Kurt Weinberger: „Es gibt kein zweites Land in Europa, das so sorglos seine Böden verbaut.“
Kurt Weinberger: „Es gibt kein zweites Land in Europa, das so sorglos seine Böden verbaut.“
Kurt Weinberger, Chef der Österreichischen Hagelversicherung, bekommt tagtäglich in seiner Arbeit mit, wie sich die österreichische Landschaft zusehends verändert. Er bleibt ein Optimist, aber sieht es als seine Berufung, die Menschen in Österreich wachzurütteln und eine Kurskorrektur einzuleiten. Tag für Tag verschwand in den vergangenen zehn Jahren die landwirtschaftliche Fläche eines Bauernhofs.
In diesem Sommer erlebten wir in unserem Land eine sehr lange Phase der Hitze und Trockenheit. Die Folge waren massive Dürreschäden in der Landwirtschaft in einem Rekordausmaß von über 200 Millionen Euro.
Das sind keine außerordentlichen Erscheinungen mehr in Österreich. Denn in den vergangenen sechs Jahren traten viermal solche Schäden auf.
Wir fragen den Experten Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, ob wir nicht langsam einer Katastrophe entgegensteuern.
„Als Naturkatastrophen-Versicherer gehe ich prinzipiell mit diesem Begriff sehr vorsichtig um. Aber es sind Schäden in einem so hohen Ausmaß eingetreten, dass diese aus eigener Kraft nicht mehr bewältigt werden können“, sagt Kurt Weinberger, dessen Unternehmen mittlerweile gegen eine ganze Reihe von Risiken wie Hagel, Dürre, Überschwemmung, Frost, Sturm oder Tierseuchen Versicherungen anbietet.
„Wir spüren auch in Österreich verstärkt die Klimaveränderung. Die vergangenen 25 Jahre können als „heiße Jahre“ bezeichnet werden. D.h. die durchschnittlichen Lufttemperaturen lagen im Jahresmittel über 10 Grad Celsius. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, kann man durchaus von einer Katastrophe sprechen.“
Wie wird sich unsere Landwirtschaft auf diese Veränderungen einstellen müssen?
Die Erderwärmung hat mit Sicherheit zur Folge, dass es zu einer anderen Zusammensetzung der Kulturarten in Österreich kommen wird.
Es wird in einigen Jahren verbreitet Weinbau im Westen Österreichs geben, der bislang auf den Osten und Süden des Landes beschränkt war. In Zukunft soll großflächiger Sojaanbau möglich sein.
In manchen Gebieten wird eine wasserintensive Kultur wie Mais verschwinden, wenn keine Bewässerungsmöglichkeit vorhanden ist. In gewissen Gegenden im Norden und Westen Österreichs gab es heuer im Zeitraum vom 1. März bis 30. August bis zu 90 Prozent weniger Niederschläge als im zehnjährigen Durchschnitt.
Bei Ihrer Versicherungsarbeit wurde Ihnen auch bewusst, dass zunehmend fruchtbare Böden in Österreich verbaut werden. Wie rasant geschieht das?
Täglich wurde in den vergangenen zehn Jahren eine Fläche von rund 30 Fußballfeldern in Österreich zubetoniert. Es gibt kein zweites Land in Europa, das so sorglos seine Böden verbaut.
Wir haben beispielsweise die höchste Supermarktfläche pro Kopf, das dichteste Straßennetz Europas und gleichzeitig 40.000 Hektar leerstehende Immobilien.
Was sollte die Politik machen, um diese Resourcenvergeudung zu korrigieren?
Ein Anreizsystem für private und institutionelle Investoren schaffen, um diese Altsubstanz wieder in wirtschaftliche Nutzung zu bringen und nicht zuschauen, dass täglich beste Böden, unsere Lebensgrundlage, zerstört werden.
Das kann entweder durch Direktzuschüsse und/oder eine verkürzte Abschreibung für derartige Investitionsmaßnahmen geschehen.
Mein Eindruck ist, dass diese Problematik in diesem Land fast niemanden ein Anliegen ist. Daher gilt es Aufklärungsarbeit zu leisten und eine Kurskorrektur einzuleiten.
Heute ist es billiger auf der grünen Wiese zu bauen als zu sanieren. Positiv ist, dass laut Regierungsprogramm ein Masterplan gegen die Bodenversiegelung durch Bundesministerin Elisabeth Köstinger erstellt wird.
Sie haben eine Kampagne gestartet, um auf die Bodenzerstörung aufmerksam zu machen. Die Aktion „Bodenlos macht arbeitslos, brotlos, heimatlos ...“ unterstützt auch unser Wiener Erzbischof.
Für mich ist Kardinal Christoph Schönborn ein Segen in diesem Lande. Man spürt bei ihm, dass die Bewahrung der Schöpfung für ihn persönlich oberste Priorität hat. Gerade solche Vorbilder wie er sind so wertvoll, weil es entscheidend ist, wer zu solchen wichtigen Fragen Stellung bezieht.
Wenn in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich 20 Hektar pro Tag an Boden verloren gingen, können wir Österreicher uns noch eigenständig mit Lebensmitteln versorgen?
Jeder Mitteleuropäer braucht für den Konsum, den wir uns heute leisten, 3000 Quadratmeter Ackerfläche pro Kopf. Wir haben in Österreich nur mehr 1600 Quadratmeter pro Kopf verfügbar.
Wir beanspruchen bereits anderswo rund die Hälfte der notwendigen Fläche und nehmen es anderen weg, indem wir Lebensmittel außerhalb der Saison konsumieren. Und unbewusst den Lebensmittelkorb mit Lebensmitteln voll stopfen, die eine Weltreise – im Durchschnitt rund 30.000 Transportkilometer – hinter sich haben.
Wir waren bis vor einigen Jahren noch Getreideüberschussland und nun haben wir einen Selbstversorgungsgrad bei Getreide von 80 Prozent und beim Gemüse einen von 50 Prozent.
Wenn diese Entwicklung so weitergeht wie bisher, hätten wir im Jahr 2050 pro Kopf nur mehr 1000 Quadratmeter Ackerfläche verfügbar, obwohl wir weiterhin 3000 brauchen. In dieser Frage der Lebensmittelautonomie werden wir immer stärker verwundbar.
Im Juni 2015 hat Papst Franziskus seine Öko-Enzyklika „Laudato si“ veröffentlicht. Können Sie daraus etwas für Ihre Arbeit mitnehmen?
Sie ist für mich eine Lebensanleitung. Man müsste eigentlich jeden politischen bzw. in der Wirtschaft tätigen Entscheidungsträger verpflichten, diese Enzyklika zu lesen. Dann würde möglicherweise die Haltung zu Ökologie- und Klimafragen eine andere sein.
Der Papst sagt es uns ganz deutlich: Die Form des Wirtschaftens, wie wir sie aktuell betreiben, können wir unseren Kindern und Kindeskindern gegenüber nicht verantworten.
Also ein Umdenken ist dringend notwendig. Jeder kann etwas dazu beitragen. Eine kluge Volkswirtschaft setzt sowohl auf Ökologie als auch auf Ökonomie. Das ist kein Widerspruch.
Was hat Sie besonders im Leben geprägt?
Bestimmt die Schulzeit bei den Benediktinern in Lambach. Vor dem damaligen Abt hatte ich höchsten Respekt. Er war nicht nur Theologe, sondern auch ein großer Philosoph.
Er hat uns vermittelt, dass man Respekt vor jedem Menschen haben und jedem die freien Entfaltungsmöglichkeiten geben muss. Wir müssen jeden Menschen unterstützen in seinen besonderen Fähigkeiten.
Ich selbst bin aus einem finanziell sehr bescheiden ausgestatteten Haus gekommen, aber mit hohen Werten in der Familie.
Ohne freien Zugang zum Bildungssystem wäre es mir nicht möglich gewesen, einen sozialen Aufstieg zu erleben. Deshalb bin ich ein großer Befürworter für freien Zugang des Bildungswesens, auch für deutliche Unterstützung all jener, die die finanziellen Voraussetzungen dafür nicht haben.
Kurt Weinberger
Geboren am 14. Februar 1961
Seit 2002: Vorsitzender des Vorstands der Österreichischen Hagelversicherung. Als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist das Unternehmen nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet, sondern garantiert den Mitgliedern umfassenden und kostengünstigen Versicherungsschutz.
Hat Beruf und Hobby vereint: „Ich habe eine Riesenfreude etwas gestalten zu können. Vor allem will ich einen Beitrag leisten an der Bewahrung unserer schönen Natur.“
Ist ein leidenschaftlicher Bahnfahrer, nicht nur weil er Vizepräsident des Aufsichtsrates der ÖBB-Holding AG ist, sondern weil er den öffentlichen Verkehr, wenn immer es möglich ist, für die umweltfreundlichste Alternative zum Auto hält. Er pendelt am Wochenende fast immer mit der Bahn von Wien in die oberösterreichische Heimat zu seiner Familie.
Lebt mit und in der Natur daheim auf dem Biobauernhof seiner Frau. Wenn er am Hof mitarbeitet, spürt er immer wieder, wie wichtig der Respekt vor der Schöpfung und den Böden ist.
Leben ist …
für mich schützenswert.
Deshalb sehe ich mich auch als Anwalt des Bodens. Denn Boden ist Leben.
Sonntag ist …
für mich der Tag der Familie und der Tag der Einkehr.
Glaube ist …
für mich Hoffnung.
Ich bin in einer sehr gläubigen Familie aufgewachsen. Meine Mutter ging jeden Tag in die Kirche. Es war bei uns in meiner Volksschulzeit auch üblich, abends jeden Tag den Rosenkranz zu beten. Heute gehe ich noch immer fast regelmäßig in die Kirche.
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