Virgilkapelle: Vergleich des heutigen Raumes mit einer Rekonstruktion vor Einbau des Gewölbes Mitte 13.Jh.
Virgilkapelle: Vergleich des heutigen Raumes mit einer Rekonstruktion vor Einbau des Gewölbes Mitte 13.Jh.
1973 lüftete das unterirdische Wien eines seiner schönsten Geheimnisse. Beim Bau der U-Bahnlinie U1 stieß man auf einen bisher unbekannten, in seinen Dimensionen beeindruckenden Sakralraum:
Heute ist die Virgilkapelle weltweit als einer der stärksten Kraftorte bekannt. Darüber und über ihre rätselhafte Geschichte sprachen wir mit Museumsleiterin Michaela Kronberger.
Tausende Menschen laufen täglich an diesem außergewöhnlichen Kraftplatz vorbei, der wie kaum ein anderer ein Kontrastprogramm zur Großstadthektik darstellt: der Virgilkapelle. Sie liegt tief und still unter dem Stephansplatz und ist von der unruhigen U-Bahn-Station aus zugänglich.
„Die Virgilkapelle ist ein Ort, mitten in der Stadt, im pulsierendsten Fleck beim Stephansdom – ein Gegenort zum Gewimmel und Gewusel der Großstadt“, sagt Michaela Kronberger, ausgebildete Archäologin und Leiterin der Außenstelle des Wienmuseums „Virgilkapelle“.
„Ich bin gerade mit der U-Bahn hergekommen und da war es laut, unruhig, hektisch. Wenn man dann in die Virgilkapelle kommt und die Türe hinter sich zumacht, dann ist da plötzlich ein anderer Ort: ruhig, kontemplativ, beschaulich“, schwärmt sie.
Während umfassender Restaurierungsmaßnahmen haben Michaela Kronberger und ihr Team die Baugeschichte des unterirdischen Sakralraumes erforscht und ein kleines Museum neben der Kapelle eingerichtet.
Über eine schmale Wendeltreppe geht es nach dem Museumseingang tief nach unten in den Innenraum der Virgilkapelle. Dieser ist fast 100 Quadratmeter groß und durch sechs Pfeiler geprägt.
Die durch die Pfeiler gebildeten Nischen münden nach oben hin in Spitzbögen und sind dort mit großen roten Radkreuzen geschmückt. „Eine Nische musste man aufgrund des U-Bahn-Baus abbrechen“, erklärt Michaela Kronberger.
Wer sich hier für einige Minuten aufhält, spürt tatsächlich die geheimnisvolle Kraft des Kapellenraumes: Man fühlt sich beruhigt, geborgen und nach einiger Zeit irgendwie erfrischt. „Ich habe hier viel Zeit verbracht, um die Texte für den Audioguide zu schreiben. Das war sehr inspirierend“, erinnert sich Michaela Kronberger.
Obgleich 100 Prozent Wissenschaftlerin – kann die Archäologin nachvollziehen, dass viele die Virgilkapelle für einen Kraftort halten. „Die einen kommen hierher wie ich, um Ruhe zu tanken für Kontemplation.
Christliche Gemeinden sehen die Virgilkapelle sehr wohl als starken Kraftort – bis hin zu esoterischen Gemeinschaften, die sich auch hier treffen wollen und sagen, dass hier eine ganz starke Erdstrahlung vorhanden ist.“
Apropos Erdstrahlung: Radiästheten (Wünschelrutengeher) wollen mehrere sich kreuzende Wasseradern unter der Virgilkapelle festgestellt haben. Wie kann hier die Erdstrahlung aber noch spürbar sein? Michaela Kronberger sagt: „Unterhalb der Kapelle fährt die U-Bahn durch, d. h. unter der Kapelle liegen meterhohe Stahlbetonschichten.“
Woher die Kraft des Raumes kommt, bleibt ein Geheimnis, umso mehr, da die Baugeschichte der unterirdischen Kapelle den Wissenschaftlern bis heute Rätsel aufgibt.
Die Virgilkapelle entstand um 1220/30 als Unterbau für einen geplanten Kapellenbau in frühgotischem Stil auf dem Stephansplatz südlich des Doms.
Um 1246 stattete man die unterirdische Kapelle mit Fugenmalereien und Radkreuzen in den Nischen aus. „Es muss schon ordentlich imposant gewesen sein: zwölf Meter hoch, ausgestattet mit diesen Malereien und in jeder dieser Nische ein Radkreuz. Ich glaube, dass es ein bedeutender Raum war, der sakral genutzt worden ist“, sagt Michaela Kronberger.
Darüber errichtete man hier später die Maria-Magdalenenkapelle, die leider Ende des 18. Jahrhunderts abgebrannt ist. Der Grundriss dieser kleinen Kirche ist im Straßenpflaster des Stephansplatzes heute noch sichtbar. „Ab dem frühen 14. Jahrhundert diente die Virgilkapelle der reichen Wiener Kaufmannsfamilie Chrannes als Familienkapelle, u. a. wurde sie mit einem Altar für den hl. Virgil ausgestattet.“
Die Maria-Magdalenenkapelle selbst wurde vor allem von der „Schreiberzeche“, einer Vereinigung von Notaren und Schreibern, als Andachtsort und für ihre Versammlungen genutzt. Ein zusätzliches Geschoss zwischen den beiden Kapellen diente als Karner (Beinhaus).
„Möglicherweise war die Virgilkapelle dazu bestimmt, die Gebeine des hl. Kolomann aufzunehmen“, berichtet Michaela Kronberger. Die Astronomin Maria Firneis hatte errechnet, dass die Ost-West-Ausrichtung der Virgilkapelle mit dem Translationstag des hl. Kolomann in Verbindung stehe. „Gegen die Grabstätte des hl. Kolomann spricht allerdings, dass kein Abgang in die Kapelle belegt ist. Heiligengräber waren Berührungsreliquien. Da musste man mit einem großen Pilgerstrom rechnen“, so die Archäologin.
Die genaue ursprüngliche Bestimmung der Virgilkapelle bleibt also noch ein Rätsel. Ihre Kraft aber steht allen offen. Michaela Kronberger: „Es ist ein sakraler Raum. Wir wollen alle willkommen heißen, die sich da wiederfinden. Es soll ein Ort für alle sein.“
Expertin
Dr. Michaela Kronberger
ist Archäologin und
u. a. Leiterin der Außenstelle des Wien Museums „Virgilkapelle“.
Bild 1: Eingagn zur Kapelle
Bild 2: Die Umrisse der unterirdischen Virgilkapelle und der Maria-Magdalenenkapelle, die früher darüber stand, sind im Pflaster des Stephansplatzes gekennzeichnet;
Bild 1: die Virgilkapelle
Bild 2: Illustration des unterirdischen Raumes vor Einbau des Gewölbes mit der darüber geplanten Kapelle auf dem Stephansplatz, Mitte 13. Jh.
Museumstipp:
Kraft tanken - Geschichte atmen
Virgilkapelle:
1010 Wien,
Stephansplatz, U-Bahn-Station;
geöffnet:
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10 bis 18 Uhr;
24.12. und 31.12.: von 10 bis 14 Uhr;
geschlossen: 1.1., 1.5. und 25.12.
Eintrittspreise:
Vollpreis EUR 5,-, ermäßigt EUR 4,-,
Audioguide gratis;
jeden ersten Sonntag im Monat
für alle Besucher Eintritt frei.
Alle Infos unter:
www.wienmuseum.at
Buchtipp:
Michaela Kronberger (Hrsg.)
Die Virgilkapelle in Wien.
Baugeschichte und Nutzung
Phoibos Verlag
ISBN: 978-3851611649
Stadtgeschichte pur!
weitere Informationen zu
E-Mail-Adresse: redaktion@dersonntag.at