Kardinal Franz König und Papst Johannes XXIII.: Das „Konzil“ beendete das Modell der Priesterkirche, die Gräben zwischen Priestern und Gemeindemitgliedern wurden zugeschüttet, so Paul Zulehner.
Kardinal Franz König und Papst Johannes XXIII.: Das „Konzil“ beendete das Modell der Priesterkirche, die Gräben zwischen Priestern und Gemeindemitgliedern wurden zugeschüttet, so Paul Zulehner.
Im Gedenken an den Amtsantritt Franz Königs als Erzbischof von Wien vor 60 Jahren erinnern sich im SONNTAG Zeitzeugen und Wegbegleiter des vielgeliebten Wiener Kardinals an die damalige bewegte Zeit. Pastoraltheologe Paul M. Zulehner zeigt im Interview die entscheidenden Weichenstellungen der „Ära König“ in Kirche und
Gesellschaft auf und meint: „Der Fall Holl steht für viele andere“.
DER SONNTAG: Welche neuen Gewohnheiten, welche neuen Sozialformen von Kirche entstanden nach dem Konzil?
Paul M. Zulehner: Das Konzil beendete offiziell das Sozialmodell der „Priesterkirche“. Der tiefe Graben zwischen den aktiv betreuenden Priestern und den vielen betreuten Gemeindemitgliedern wurde zugeschüttet.
Laien übernahmen nach und nach ehrenamtliche Aufgaben. In den Pfarrgemeinderäten fanden sie auch eine Plattform der Mitberatung und Mitgestaltung. Manche Pfarrer ließen die Laiengremien nachhaltig mitentscheiden.
Wichtig war auch das Aufblühen der Beteiligung der Laien am Wirken der Kirche in den Laienorganisationen, der Katholischen Aktion, in den Verbänden. Auch wurden neben den Pfarrgemeinden sogenannte kategoriale Dienste ausgebaut.
Heute würde man sagen: Kirche ereignete sich zunehmend über die Pfarrgemeinden hinaus auch an anderen Orten: in einer Hochschulgemeinde, in einem Familienkreis, in einer Ökumenischen Morgenfeier im Rundfunk.
Bedeuten die 60er und 70er Jahre nicht das Ende vieler Traditionen und das Experimentieren mit Neuem (neue Modelle der Pastoral)?
Paul M. Zulehner: Manche Traditionen sind in der Tat ausgelaufen. Ich erinnere mich, dass ich als Kaplan in Altmannsdorf noch eine Auferstehungsprozession erlebt habe, mit herrlichen Klängen von Trompeten und Pauken. Die Liturgie ist ein wenig nüchterner, manchmal auch banaler geworden.
Wichtig war die Entdeckung der Wortgottesliturgie – und zwar nicht als Sonntagsmessersatz, sondern als Glaubensfeier mit eigener Würde. Das Lesen der Bibel wurde insgesamt wichtiger. Manche Gruppen begannen mit dem Bibelteilen.
Welche Rolle spielen die neuen Dienste in der Verkündigung und Seelsorge
(Religionslehrer, Pastoralassistenten, Ständige Diakone)?
Paul M. Zulehner: Seelsorger, so sah es die Sprachregelung der Kirche im deutschsprachigen Raum vor, durften nur Priester genannt werden.
Dennoch wanderten viele seelsorgliche Aufgaben von den Priestern zu kompetenten, gut ausgebildeten Frauen und Männern.
Der Grund war nicht allein der Priestermangel. Eine Rolle spielte, dass es aufwändiger wurde, Menschen zu einer persönlichen Entscheidung für das Evangelium zu gewinnen. Laienseelsorger, Frauen wie Männer, trugen zu einer qualitätsvollen Seelsorge bei.
Heute, angesichts des grassierenden Priestermangels, sind die Laien aus der Seelsorge nicht mehr wegzudenken. Dabei zeigt sich, dass die Kirche nicht nur unter einem Priestermangel leidet. Vielmehr gibt es auch einen Weihemangel, weil manche Laien faktisch priesterliche Aufgaben wahrnehmen.
Wie sehr haben die neuen Bewegungen (Rocca di Papa, Opus Dei, Charismatische Erneuerung, Neokatechumenat…) die Kirche der Erzdiözese Wien bereichert? Was sind ihre Stärken, was sind ihre Schwächen?
Paul M. Zulehner: Im Lauf der bewegten Geschichte der Kirche haben sich immer Menschen um Gründergestalten zu neuen Gemeinschaften unterschiedlicher Art zusammengeschlossen.
Die Orden sind das wichtigste Beispiel – was auch bedeutet, dass das Sterben vieler Orden eine massive Schwächung der Kirche im Land darstellt. In neuerer Zeit sind andere Nachfolgegemeinschaften entstanden. Sie zeigen, dass das Evangelium unentwegt seine schöpferische Kraft erweist.
Dass diese neuen Gebilde vielfältig sind, hat weniger mit dem Evangelium zu tun, sondern mit der Verschiedenheit der Menschen, ihr Leben zu deuten und zu gestalten.
Manche suchen dann mehr die Ordnung, andere den sozialen Dienst, wieder andere die spirituelle Tiefe.
Diese Vielfalt ist ein Reichtum der Kirche. Ist das einmal gesagt, kann immer noch im Detail besprochen werden, ob es nicht auch Schattenseiten in manchen neuen Bewegungen gibt. Dann gelten manche als autoritär und fremdbestimmend, andere wiederum als gar fromm, und das an den bedrängenden Leiden der Welt vorbei. Aber welche Gemeinschaft hat keine Schwächen?
Wie wurde der „Fall“ Adolf Holl gelöst?
Paul M. Zulehner: Der Fall Holl seht für viele andere. Ich denke an Hans Küng, noch mehr an den vielleicht für die Entwicklung der Kirche auf dem Weg einer heilenden Kirche wichtigen Eugen Drewermann.
Ganz toll fände ich es, würde Papst Franziskus zum Telefon greifen und Holl, Küng, Drewermann anrufen und sie bitten, sich ihrem eigenen biographischen Traum entsprechend wieder mehr in die Kirche und ihre Entwicklung einzubringen.
Das Beispiel von Martin Luther zeigt, dass manchmal die Besten die Kirche verlassen haben, vielleicht auch verlassen mussten, weil sie mit ihren kühnen Ideen zu früh dran waren.
Ende der 60er Jahre nahm die Zahl der Ehescheidungen zu, auch das Zusammenleben ohne Ehe wurde stärker propagiert. Zudem gab es einen Rückgang der Beichte und eine beginnende Austrittswelle. Wie ging damals und wie geht die Kirche heute damit um?
Paul M. Zulehner: Die Bedeutung des 68er Jahres für Gesellschaft und Kirche wird von vielen unterschätzt. Sie stellen den in vieler Hinsicht gelungenen Versuch dar, die Freiheitsgrade der Menschen zu erweitern.
Manche Aspekte an den lebensgestaltenden Kräften (wie Institutionen, Normen, Autoritäten) wurden als repressiv, als Freiheitsberaubend erlebt und erlitten.
Befreiung, Emanzipation stand auf dem Programm. Das Gewicht verschob sich von der Institution zur Person.
Am Beispiel Ehe: Jetzt zählt nicht mehr der Vertrag, sondern das Vertragen, also die persönliche Liebe. Und nichts ist so verwundbar wie die Liebe. Das erklärt die rasche Destabilisierung der Beziehungen, mit oder ohne Trauschein.
Und weil auch die Beichte von vielen Menschen eher als Kontrollinstrument denn als Heilungsort erlebt wurde, hörten viele auf zu beichten.
Heilung suchten sie dann bei guten Therapeuten oder bei liebevollen Menschen. Papst Franziskus versucht diese tragische Entwicklung zu beenden.
Was bedeutete die Enzyklika „Humanae Vitae“ für die Kirche in Österreich?
Inwiefern ist die sogenannte Maria-Troster Erklärung der österreichischen Bischöfe eine pastorale Anwendung dieser bis heute umstrittenen Enzyklika?
Paul M. Zulehner: Das bisher Gesagte spielt auch bei der grandiosen Enzyklika „Humanae Vitae“ von Paul VI. eine Rolle. Es ist ihr tragisches Schicksal, dass heute die meisten nur an die Pillenfrage denken. Nicht wenige sind inzwischen diesem Mittel der Geburtensteuerung skeptisch gegenüber geworden.
Vertreterinnen von linken Frauengruppen halten die Pille für einen patriarchalen Eingriff in die Ökologie des weiblichen Körpers und zugleich in die Ökologie zwischenmenschlicher Beziehungen.
Dennoch: Der Widerstand der Katholikinnen und Katholiken entsprang freilich nicht solchen späteren Überlegungen, sondern der Tatsache, dass der Papst die Oberhoheit über die Schlafzimmer beanspruchte.
Die Kultur war aber gerade dabei, Fremdbestimmungen abzubauen. Darauf haben die Bischöfe in ihrer Erklärung einfühlsam Rücksicht genommen.
Wandel der traditionellen Familie: Freiheit und Emanzipation standen in den 60ern auf dem Programm.
Paul M. Zulehner, geboren 1939 in Wien, Priester und Theologe, ab 1984 Lehrstuhl für Pastoraltheologie in Wien, 2000-2007 Dekan der Fakultät;
Bücher und Infos unter: www.zulehner.org
Dokumente des II. Vatikanischen Konzils
die sogenannte Maria-Troster Erklärung
Serie
"Kirche in bewegten Zeiten": Die Erzdiözese Wien unter Kardinal König; 1956 bis 1985.
Folge 1:
Es begann, als es noch kein Fernsehen gab von: Der SONNTAG / Michael Prüller
Folge 2:
Der richtige Mann zur richtigen Zeit von: Der SONNTAG / Annemarie Fenzl
Folge 3:
„Die gesamte Diözese reflektierte das Konzil“ von Emer. Univ. Prof. Josef Weismayer,
erstellt von: Der SONNTAG / Agathe Gansterer
weitere Artikel zum II. Vatikanischen Konzil auf Erzdioezese-Wien.at
50 Jahre 2. Vatikanisches Konzil
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Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien