Kalabrien: Sonne, Strand und 'Ndrangheta. Großer Aufreger des Wochenendes: Hat Papst die Mafia exkommuniziert?
Kalabrien: Sonne, Strand und 'Ndrangheta. Großer Aufreger des Wochenendes: Hat Papst die Mafia exkommuniziert?
„Nie wieder Opfer der Mafia!" Im Mittelpunkt des Besuchs in den Städtchen Cassano allo Jonio und Castrovillari standen Begegnungen mit Strafgefangenen, Armen, Behinderten und alten Menschen und eine große Messe des Papstes.
Papst Franziskus hat Kalabrien besucht: Die eintägige Visite am Samstag, den 21. Juni 2014, war seine vierte apostolische Reise innerhalb Italiens. Der Papst besuchte das Bistum Cassano allo Jonio abseits der Scheinwerfer in der strukturschwachen Region Kalabrien, die mit Problemen wie Arbeitslosigkeit und Mafia zu kämpfen hat. Das Motto der Reise lautete: „Ich komme, um mich zu entschuldigen“.
Dahinter steckt, dass der Papst den Menschen von Cassano allo Jonio ihren Bischof Nunzio Galantino zur Hälfte „weggenommen“ hat – indem er ihn nämlich zum Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz ernannte. Im Mittelpunkt des Besuchs in den Städtchen Cassano allo Jonio und Castrovillari standen Begegnungen mit Strafgefangenen, Armen, Behinderten und alten Menschen. Am späten Nachmittag standen eine große Messe des Papstes und anschließend die Rückreise nach Rom auf dem Programm.
Gegen 7.30 Uhr ist Franziskus am Morgen per Hubschrauber aus dem Vatikan aufgebrochen; kurz nach 9.00 Uhr landete er in Castrovillari vor dem örtlichen Gefängnis. Hier sitzen u.a. Familienangehörige von Cocò ein: Das ist ein dreijähriger Junge, der vor ein paar Monaten von der örtlichen Mafia, der Ndrangheta, in einem Auto bei lebendigem Leib verbrannt wurde, zusammen mit seinem Großvater und dessen Freundin. Der dreifache Mord hat in ganz Italien Entsetzen ausgelöst. Papst Franziskus sprach im Gefängnis kurz mit den zwei Großmüttern und der Mutter des getöteten Kindes: „Nie wieder Gewalt gegen Kinder, nie wieder Opfer der Ndrangheta!“, sagte er zu ihnen.
„Seid froh darüber, Priester zu sein!“ Das hat der Papst am Samstagmittag zu Priestern in Cassano allo Jonio gesagt. Er traf sie in der barocken Kathedrale des Städtchens. Es sei, so Franziskus, „eine immer neue Überraschung, von Jesus in die Nachfolge gerufen zu sein.“ Der Papst riet den Priestern, sich um Brüderlichkeit zu bemühen, um nicht zu einsamen Menschen zu werden. Priester sei man „nicht allein, sondern zusammen“, so Franziskus. Er legte den Priestern bei ihrer seelsorglichen Arbeit vor allem die Familien ans Herz. Das sei heute besonders nötig, denn die Zeiten seien schwierig für Familien – „für die Institution Familie und, wegen der Krise, für die einzelnen Familien“.
Das Reiseziel Kalabrien selbst ist die Botschaft. Franziskus geht mal wieder in die Peripherie, wie er das der Kirche ja auch immer wieder empfiehlt, und nicht nach London, Paris, New York. Francesco Di Chiara ist der Generalvikar des Bistums Cassano all`Jonio. Er sagt im Interview mit Radio Vatikan: „Allein die Tatsache, dass der Heilige Vater zu uns kommt, ist eine Lektion an die Politik, die ja unsere Region als Randgebiet abtut.“ Bischof Nunzio Galantino hat dafür gesorgt, dass das Bistum selbst für die Kosten des Papstbesuchs aufkommt. Das Nein zu Sponsoren hält – das mag mitgespielt haben – die örtliche Mafia fern.
Sie war der Abschluss und der Höhepunkt dieser Papstreise nach Kalabrien: die Messe von Franziskus auf dem Freigelände von Sibari. Tausende von Menschen – ein Meer an bunten Schirmen und Fahnen - waren dazu aus ganz Kalabrien und den umliegenden Regionen angereist, per Bus oder mit dem Auto, an diesem sonnigen Samstagnachmittag. Freiwillige teilten Wasserflaschen aus. Die Messe startete pünktlich, obwohl Papst Franziskus noch einen spontanen Besuch bei einem kranken Mädchen in dem Ort Pantano Rotondo, auf seinem Weg nach Sibari abgestattet hatte. Der Papst feierte die Messe zum Hochfest Fronleichnam und mahnte vor der Anbetung des Bösens und der Mafia, die kein Teil der katholischen Gemeinde sei.
Das Evangelium wurde auf griechisch vorgetragen – eine kleine Erinnerung daran, dass viele Städte in Kalabrien ab dem 8. Jahrhundert vor Christus von griechischen Siedlern gegründet worden sind. Noch heute gibt es in Kalabrien einen Dialekt mit altgriechischen Einsprengseln. In seiner Predigt betonte der Papst vor allem zwei Aspekte des Festes: die Anbetung Gottes und die Tatsache, dass er uns begleitet.
„Zunächst einmal sind wir ein Volk, das Gott anbetet. Wir bewundern ihn. Er ist Liebe, er hat sich uns in Jesus Christus selbst gegeben, er hat am Kreuz für unsere Sünden gebüßt und ist in der Kraft dieser Liebe vom Tod auferstanden, um in seiner Kirche zu leben. Wir haben keinen anderen Gott als diesen! ... Wenn die Bewunderung für Gott mit der Bewunderung für das Geld ersetzt wird, dann öffnet sich die Straße der Sünde, der Eigeninteresse, und der Unterdückung. Wenn man nicht Gott anbetet, dann wird man das Böse anbeten.So wie es auch diejenigen tun, die von Gewalt und Kriminalität leben. Euer Land, so schön es ist, kennt die Zeichen dieser Sünde. Die Mafia (Ndrangheta) ist genau das - die Bewunderung des Bösen, die Missachtung des Gemein wohls. Gegen dieses Böse muss angekämpft werden. Man muss Nein sagen."
Christen sollen nichts und niemanden in dieser Welt anbeten außer Jesus Christus, der in der heiligen Eucharistie anwesend ist ,so der Papst.
Der Glaube an die reale Präsenz Jesu im eucharistischen Brot und Wein sei „nicht echt, wenn wir uns nicht darum bemühen, ihm zu folgen und mit ihm zu gehen“, so der Papst. Das Volk, das Gott anbete, sei das Volk, das „in der Liebe vorangeht“. Als Bischof von Rom wolle er die Menschen „nicht nur im Glauben stärken, sondern auch in der Liebe“, sagte Franziskus. Er ermutigte seine Zuhörer „zu einem Lebensstil, der die Bedürfnisse der Armen und Letzten in den Mittelpunkt stellt“, und mahnte die Behörden, „dem Gemeinwohl zu dienen“.
„Euch jungen Leuten sage ich immer wieder: Lasst euch die Hoffnung nicht rauben! Wenn ihr Jesus in euren Herzen anbetet und mit ihm vereint bleibt, dann werdet ihr euch dem Bösen, der Ungerechtigkeit, der Gewalt entgegenzustellen wissen, mit der Kraft des Guten, des Wahren und des Schönen.“
In seiner Begrüßungsrede an den Papst meinte Ortsbischof Galantino, die Kirche sei „tief in Kalabrien verwurzelt“, nehme also lebhaften Anteil an den „Licht- und Schattenseiten der Region“. Zu diesen Schattenseiten zählte er die Mafia, „die jedes Wachstum hier, nicht nur das wirtschaftliche, behindert“. Die Mafia nähre sich, so der Bischof, „nicht nur von Geld und faulen Geschäften, sondern auch von den eingeschlafenen und stillschweigenden Gewissen der Menschen“. Diese Gewissen müssten jetzt „wieder wachgerüttelt werden“.
Diejenigen, die in ihrem Leben, wie die Mafiosi, diesen Weg des Bösen beschreiten, sind nicht in Gemeinschaft mit Gott: Sie sind exkommuniziert!“ Deutliche Worte des Papstes, die aber für Verwirrung gesorgt haben. Sind nun alle Mafiosi am Samstag exkommuniziert worden? Die Antwort lautet Nein!
Um zu verstehen, was der Papst meint, muss der erste Teil des Satzes in den Blick genommen werden: Wer so handelt, ist nicht in Gemeinschaft mit Gott! Es geht also vor allem um den moralischen Charakter der Sünde, und – zumindest zuerst einmal – nicht um die Rechtsfolgen. Der Papst wollte also sagen: Mafiosi stellen sich außerhalb der Gemeinschaft der Kirche, die die Familie Gottes ist.
Das mindert aber keineswegs die Schärfe des Appells. Denn höchstwahrscheinlich hatte der Papst nicht so sehr kirchenrechtliche Spitzfindigkeiten im Blick (siehe unten), sondern es ging ihm um die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen der Mafia und ihre absolute Unvereinbarkeit mit dem Glauben. Mutig hat er die Menschen aus dem Glauben heraus zum Widerstand gegen dieses Krebsgeschwür nicht nur der süditalienischen Gesellschaft aufgerufen.
Es gibt im lateinischen Kirchenrecht zwei Arten von Exkommunikation: die Exkommunikation als Tatstrafe „poena latae sententiae“ und als sog. Spruchstrafe „poena ferendae sententiae“. Im ersten Fall tritt die Exkommunikation automatisch ein, zum Beispiel bei Abtreibung, Sakrileg, Häresie u.a. Im zweiten Fall muss die Strafe durch ausdrücklichen Urteilsspruch seitens des Bischofs oder des Papstes nach einem ordentlichen Prozess verhängt werden. Die Untaten der Mafia gehören eindeutig der Sphäre von Sünden an, die eine Spruchstrafe verlangen. Also besteht noch Hoffnung für die Mafiosi, von der Exkommunikation bewahrt zu werden, sofern sie sich bekehren.
Papst FranziskusLaufend Meldungen über die Predigten des Papst in Santa Marta und von Audienzen und Empfängen des Heiligen Vaters. |