Papst Franziskus verurteilte bei der Sonntagsmesse in Turin den Umgang mit Flüchtlingen in Europa und warnte vor Ausländerfeindlichkeit und Zukunftsangst.
Papst Franziskus verurteilte bei der Sonntagsmesse in Turin den Umgang mit Flüchtlingen in Europa und warnte vor Ausländerfeindlichkeit und Zukunftsangst.
Sonntagsmesse mit Zehntausenden Teilnehmern: "Lasst euch nicht von Zukunftsangst lähmen und sucht keine Sicherheit in Gesellschaftsformen, die Fremde ausschließen statt sie aufzunehmen".
Das Turiner Grabtuch fordert nach den Worten von Papst Franziskus zur Hilfe für Leidende und Verfolgte auf. "Die Liebe Christi drängt uns", sagte er am Sonntag, 21. Juni 2015 beim Angelus-Gebet am Ende einer Messe mit Zehntausenden Teilnehmern auf der Piazza Vittorio in Turin. Zuvor hatte Franziskus vor dem Grabtuch im Turiner Dom gebetet.
Vielen Christen gilt es als Relikt der Kreuzigung Jesu. Seine Echtheit bleibt wissenschaftlich umstritten. Die katholische Kirche stuft es nicht als Reliquie ein, sondern als Ikone, die Gläubigen eine besondere Nähe zu Gott ermöglicht. Auch der Papst verwendete bei seiner Messe diesen Begriff.
In seiner Predigt rief der Papst die Menschen auf, trotz vieler Lebensprobleme nicht das Vertrauen in die Liebe Jesu zu verlieren. Sie begleite selbst die Nichtgläubigen und die Bösen, denn Jesus sei nicht für die Gerechten gekommen, sondern für die Sünder. Er verzeihe immer, wenn der Mensch zur Umkehr bereit sei. "Die eigenen Grenzen, die eigenen Schwächen zu erkennen, das ist die Tür, die zur Vergebung Jesu führt, zu seiner Liebe, die uns in der Tiefe erneuern kann, die uns neu erschafft", so Franziskus. Die Welt strebe immer nach Fortschritt, "aber nur die Treue Jesu ermöglicht wahre Erneuerung". Mit Gottvertrauen könnten die Menschen zu einem soliden Felsen werden.
"Lasst euch nicht von Zukunftsangst lähmen und sucht keine Sicherheit in Gesellschaftsformen, die Fremde ausschließen statt sie aufzunehmen", rief der Papst die Gläubigen weiter auf. Franziskus bezog sich damit offensichtlich auf die zunehmend fremdenfeindlichen Tendenzen in der Regionalpolitik Norditaliens. Ausdrücklich warb der Papst um Verständnis für die Nöte von Migranten, indem er auf die Geschichte der Auswanderung aus dem Piemont verwies, die auch seiner eigenen Familie eingeschrieben ist.
Der Vater des heutigen Papstes war 1929 mit seinen Eltern aus der piemontesischen Stadt Asti nach Argentinien ausgewandert. Am Schluss der Messe sagte Franziskus unter dem Applaus der Menge: "Ich bin ein Enkel dieser Erde."
Mit einer sehr persönlich gehaltenen Stegreif-Rede hat Franziskus am Sonntagnachmittag bei seinem Turin-Besuch die Salesianer-Ordensleute überrascht. Der Papst hatte am frühen Nachmittag zuerst in privater Form die Mariatrost-Kirche besucht, danach begab er sich in die Mariahilf-Basilika zum Treffen mit den Salesianer-Ordensleuten zu begeben. In der Basilika angekommen, steuerte Papst Franziskus zunächst das Grab von Don Bosco an, wo er ein kurzes Gebet verrichtete.
Den vorbereiteten Text legte der Papst dann zur Seite und hielt eine mit persönlichen Erinnerungen durchwobene Stegreif-Rede. "Meine Familie ist sehr an die Salesianer gebunden", sagte er. "Mein Vater ist gleich als er nach Argentinien kam, zu den Salesianern gegangen, zur italienischen Kirche, und hat da viele Leute kennengelernt. Sofort hat er Zuneigung gefasst zu einer Fußballmannschaft, die ein Salesianerpater gegründet hatte! Mit den Farben der Madonna, rot und blau, mit Straßenkindern. Für mich ist es die beste Mannschaft Argentiniens!" Ebenfalls bei den Salesianern habe sein Vater seine Mutter kennengelernt, und der Salesianerpater, der sie getraut habe, sei zum Begleiter der ganzen Familie geworden. Ein großer Beichtvater sei er gewesen, würdigte Franziskus den Pater. "Er taufte mich, ich ging zu ihm beichten als Jugendlicher, und er hat meine Berufung begleitet. Und als ich vom Seminar zu den Jesuiten gegangen bin, hat er mich wieder begleitet. Als meine Mutter nach der Geburt des fünften Kindes ein Jahr lang gelähmt blieb, gingen wir drei älteren Geschwister auf ein Salesianer-Internat. Dort habe ich gelernt, was Schönheit und was Arbeit ist. Also, ich bin den Salesianern sehr dankbar."
Franziskus ging auch auf das Charisma von Don Bosco ein. Der große Heilige habe das Talent gehabt, Jugendliche nicht nur an eine Berufsausbildung, sondern auch an Herzensbildung heranzuführen.
Bei einem Treffen mit zehntausenden Jugendlichen rief Franziskus am Nachmittag in Turin Jugendliche zu sexueller Enthaltsamkeit vor der Ehe auf. Das Wort "keusch" sei nicht mehr populär und werde nicht gern gehört, "aber auch ein Papst muss mal die Wahrheit aussprechen", so Franziskus. Wahre Liebe darf nach seinen Worten nicht mit romantischen Gefühlen verwechselt werden. Oft stehe hinter der Absage an Enthaltsamkeit nur das eigene Bedürfnis und keine echte Liebe für den anderen. Die zeige sich vielmehr im verantwortlichen Handeln füreinander. "Seid keusch!", rief der Papst den Jugendlichen zu, die vor allem aus Norditalien nach Turin gereist waren. Er appellierte an sie, dem hedonistischen Zeitgeist zu widerstehen. Dieser werde durch die Werbung gefördert.
Vor der Begegnung mit den Jugendlichen hatte der Papst das Turiner Institut "Cottolengo", eine Pflegeeinrichtung für Patienten, Alte und Behinderte besucht. Dabei kritisierte er die fehlende Achtung vor Alten und Kranken in der Konsumgesellschaft. Krankheit und Pflegebedürftigkeit würden angesichts eines ökonomischen Nutzendenkens oft nur noch als Belastung gesehen, sagte der Papst.