Kardinal Franz König besuchte 1965 die Arbeiter in der Bundesbahnwerkstätte. Zwischen Kirche und Arbeiterschaft stand längst nichts mehr Trennendes.
Kardinal Franz König besuchte 1965 die Arbeiter in der Bundesbahnwerkstätte. Zwischen Kirche und Arbeiterschaft stand längst nichts mehr Trennendes.
Im Gedenken an den Amtsantritt Franz Königs als Erzbischof von Wien vor 60 Jahren erinnern sich Zeitzeugen an die damalige bewegte Zeit. Erich Leitenberger, den Kardinal König 1974 als Pressesprecher zu sich holte, erzählt über die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche.
„Ich bin kein Bischof der ÖVP und kein Bischof der SPÖ, kein Bischof der Unternehmer und keiner der Gewerkschaftler, nicht ein Bischof der Bauern und nicht einer der Städter: Ich bin der Bischof aller Katholiken.
Die Kirche ist für alle da, sie fühlt sich verantwortlich für alle Menschen, auch für jene, die ihr formell nicht angehören“: Mit diesen Worten umschrieb Kardinal Franz König seine Konzeption des bischöflichen Dienstes in einer pluralistischen Gesellschaft, als er am 27. Februar 1973 vor dem Bundesvorstand des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) das Thema „Die gemeinsame Basis ist der Mensch“ behandelte.
Es war das erste Mal in der Geschichte der Zweiten Republik, dass ein katholischer Bischof vor dem obersten ÖGB-Gremium das Wort ergreifen konnte.
Das Aufsehen war entsprechend groß. Naturgemäß gab es auch Leute, die sich mit Königs Konzeption nicht anfreunden konnten. Er trug es mit Gelassenheit.
Mit den Ausführungen vor dem ÖGB-Bundesvorstand zog Kardinal König die Konsequenz aus dem – bis heute im Gespräch über Kirche und Politik in Österreich immer wieder zitierten - “Mariazeller Manifest“ von 1952.
Hinter dem klangvollen Titel „Mariazeller Manifest“ verbirgt sich der Pressebericht über einen Studientag zur Vorbereitung des ersten Österreichischen Katholikentags in der Zweiten Republik.
Dieser Studientag fand unter dem Titel „Freiheit und Würde des Menschen“ von 1. bis 4. Mai 1952 in Mariazell statt (wenige Tage später - am 31. Mai 1952 - sollte Franz König zum Bischof-Koadjutor von St. Pölten ernannt werden, die erste Station seines bischöflichen Dienstes).
Unter der klangvollen (und bis heute aktuellen) Überschrift „Eine freie Kirche in einer freien Gesellschaft“ wurden klare Vorgaben formuliert:
„Keine Rückkehr zum Staatskirchentum vergangener Jahrhunderte, das die Religion zu einer Art ideologischen Überbau der staatsbürgerlichen Gesinnung degradierte.
Keine Rückkehr zu einem Bündnis von Thron und Altar, das das Gewissen der Gläubigen einschläferte und sie blind machte für die Gefahren der inneren Aushöhlung.
Keine Rückkehr zum Protektorat einer Partei über die Kirche, das vielleicht zeitbedingt notwendig war, aber Zehntausende der Kirche entfremdete.
Keine Rückkehr zu jenen gewaltsamen Versuchen, auf rein organisatorischer und staatsrechtlicher Basis christliche Grundsätze verwirklichen zu wollen“.
Hintergrund dieser klaren Vorgaben waren die bitteren Erfahrungen zum Thema „Kirche und Politik“ aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Angebahnt hatte sich die neue Linie schon mit dem Rückzug der Priester aus der Parteipolitik (d.h. aus der Christlichsozialen Partei) im Jahr 1933.
Für Kardinal König war das „“Mariazeller Manifest“ die Grundlage seiner Auffassung über das Verhältnis von Kirche und demokratischer Politik.
Was er ablehnte, waren zwei „falsche Konsequenzen“, vor denen er immer wieder in Interviews und Referaten warnte: Die Idee von der „Äquidistanz“ der Kirche zu den politischen Parteien und der Rückzug der Katholiken aus der Politik.
Was die vieldiskutierte „Äquidistanz“ betrifft, erinnerte der Kardinal bereits in den siebziger Jahren in einem Interview mit der ÖAAB-Zeitschrift „Freiheit“ daran, dass es sich um ein Schlagwort aus der bundesdeutschen politischen Diskussion handle, das er nie gebraucht habe.
Und mit wünschenswerter Klarheit unterstrich König, dass es die Parteien selbst seien, die Nähe oder Distanz zur katholischen Kirche bestimmen – und zwar durch ihr Programm, durch die Auswahl ihrer handelnden Persönlichkeiten und durch ihre politische Praxis.
Die Formel der „drei P“ hat auch in der heutigen Situation Gültigkeit.
Kardinal König hat zweifellos das Verhältnis von Kirche und Politik in Österreich neu gestaltet. Er bediente sich dabei verschiedener Instrumente. Eines dieser Instrumente waren die Betriebsbesuche.
Er versuchte zunächst, auszuloten, wie die – zumeist sozialistischen – Betriebsräte darauf reagieren würden. So machte König Anfang der 1960er Jahre seinen ersten Betriebsbesuch in der Floridsdorfer Lokomotivfabrik, dem alsbald im Zuge der Pfarrvisitationen viele ähnliche folgen sollten.
„Ich habe gewusst, wie diese Besuche von Politikern in der Regel vor sich gehen“, erzählte er immer: „Die Gruppe wurde durch die Halle geführt und bekam die Maschinen erklärt, die Menschen, die diese bedienten, wurden in der Regel nicht besonders beachtet.
Ich habe mir gedacht, ich mach es genau umgekehrt: ich versuche, mit so viel Menschen als möglich in persönlichen Kontakt zu kommen, sie nach ihren Lebensumständen zu fragen und ihnen Grüße nach Hause mitzugeben. Und ich muss sagen, ich war selbst überrascht, wie freundlich ich überall aufgenommen wurde“.
Ein anderes Instrument waren die legendären Silvesteransprachen des Kardinals in Radio und Fernsehen. Er pflegte sie durch Gespräche mit führenden Journalisten vorzubereiten, er wollte wissen, was die Menschen gerade auf der Seele brannte. Darauf versuchte er Antworten aus dem Erfahrungsschatz der Kirche zu geben.
Die Ansprachen waren spirituell tief, aber zugleich überaus „politisch“. Ein beliebtes Scherzwort in der Zeit von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger (1974-1986) lautete: Zu Silvester hält Kardinal König eine politisch brisante Ansprache und am Neujahrstag der Bundespräsident eine Predigt.
Den Rückzug der Katholiken aus der Politik lehnte Kardinal König mit Entschiedenheit ab, gerade auch auf dem Hintergrund der Ausführungen in „Gaudium et spes“, der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über „Die Kirche in der Welt von heute“.
Immer wieder wies der Kardinal darauf hin, dass der notwendige Rückzug des Klerus aus der Parteipolitik keine Aufforderung zur politischen Abstinenz an die katholischen Laien darstellt, im Gegenteil.
Politisches Engagement, so sagte er, könne eine Form des Zeugnisses und der Diakonie sein.
Dabei rief er die Formulierung des Konzils in Erinnerung, dass Katholiken in politischen Fragen „bei Anwendung gleicher Sorgfalt“ zu unterschiedlichen Lösungsvorschlägen kommen können.
Aber diese unterschiedlichen Lösungsvorschläge müssen die Katholiken in eigener Verantwortung vertreten, sie können dafür nicht die Autorität „der Kirche“ in Anspruch nehmen – und vor allem dürfen sie ihren Glaubensgeschwistern, die zu anderen Lösungsvorschlägen kommen, deswegen nicht den Glauben absprechen.
Und König ließ auch nie einen Zweifel, dass auch die Bischöfe in der politischen Öffentlichkeit „gelegen oder ungelegen“ auftreten müssen, wenn es um Grundsatzfragen geht, die unmittelbar auf das Welt- und Menschenbild der an Christus Glaubenden Bezug haben.
Als König seine aufsehenerregende Rede vor dem ÖGB-Bundesvorstand hielt, war das gerade der Fall.
Es waren die schwierigen Jahre der Auseinandersetzung um die Fristenregelung, die der Kardinal bis zu seinem Lebensende als „offene Wunde“ bezeichnete. Damals bestand die Gefahr, dass durch diese Auseinandersetzung auch die Aussöhnung der Kirche mit der Sozialdemokratie in Gefahr geraten würde.
Der Kardinal hatte viel in diese Aussöhnung investiert, er wollte über die in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik noch überaus spürbaren Gräben aus der Zwischenkriegszeit Brücken des gegenseitigen Verständnisses bauen.
Diesen Bemühungen war es zu verdanken, dass Ende der fünfziger Jahre die SPÖ den Widerstand gegen die Gültigkeit des 1933 abgeschlossenen Konkordats zwischen dem Heiligen Stuhl und Österreich aufgab, was dann im Jahr 1960 feierlich besiegelt wurde.
In der Bundeshauptstadt Wien sollte es im übrigen noch lange dauern (praktisch bis zur Amtszeit von Bürgermeister Helmut Zilk ), bis die Früchte der Aussöhnung auch im administrativen Alltag spürbar wurden (Tauziehen um Baugründe für Kirchenbauten, Messfeiern in städtischen Pensionistenheimen usw.).
Ursprünglich hatte Bruno Kreisky als Bundeskanzler der SP-Alleinregierung bei der Reform der Abtreibungsgesetzgebung eine Indikationenregelung angestrebt, aber beim Villacher Parteitag 1972 verlangte die SP-Frauenbewegung eine Fristenregelung und setzte sich innerparteilich durch.
Als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz richtete Kardinal König in deren Auftrag am 1. Februar 1973 einen Brief an Bundeskanzler Kreisky, worin es hieß: „Die Bischöfe bringen ihre wiederholten deutlichen Erklärungen in Erinnerung, dass sie der Preisgabe des Schutzes des ungeborenen Lebens nicht zustimmen können. ...
An der Haltung gegenüber den Mitmenschen am Beginn ihrer Existenz erweist der Mensch, ob er sich selbst achtet. Die Anerkennung des unteilbaren Rechtes auf den Schutz des Lebens ist eine wesentliche Grundlage für den Bestand der menschlichen Gesellschaft.
Die österreichischen Bischöfe appellieren nachdrücklich an Sie, Herr Bundeskanzler, in dieser, die Lebensinteressen der Gesellschaft so stark berührenden Frage voreilige Beschlüsse zu vermeiden und ehrlichen Willens eine in diesem Land allgemein annehmbare Lösung zu suchen.
Eine solche Lösung müsste die prinzipielle Aufrechterhaltung des unbedingten Schutzes des ungeborenen Lebens mit der Milde in überprüften, schwerwiegenden und durch Hilfen nicht behebbaren Konfliktsituationen vereinen und von umfassenden sozialpolitischen Hilfsmaßnahmen für Schwangere und für Familien begleitet sein“.
Auch vor dem ÖGB-Bundesvorstand wenige Tage später redete König Klartext: „In grundsätzlichen Fragen kann sich die Kirche nicht arrangieren, auch nicht um des guten Einvernehmens, auch nicht um des lieben Geldes willen, das dahintersteckt. Auch dann nicht, wenn es ihr leid tun sollte, dass deswegen ein gutes Einvernehmen getrübt werde.
Die Kirche ist nicht in allen Fragen Herr ihrer eigenen Entscheidungen, sie ist gebunden an ein Gesetz, das sie nicht ändern kann und das sie auch nicht mit Taktik überspielen kann.
Als ‚Geschäftspartner‘ in Grundsatzfragen, die die natürliche und übernatürliche Bestimmung des Menschen betreffen, ist die Kirche ungeeignet, weil sie sich immer auf eine höhere Instanz berufen muss, die letztlich doch nicht zu umgehen ist, die außerhalb ihrer Einfluss-Sphäre liegt und mit der man auch nicht paktieren kann: nämlich auf Gott“.
Der Einsatz für den Schutz des Lebens war für Franz König vom Beginn seiner bischöflichen Tätigkeit an bis in seine letzten Lebenstage ein zentrales Anliegen.
Schon als Bischof-Koadjutor von St. Pölten war er 1954 bei der Gründung von „Rettet das Leben“ (der Vorgängerorganisation der „Aktion Leben“) mit dabei. Er sprach auch später dem unabhängigen Verein seine Anerkennung dafür aus, dass er versuche, als „Gemeinschaft engagierter Christen die schwierige Aufgabe im Sinne der Kirche zu übernehmen, ohne selbst eine offizielle Organisation der katholischen Kirche dieses Landes zu sein“.
Als die Fristenregelung Gesetz wurde, leitete die „Aktion Leben“ im Juni 1974 ein Volksbegehren für ein „Bundesgesetz zum Schutz des menschlichen Lebens“ ein, das von der Bischofskonferenz am 2. Juli 1974 als „eigenständige Initiative der österreichischen Katholiken“ begrüßt wurde.
Kardinal König wollte keinem „Kirchenkampf“ im Stil der Ersten Republik Vorschub leisten, so wurde die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren erst nach dem Katholikentag im Oktober 1974 (Thema: „Versöhnung“) begonnen.
Aber bei der Hauptveranstaltung in der Wiener Stadthalle am 13. Oktober 1974 sagte der Kardinal vor der mit eisigen Mienen versammelten Regierung Kreisky: „Lassen Sie mich hier ein offenes Wort zu einem aktuellen Anliegen sagen. In wenigen Tagen beginnt die Sammlung von Unterschriften für ein Volksbegehren zum Schutz des menschlichen Lebens. Man stellt gelegentlich die Sache so dar, als ob die Bischöfe sich davon distanzieren wollten.
Dazu eine Klarstellung. Wir haben uns die Sache nicht leicht gemacht. Im Bewusstsein unserer Verantwortung für den inneren Frieden unseres Volkes haben wir gezögert und lange überlegt, haben gewartet auf ein kleines Zeichen des Entgegenkommens, das dieses Volksbegehren nicht notwendig gemacht hätte. Dieses Zeichen ist nicht gekommen.
Heute aber stehen alle Bischöfe, und auch der Kardinal von Wien, hinter dem Volksbegehren, nicht leichtfertigen Herzens, sondern weil man uns keinen anderen Weg gelassen hat.
Wir wissen uns aber auch mit der Aktion Leben einig, dass durch dieses Volksbegehren keine Gräben der Vergangenheit aufgerissen werden sollen, dass der Friede im Lande erhalten bleibt. Wir hoffen, dass man uns dabei hilft. Auch diese Hilfe ist ein Beitrag zur Versöhnung“.
1975 ging Kardinal König- gemeinsam mit dem damaligen evangelischen Bischof Oskar Sakrausky und Eduard Ploier, dem Spitzenrepräsentanten der katholischen Laien - an der Spitze eines Schweigemarsches für das Leben.
Er war der einzige Vorsitzende einer europäischen Bischofskonferenzen, der in diesen Jahren, als überall in Europa die Fristenregelung eingeführt wurde, buchstäblich auf die Straße ging.
Der Schutz des Lebens war ein Thema, dem König bis in seine letzten Lebensjahre treu blieb. Schon 1973/74 hatte er vorausgesehen, dass der Aufhebung des Lebensschutzes am Beginn des Lebens ähnliche Bestrebungen im Hinblick auf das Ende des Lebens folgen würden.
Sein Wort „Menschen sollen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen“ trug wesentlich zur einstimmigen Entschließung des Nationalrats vom 13. Dezember 2001 zum Thema Sterbebegleitung bei.
Der Kardinal sagte damals, mit der Entschließung über alle Parteigrenzen hinweg hätten das österreichische Parlament und das Land insgesamt „ein starkes Signal und ein Beispiel für Europa“ gegeben. Der Weg der humanen Sterbebegleitung statt der inhumanen „Sterbehilfe“ ist bis heute ein großes politisches Vermächtnis Kardinal Königs geblieben.
Das “Mariazeller Manifest“ von 1952" eigentlich der Pressebericht über einen Studientag zur Vorbereitung des ersten Österreichischen Katholikentags in der Zweiten Republik.
„Gaudium et spes“, die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über „Die Kirche in der Welt von heute“.
Dokumente des II. Vatikanischen Konzils
die sogenannte Maria-Troster Erklärung
Serie
"Kirche in bewegten Zeiten": Die Erzdiözese Wien unter Kardinal König; 1956 bis 1985.
Folge 1:
Es begann, als es noch kein Fernsehen gab von: Der SONNTAG / Michael Prüller
Folge 2:
Der richtige Mann zur richtigen Zeit von: Der SONNTAG / Annemarie Fenzl
Folge 3:
„Die gesamte Diözese reflektierte das Konzil“ Gespräch mit Emer. Univ. Prof. Josef Weismayer,
erstellt von: Der SONNTAG / Agathe Gansterer
Folge 4:
„Viele unterschätzen die Bedeutung des 68er Jahres“ - Interview mit Pastoraltheologe Paul M. Zulehner, erstellt von: Der SONNTAG / Agathe Gansterer
weitere Artikel zum II. Vatikanischen Konzil auf Erzdioezese-Wien.at
50 Jahre 2. Vatikanisches Konzil
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Weitere Informationen zu "Der SONNTAG" die Zeitung der Erzdiözese Wien