Gastvortragender der internationalen Tagung "Papst Franziskus und die Revolution der zärtlichen Liebe" war der in Paris lehrende, deutsche Theologe Christoph Theobald: Nach seiner Einschätzung sprengt Franziskus die Grenzen "progressiv-konservativ".
Gastvortragender der internationalen Tagung "Papst Franziskus und die Revolution der zärtlichen Liebe" war der in Paris lehrende, deutsche Theologe Christoph Theobald: Nach seiner Einschätzung sprengt Franziskus die Grenzen "progressiv-konservativ".
Pariser Theologe Theobald: Neue Synodalität "nicht mehr rückgängig zu machen"
Das von Papst Franziskus forcierte synodale Prinzip der katholischen Kirche ist nach Überzeugung des in Paris lehrenden deutschen Theologen Christoph Theobald "nicht mehr rückgängig zu machen". Die breitere Streuung der Verantwortung zeige sich in oft nur kleinen Gesten des Papstes, die allerdings "Fakten schaffen": Theobald nannte im Interview mit "Kathpress" als Beispiel die Tatsache, dass Franziskus das Annulierungsrecht in Eheprozessen, das das Papsttum im 13. Jahrhundert an sich gezogen habe, jüngst "einfach wieder an die Bischöfe zurückgab". Oder: Texte kontinentaler bzw. nationaler Bischofskonferenzen zitiere der Papst in eigenen Enzykliken als lehrmäßige Äußerungen. Dies war 1998 von Johannes Paul II. in seinem Motu proprio "Apostolos suos" praktisch ausgeschlossen worden.
Ein erfolgreicher Ausgang der laufenden Weltbischofssynode wäre für den Fundamentaltheologie und Dogmatik am Centre Sèvres in Paris lehrenden Jesuiten die Verpflichtung der Bischöfe, in ihren Zuständigkeitsbereichen selbst synodale Prozesse anzustoßen. Dies wäre, so Theobald, ein weiterer Schritt in Richtung Aufwertung der Ortskirchen bzw. zur Etablierung von Patriarchaten in der Weltkirche. Eine Kurienreform, derentwegen Jorge Mario Bergoglio letztlich gewählt worden sei, hält Theobald für wenig zielführend, sollte nicht auch das Papsttum selbst reformiert werden. Rom solle nicht Schauplatz der Gesamtadministration der Kirche sein, sondern als eine Art "Appellhof" fungieren, der im Konfliktfall interveniert. Diese Sichtweise des ersten Jahrtausends würde auch ökumenisch neue Perspektiven eröffnen, sagte der Jesuit.
Christoph Theobald war Festvortragender eines internationalen Kongresses, der bis zum Wochenende an der Universität Wien stattfand. Führende Theologen aus aller Welt - darunter auch aus Afrika, Asien, Nord- und Südamerika - beleuchteten die Enzyklika "Evangelii gaudium" und die Impulse des Papstes für Kirche und Theologie neuen Stils. Kongressorganisator Kurt Appel und die Sozialethikerin Ingeborg Gabriel, beide Lehrende an der Wiener Theologischen Fakultät und Vortragende bei der Tagung, äußerten sich im Interview mit "Kathpress" gemeinsam mit Theobald zu den Ergebnissen.
Nach den Worten Theobalds sprengt Franziskus die Grenzen "progressiv-konservativ", er umgebe sich nicht mit bestellten Beifallklatschern oder bilde Seilschaften: Er sei vielmehr ein Papst, "der den anderen sucht und - ich glaube auch den Gegner - ganz ernst nimmt". Zugrunde liege dieser Haltung eine Franziskus eigene "Mystik der Geschwisterlichkeit" und eine geistlich fundierte neue Zuwendung zur Welt nach dem Motto "Alle müssen gehört werden". Das gebe den Anstoß zu einem neuen gesellschaftlichen Engagement der Kirche. Die ganze Erde und besonders die Armen würden "als Partner" gesehen, erläuterte Theobald, der 2014 den Theologischen Preis der Salzburger Hochschulwochen zugesprochen bekam.
Die Voraussetzung für diesen neuen sozialen Dialog sei es, "glaubwürdig im eigenen Haus mit dem Besen zu kehren". Das habe der Papst etwa beim Weihnachtsempfang 2014 gegenüber der römischen Kurie getan, als er zu einem unprätentiösen und uneitlen Dienst aufrief und u.a. vor "glaubensmäßiger Alzheimer-Krankheit" und "blindem Aktionismus" warnte.
Franziskus stehe für eine Haltung, bei der die kirchliche Lehre "pastoral ausbuchstabiert" werden müsse, sagte Theobald. "Denn eine Lehre, die nicht pastoral ausgerichtet ist, ist Ideologie" und "Jesus ist ja kein Schriftgelehrter". Die "Pastoralität" der Lehre mag aber unterschiedlich in Europa, Lateinamerika oder Afrika sein, wie Theobald anmerkte. Hier stelle sich wieder die Frage der Ortskirchenrelevanz.
Er orte zwischen Kirche und Gesellschaft bereits eine "klimatische Veränderung", so der Jesuit. Er sehe das deutlich im traditionell laizistischen Frankreich, wie es sich auswirke, wenn die Kirche "keine Selbstverteidigungspolitik" treibe und der Wahrheitsdiskurs nicht so im Vordergrund stehe wie noch bei Papst Benedikt XVI. Theobald sieht die Kirche unter Franziskus wie eine "Rutengängerin" agieren, die hilft, Ressourcen zur Bewältigung gegenwärtiger Krisen auch außerhalb des Christentums aufzuspüren und zusammenzuführen.
Nach den Worten der Wiener Sozialethikerin und Vizepräsidentin der internationalen Justitia-et-Pax-Kommissionen, Ingeborg Gabriel, war die Aufwertung der Ortskirchen durch Papst Franziskus schon von Anfang seines Pontifikats an da, als er sich als "Bischof von Rom" vorstellte. Das sei eigentlich schon im Zweiten Vatikanischen Konzil und unter Paul VI. dagewesen und werde jetzt von Franziskus - nach langjähriger "Blockade", wie Gabriel sagte - aufgegriffen und realisiert vor dem Hintergrund von Bergoglios lateinamerikanischer Herkunft.
Dass der Papst die Synodalstruktur der Orthodoxen in "Evangelii gaudium" als vorbildlich darstelle, ergänze er durch bemerkenswerte "Symbolpolitik", wenn er etwa den "grünen Patriarchen" Bartholomäus I. in "Laudato si" wie einen katholischen Lehramtsträger zitiere und bei der jetzigen Vatikan-Synode die orthodoxen Kirchen miteinbeziehe.
An der "Öko-Enzyklika" bewundere sie, dass Franziskus darin die sich verschärfenden "Krisen anspricht, ohne in Katastrophenstimmung oder Alarmismus zu verfallen", so Gabriel weiter. Er halte die Balance zwischen Hoffnung und Benennung von Missständen. Freilich gelte es, überzogene Erwartungen an einen einzelnen zu relativieren. Der Papst könne "nicht mehr tun als Zeichen der Hoffnung zu geben" und dabei an ethische Grundlagen zu erinnern, die Gläubige mit Nichtgläubigen gemeinsam haben. Laut der Sozialethikerin ist gerade die Ethik eine Brücke zu einer postchristlichen, wenn auch in wesentlichen Teilen vom Christentum gespeiste Gesellschaft.
Die internationale Tagung mit dem Titel "Papst Franziskus und die Revolution der zärtlichen Liebe" zeigte nach den Worten des Wiener Fundamentaltheologen und Kongress-Planers Kurt Appel auf, dass das jetzige Pontifikat nicht "nur pastoral relevant" ist, sondern auf einer "äußerst innovativen, tief durchdachten" Theologie fußt. Es sei ein "Franziskus-Effekt" zu beobachten: Mittlerweile würden sich viele Katholiken, die im Dialog mit der Welt stehen, "wieder freuen, Katholik zu sein". Davor hätten Depression bzw. sogar Scham vorgeherrscht. Dieser Effekt sei in anderen Weltteilen vielleicht stärker als in Österreich, meinte Appel, weil hierzulande noch Ressentiments gegenüber der Kirche meinungsbildend seien.
Als positiv bewertete es der Wiener Theologe, dass unter Papst Franziskus kanonische Richtlinien bei Bischofsernennungen wieder stärker beachtet würden. Bei wichtige Nachbesetzungen wie in Madrid oder Chicago habe es wie zuletzt auch in Österreich "gute Lösungen" gegeben. Appel erinnerte daran, dass es beim Konzil viele ausgezeichnete Bischöfe gab, da Pius XII. - wie oft übersehen werde - viele fähige Theologen und Seelsorger zu Bischöfen ernannt habe. Mit dem jetzigen Episkopat erwartet Appel für die laufende Synode zu Ehe und Familie keine "großen Revolutionen". Er würde es als gutes Ergebnis sehen, wenn "die Türen offen bleiben" und konkrete pastorale Situationen als theologisch relevant anerkannt würden. Zum Thema Ortskirche wünscht sich Appel, "dass Rom nicht mehr erste Instanz, sondern letzte ist".