"Lasst uns im Namen des Friedens in jeder religiösen Tradition die Versuchung zum Fundamentalismus entschärfen, jede Neigung, einen Bruder oder eine Schwester als Feind zu betrachten", mahnte Franziskus.
"Lasst uns im Namen des Friedens in jeder religiösen Tradition die Versuchung zum Fundamentalismus entschärfen, jede Neigung, einen Bruder oder eine Schwester als Feind zu betrachten", mahnte Franziskus.
Viele betrachten Konflikte wie früher Kämpfe in der Arena, kritisiert Franziskus bei der Abschlussfeier des 35. interreligiösen Friedenstreffens der Gemeinschaft Sant'Egidio in Rom. Deutsche Kanzlerin Merkel als Ehrengast.
Mit einem dramatischen Appell hat Papst Franziskus die Religionen und ihre Gläubigen dazu aufgefordert, sich aktiv, konkret für eine "Entmilitarisierung der Herzen" einzusetzen. So wie in antiken Arenen früher Gewalt und Tod als Spektakel betrachtet wurden, nähmen viele Menschen heute mediale Berichte über Kriege und Gewalt wahr, sagte der Papst am Donnerstag bei der Schlussveranstaltung des diesjährigen Sant'Egidio-Friedenstreffens vor dem Kolosseum in Rom.
"In einer globalisierten Gesellschaft, die den Schmerz zwar zum Spektakel macht, aber kein Mitleid zeigt, müssen wir Mitgefühl aufbauen", forderte Franziskus in seiner mehrfach von Beifall unterbrochenen Rede. Wahrer Mut sei es, seinen Mitmenschen anzuhören, seine Leiden zu den eigenen machen und sein Gesicht kennen. Nur so komme man über die vielfache Einstellung "Das-ist-nicht-mein-Problem" hinaus. "Weniger Waffen und mehr Lebensmittel, weniger Heuchelei und mehr Transparenz, mehr gerecht verteilte Impfstoffe und weniger unbedacht verkaufte Waffen", so der Papst.
"Lasst uns im Namen des Friedens in jeder religiösen Tradition die Versuchung zum Fundamentalismus entschärfen, jede Neigung, einen Bruder oder eine Schwester als Feind zu betrachten", mahnte Franziskus. Das Gebet und das Handeln könnten den Lauf der Geschichte verändern, so der Papst: "Nur Mut! Wir haben eine Vision vor Augen, die so viele junge Menschen und Männer und Frauen guten Willens teilen: die Erde als gemeinsames Zuhause, in dem die Völker als Brüder und Schwestern wohnen."
Um auch bei der Abschlussfeier des 35. interreligiösen Friedenstreffens der Gemeinschaft Sant'Egidio den Opfern ein Gesicht zu geben, trug eine junge Frau aus Afghanistan einen ebenso leidenschaftlichen Appell gegen Gewalt und Unterdrückung sowie für Dialog und Toleranz vor.
"Es war eine ganz starke Rede von Papst Franziskus", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, anschließend. Die Stärke solcher interreligiösen Begegnungen sah der bayerische Landesbischof darin, dass derart eindringliche Worte bei Verantwortlichen in Politik und Religion auf fruchtbaren Boden fallen können. "Oft ist Religion ja Teil des Problems, hier ist sie Teil der Lösung", so Bedford-Strohm.
Als politischer Ehrengast sprach die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Schwierigkeiten von Friedensarbeit. Die zahllosen Konflikte weltweit ließen einen oft "an der Fähigkeit des Menschen zur Menschlichkeit zweifeln", so die CDU-Politikerin. "Aber wir dürfen nicht verzweifeln." Nur wer Frieden suche, werde ihn finden - auch wenn es schwer sei. Die scheidende Kanzlerin absolvierte am Donnerstag ihren Abschiedsbesuch in Rom, unter anderem beim Papst und bei Ministerpräsident Mario Draghi.
Außer Merkel gehörten zu den Teilnehmern unter anderem der Großimam von Al-Azhar in Kairo, Ahmad al-Tayyeb, der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I., der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz, Pinchas Goldschmidt, der Katholikos-Patriarch der Armenischen Kirche, Karekin II., sowie Vertreter des Buddhismus und Hinduismus.
Ähnlich wie der Papst zeigte auch al-Tayyeb sich enttäuscht von Politik und Gesellschaft. Gegen Ende der Pandemie sei nicht erkennbar, "dass sich die Menschen wirklich der Notwendigkeit bewusst sind", im Glauben an Gott neue Perspektiven zu wählen. Tatsächlich sei etwa man bei der Herstellung und Verteilung von Impfstoffen seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Durch die Art der Verteilung werde ganzen Kontinenten Impfstoff vorenthalten.
Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, mahnte: "Die Welt von gestern gibt es nicht mehr". Diese "harte Lektion der Pandemie", so Andrea Riccardi, Gründer von Sant'Egidio, sei bei den Religionen angekommen. Es gebe ein bislang nie da gewesenes Bewusstsein dafür, zusammenarbeiten zu müssen.
Mehr als bei früheren Treffen betrafen die Friedensappelle des zweitägigen Treffens auch das Verhältnis des Menschen zu Natur. "Wer jetzt noch nichts begriffen hat und sich erforderlichen Maßnahmen verweigert, macht sich direkt schuldig an den jüngeren Generationen", so der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm.