimmt, dann muss man das auch aushalten, dann gibt es kein Zurück. Natürlich hab ich viel gesehen, was die Schattenseite unserer Existenz ausmacht. Aber ich bin immer noch ein Optimist, das ist nicht begründbar. Vermutlich ist es mir in die Wiege gelegt. Realistisch ist es ganz schwer zu argumentieren, weil schon sehr viel schiefläuft. Aber da muss man eben hinschauen, sonst wird nichts besser.
Was läuft schief?
Die Menschheit sollte sich Gedanken machen, wie das weitergehen soll. Denn unser Ressourcenverbrauch und auch die Art, wie wir zusammenleben, das schaut nicht gut aus. Ich bin beruflich nicht zuversichtlich, nur privat. Denn es wird sich einfach nicht ausgehen so.
Inwieweit spielen Maschinen dabei eine Rolle?
Unseren jetzigen Lebensstandard haben wir uns durch die Entwicklung von Maschinen erarbeitet. Sie zerlegen Schweine und nehmen Fische aus. In meinem aktuellen Film „Erde“ sieht man ja auch, wie stark wir in die Erde eingreifen und Ressourcen aufbrauchen. Das würde ohne Maschinen nicht mehr gehen.
Früher war Bergbau Handarbeit und man musste sich schwer anstrengen. Doch davon sind wir heute weit entfernt. Und jede Maschine, die der Mensch bauen kann, wird gebaut werden. Wir wissen ja auch nicht, wie das mit der künstlichen Intelligenz weitergeht.
Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass die Entwicklungen einfach viel schneller passieren, als ein gesellschaftlicher Konsens darüber, wie man damit umgehen sol. Wir wissen doch bis heute nicht, ob es gesund ist, dass wir alle mit den Mobiltelefonen herumlaufen und ein W-Lan im Haus haben. Aber es ist bequem.
Sind sie größenwahnsinnig?
Ich finde, man kann das nicht nur negativ sehen. Denn es ist ja auch ein Grundvertrauen in die Technik. Die Menschheit insgesamt ist ja wie ein neugieriges Kind, das spielt und lernt. Das hält uns ja auch am Leben. Nur hat es jetzt Dimensionen erreicht, wo man sich das Ganze einfach kritischer ansehen muss als früher.
Aber so weit sind wir noch nicht, oder?
Es gibt immer kritische Denker, doch man muss sie mehr hören. Und jeder muss für sich überlegen, was man tun kann. Denn es gibt keine Regulatoren. Nicht die Politiker, nicht die Industrie. Es gibt wirtschaftlich geprägte Entscheidungen, in die niemand eingreift.
Deshalb braucht es Filme wie Ihre, um innehalten zu können. Mit dem Auge des Dokumentarfilmers sehen wir Entwicklungen und können uns neu entscheiden, wo wir mitmachen wollen und wo nicht...
Ja, nur ich gebe keine Antworten. Meine Filme sind große Fragestellungen. Aber ich glaube, es ist wichtig, Fragen aufzuwerfen. Das kann das Kino.
In seinem neuesten Kinofilm „Erde“ (seit Mai 2019 in den österreichischen Kinos) zeigt Filmemacher Nikolaus Geyrhalter Bagger, Bohrer und andere Maschinen.
Auf Großbaustellen auf der ganzen Welt graben sie mit Brachialgewalt riesige Löcher in die Erde, reißen Wunden in den Boden und höhlen Lebensräume aus.
Es ist wie ein Kampf zwischen Natur und Mensch, sagt Geyrhalter.
„Der Planet wird sich weiterdrehen, auch mit Narben. Aber es geht ja nicht darum, wer gewinnt. Es geht darum, dass wir koexistieren.“
Nikolaus Geyrhalter im Sommergespräch
mit Michaela Necker.
Am Montag, 8. Juli, um 17:30 Uhr.
Dacapo am Sonntag, 14. Juli, um 17:30 Uhr.
Nikolaus Geyrhalter ist
Dokumentarfilmer, Regisseur, Autor, Kameramann und Produzent.
Geboren: 1972 in Wien
Als Autodidakt begann er sehr jung mit dem Filmemachen und übernahm von Anfang an die Kameraarbeit selbst.
1994 gründete er die Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion.
Er lebt und arbeitet in Wien.
Filme (Auswahl) zu den Trailern
Das Jahr nach Dayton (1997),
Elsewhere (2001),
Unser täglich Brot (2005),
Abendland (2011), Über die Jahre (2015),
Homo Sapiens,
Die bauliche Maßnahme (2018)
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at