Keine bisherige Reise von Franziskus fand unter so hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Keine bisherige Reise von Franziskus fand unter so hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Auf seiner Reise im Irak schlägt der Papst das Modell Geschwisterlichkeit zur Überwindung interner Spannungen vor. Das Land soll zu einem Testgelände für die Enzyklika "Fratelli tutti" werden. Von Kathpress-Korrespondent Burkhard Jürgens.
Papst Franziskus hat den von vielfachen Spaltungen geprägten Irak ermutigt, zu einem neuen nationalen Zusammenhalt in Vielfalt zu finden und so zu einem Beispiel im Nahen Osten zu werden. Seine von starken Sicherheitsvorkehrungen begleitete Reise fand in einer sensiblen politischen Umbruchsituation statt. Es war der erste Besuch des römischen Kirchenoberhaupts in dem Land, dessen uralte Christengemeinde seit Jahren durch Abwanderung schrumpft. Für Diskussion sorgte die Entscheidung, die Fahrt trotz einer schwierigen Pandemielage anzutreten.
Den politischen und gesellschaftlichen Repräsentanten in Bagdad präsentierte sich Franziskus als "Büßer, der den Himmel und die Brüder um Vergebung bittet für so viel Zerstörung und Grausamkeit". Er komme "als Pilger des Friedens, im Namen Christi, des Friedensfürsten", sagte er zum Auftakt im Präsidentenpalast. Faktisch stellte er sich hinter Forderungen der Bürger nach einem grundlegenden Kurswechsel.
Monatelange und in Gewalt eskalierende Proteste gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und Einmischung fremder Kräfte hatten im Frühjahr 2020 zur Errichtung der aktuellen Übergangsregierung geführt. Im Oktober sollen Neuwahlen stattfinden. Das Vertrauen der Basis in die Führungselite gilt als gestört; zugleich wirken seit langem bestehende religiöse und ethnische Gegensätze weiter.
Franziskus machte die "Geschwisterlichkeit aller Menschen", für die er mit seiner im Herbst veröffentlichten Enzyklika "Fratelli tutti" warb, zum Leitthema seiner Begegnungen im Irak. Die Gastgeber von Staatsseite nahmen den Impuls dankbar auf. Die Öffentlichkeitskampagne zum Besuch stellte die Zugehörigkeit der unterschiedlichen Gruppen und Minderheiten zu einer gesamtirakischen Gesellschaft in den Vordergrund, auch mit eingängigen Bildmotiven.
Der Papst beschrieb wiederholt den Vorrang des Ich vor dem Wir als Grundübel. "Genug mit Gewalt, Extremismus, Parteiungen und Intoleranz", mahnte er. Den Beweis, dass Vielfalt bereichert, sollen nach seinem Willen gerade die Christen antreten - auch wenn ihre Gemeinde "so klein wie ein Senfkorn" sei. "Gott will gerade durch unsere Schwäche große Wunder wirken", sagte er der chaldäischen Gemeinde seines Gastgebers Patriarch Louis Raphael I. Sako in Bagdad.
Historischen Rang hatte die Begegnung mit Großajatollah Ali al-Sistani, dem angesehensten Geistlichen der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Irak. Der 90-Jährige, der sonst öffentlich kaum in Erscheinung tritt, empfing den Papst in seiner bescheidenen Residenz in Nadschaf. Al-Sistani sieht die Rolle von Religion darin, lediglich eine orientierende Stimme in einem zivilen und pluralen Staat zu sein. Darin und in anderen Punkten steht er dem Papst nicht fern.
Das macht das Treffen zu einem Brückenschlag zwischen der katholischen Kirche und der weltweit zweitgrößten Strömung des Islam. Welche Wirkung davon auf die Schiiten im benachbarten Iran ausgeht, der von einem Mullah-Regime mit anderen religiösen Auffassungen als denen al-Sistanis geführt wird, ist offen. Im Vorfeld war über eine gemeinsame Botschaft spekuliert worden; sie blieb aus.
Getrennte Verlautbarungen aus Nadschaf und dem Vatikan zu dem 50-minütigen Austausch der beiden Oberhäupter ließen gegenseitige Wertschätzung und gemeinsame Arbeitsfelder erkennen. Der irakische Ministerpräsident Mustafa al-Kadhimi rief die künftigen Jahrestage des Treffens am 6. März als nationalen "Tag der Toleranz und des Zusammenlebens" aus. Staatspräsident Barham Salih kündigte ein "Haus Abrahams für den religiösen Dialog" an, in dem neben dem Vatikan und dem theologischen Zentrum von Nadschaf auch die Kairoer sunnitische Al-Azhar-Universität und das US-amerikanische islamische Zaytuna College mitwirken sollen.
Große symbolische Wirkung hatte auch ein interreligiöses Treffen in Ur, der Heimat des biblischen Stammvaters Abraham. Bei den 4.000 Jahre alten Ruinen in der Wüste des Südirak beschwor Franziskus Vertreter aller Glaubensgemeinschaften im Irak, jeglichem Hass entgegenzutreten. "Gott ist barmherzig, und die größte Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst." Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt seien "Verrat an der Religion".
Ausgerechnet Juden, die sich auf den Abraham als Ahn beziehen, fehlten. Die jüdische Gemeinde im Irak zählt nur wenige Personen in Bagdad und einige Familien im Norden. Eine Einladung sei ergangen, habe aber offenbar nicht wahrgenommen werden können, hieß es.
Abschließend begab sich Franziskus in die nördlichen Landesteile, die unter dem Terror des "Islamistischen Staats" zwischen 2014 und 2017 bitter gelitten hatten - allen voran die von ihm immer wieder erwähnten Jesiden und die Christen. Inmitten der Trümmer, die das mörderische Kalifat in Mossul zurückließ, rief er bei einem Gebet für die Toten des Krieges auch dort zu Geschwisterlichkeit auf.
Die schwindende Katholikenschar in der einst christlich geprägten Ninive-Ebene und in Erbil, dem Zufluchtsort für viele Vertrieben, konnte an diesem Tag eine zweifache Botschaft hören: Würdigung ihrer Opfer, aber auch die Mahnung, dass gerade sie den Beweis anzutreten haben, dass Vielfalt in Geschwisterlichkeit und Solidarität die Gesellschaft bereichern kann.
Keine bisherige Reise von Franziskus fand unter so hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Für eine mehrtägige Ausgangssperre gab die Regierung die Corona-Pandemie als Grund an. Schwer bewaffnetes Militär sicherte die Fahrtstrecken, die der Papst nicht im bevorzugten Kleinwagen, sondern in gepanzerten Limousinen zurücklegte. Seine Leibwächter trugen Schutzwesten.
Kein Zwischenfall sollte die vom Irak gewünschte internationale Aufmerksamkeit trüben. Franziskus seinerseits mahnte von Bagdad aus die Staatengemeinschaft, dem Land nicht die helfende Hand entziehen. Vor allem aber schien die Regierung sich von dem weltweit respektierten Oberhaupt einer kleinen irakischen Minderheit Rückenwind für die gesellschaftliche Konsolidierung zu erhoffen. Staatspräsident Salih betonte, die Christen seien "angestammte Bewohner dieses Landes und sein Salz".