Mit deutlichen Worten - in diplomatischer Indirektheit - kritisiert Franziskus am ersten Tag der Malta-Reise Russland und den "frostigen Wind des Krieges". Zugleich ruft er zu mehr Europa in der Migrationsfrage auf. Von Anna Mertens.
Maltas Hauptstadt ist wolkenverhangen. Nur gelegentlich lässt die Sonne die sandfarbenen Kalksteinmauern von Valletta erstrahlen. Nach beinahe zwei Jahren Wartezeit dürfen Malteser zwei Tage lang ihrem Papst zujubeln. Dies machen Hunderte lautstark und fröhlich, als Franziskus am Samstagmorgen im Papamobil durch die für ihn abgesperrten Straßen zum Präsidentenpalast fährt. Auf dem Platz davor haben sich rund 2.000 vorrangig Jugendliche versammelt, um den 85-Jährigen mit gelb-weißen Fähnchen bei wummernder Popmusik zu empfangen. Es werde eine "kurze, aber schöne Reise", so die päpstlichen Worte beim Abflug in Rom.
Auch im Palast ist der Empfang herzlich, geradezu familiär. Beim kurzen Treffen mit Premierminister Robert Abela wird dem Papst dessen gesamte Großfamilie präsentiert. Die Tochter des Premiers schenkt Franziskus eine bunte Collage und sitzt direkt neben ihm. Sitzen ist wichtig. Der Papst ist schlecht, sehr schlecht zu Fuß auf dieser Reise. Die Gangway am Flugzeug musste er per mobilem Lift überwinden.
Aber seine Stimmung ist gut, auch wenn eine gewisse Müdigkeit mitschwingt. Dabei ist die Rede von Präsident George Wilhelm Vella ganz nach Franziskus' Geschmack. Das Staatsoberhaupt spricht Probleme an, die den Papst umtreiben: der "kranke, müde und wütende Planet", "undenkbare" Kriege, Flucht und Migration.
Dem Papst ist klar, dass bei dieser Reise in das kleinste Land der EU, mit 85 Prozent weiterhin das zweitkatholischste, die Welt auf Aussagen zum Ukraine-Krieg wartet. Und diese kommen. Zunächst in einer Andeutung vor Journalisten, eine Annahme der Einladung nach Kiew sei "auf dem Tisch". Dann in diplomatischer Indirektheit. Die Namen Russland oder Wladimir Putin fallen nicht. Franziskus will die letzten diplomatischen Kanäle offenhalten. Aber seine Worte sind mehr als deutlich.
"Invasionen aus anderen Ländern, brutale Straßenkämpfe und atomare Bedrohungen" seien eigentlich dunkle Erinnerungen an eine ferne Vergangenheit, klagt er an. Wieder einmal würden "einige wenige Mächtige, die leider in den anachronistischen Forderungen nationalistischer Interessen gefangen" seien, Konflikte provozieren und schüren.
Der 85-Jährige beklagt "Verlockungen der Autokratie", "neue Imperialismen" und eine "infantile und zerstörerische Aggression" angesichts der Gefahr eines "erweiterten Kalten Krieges". Der Krieg habe sich seit langem zusammengebraut, "mit großen Investitionen und Waffengeschäften". In der Nacht des Krieges dürfe jedoch der "Traum vom Frieden" nicht entschwinden, so der eindringliche Appell des Pontifex.
Diesen Traum, den "Friedensdurst", teilen die Geflüchteten aus Süd und Ost. Viele landen auf dem Weg nach Europa zunächst in Malta, wobei der Inselstaat seine Kalksteinmauern immer wieder verschlossen hält. Doch Franziskus appelliert weniger an Malta als an Europa, in der Flüchtlingsfrage zusammenzuarbeiten. Niemals dürften Migranten oder Geflüchtete als "Virus" oder Eindringling gesehen werden. Zugbrücken müssten offen bleiben. Noch am Morgen vor seiner Abreise traf Franziskus ukrainische Flüchtlingsfamilien.
Zugleich nutzt er seine Rede vor Regierung, Diplomaten und Vertretern der Zivilgesellschaft, um auf Maltas Problem mit Korruption aufmerksam zu machen. Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Pflichtbewusstsein und Transparenz seien nötig, um Illegalität und Korruption zu beenden. Er beklagt "eine unersättliche Raffsucht, Geldgier und Bauspekulationen". Letztere wird bei der Fahrt über die Insel offensichtlich. Die Zahl der Baukräne und leerstehenden Baustellen ist beträchtlich. Den Fall der 2017 infolge von Korruptionsrecherchen ermordeten Journalistin Daphne Caruana Galizia erwähnt er nicht. Aber jeder auf der Insel kennt ihn.
Nach einer Pause in der Apostolischen Nuntiatur in Rabat wechselt Franziskus die Inseln. Von der Hauptinsel geht es auf die kleinere Vorinsel Gozo. Dort am nationalen Marienheiligtum Ta' Pinu warten zahlreiche Gläubige Stunden vor der Ankunft des Papstes - trotz starken Windes. Zum Gebet sind die 2.400 Sitzplätze innen und außen besetzt; hinter der Absperrung bilden sich Schlangen. Die Sonne hat den Kampf gegen die Wolken gewonnen. Sie lässt die Basilika sandfarben erstrahlen.
Auch Franziskus wünscht sich bei seinem Gebet ein Erstrahlen - des Evangeliums. Ein Rückbesinnen auf das Wesentliche des Glaubens, gegen die "Krise des Glaubens" und Gleichgültigkeit der Jugend. Davor ist auch Malta nicht gefeit. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Katholiken stark gesunken. Wie gut, dass der ehemalige Bischof von Gozo, Kardinal Mario Grech, an Franziskus' Seite ist.
Der Leiter des vatikanischen Synodensekretariats soll mit der Weltsynode die Rückbesinnung vorantreiben. Am Sonntag will Franziskus in der Paulusgrotte, wo der Völkerapostel einst strandete und aufgenommen wurde, sich selbst rückbesinnen.